Année politique Suisse 1993 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises / Kulturpolitik
print
Allgemeine Kulturpolitik des Bundes
Mit der Annahme des Kulturförderungsartikels (Art. 27septies BV) durch das Parlament wurde die erste Hürde genommen, damit der Bund endlich rechtlich abgesichert jene Aufgaben erfüllen kann, welche er ohnehin seit Jahren wahrnimmt, namentlich in den Bereichen Bundesarchiv, Landesmuseum und Landesbibliothek sowie Pro Helvetia. Bereits im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen war stets unterstrichen worden, dass es hier keinesfalls um die Einführung einer zentralistischen Kulturpolitik oder um die Übernahme neuer Aufgaben gehe, sondern allein um eine klare Definition der Kulturkompetenzen des Bundes. Auf Vorschlag der nationalrätlichen Kommission wurde im ersten Abschnitt der Begriff der Subsidiarität noch explizit verankert [2].
Im Nationalrat, welcher die Vorlage als Erstrat behandelte, wurde ein Nichteintretensantrag Sandoz (lp, VD), der die Unterstützung rechtsbürgerlicher Parlamentarier vor allem aus der Auto-Partei fand, ebenso abgelehnt wie der Antrag Fehr (svp, ZH), wonach der Bund bei seiner Kulturförderung nur die Anliegen weniger begünstigter Landesteile, nicht aber weniger begünstigter Bevölkerungsgruppen besonders berücksichtigen solle. Die beiden Politikerinnen repräsentierten ohnehin nur einen Teil ihrer jeweiligen Parteien, andere Ratsmitglieder aus der LP und der SVP unterstützten den neuen Verfassungsartikel, welcher die mehr oder weniger einhellige Zustimmung der CVP, der FDP, der SP, der LdU/EVP-Fraktion sowie der Grünen fand. Mit 88 zu 20 Stimmen wurde die Vorlage zuhanden des Ständerates verabschiedet [3].
Die kleine Kammer schloss sich dem Nationalrat in allen Punkten an, allerdings ebenfalls nicht diskussionslos. Vertreter der LP sowie des rechten Flügels der FDP äusserten ihre Bedenken vor einem neuerlichen Kompetenzzuwachs des Bundes und warnten vor dessen finanziellen Konsequenzen. Der Ständerat genehmigte die Vorlage schliesslich ohne Gegenstimme, allerdings bei einigen Enthaltungen [4].
Im Anschluss an diese Vorlage behandelte der Ständerat eine Motion von Pro Helvetia-Präsidentin Rosmarie Simmen (cvp, SO), welche eine indirekte Kulturförderung durch eine staatliche Versicherungsrisikogarantie für kulturelle Veranstaltungen sowie fiskalische Entlastungen bei individueller oder kollektiver Kulturförderung verlangte. Bundesrätin Dreifuss begrüsste diese Vorschläge und zeigte sich bereit, auch weitere Modelle indirekter Kulturförderung zu prüfen. Weil aber der Bund vor Annahme des bereinigten Kulturförderungsartikels keine eigentliche Kulturkompetenz hat, bat sie erfolgreich um Überweisung in der nicht bindenden Postulatsform [5].
Im Oktober ernannte Bundesrätin Dreifuss den Kunsthistoriker David Streiff zum neuen Direktor des undesamtes für Kultur (BAK). Streiff tritt die Nachfolge von Alfred Defago an, der Bundesrat Cotti als Generalsekretär ins EDA folgte. Im Vorfeld dieses ersten bedeutenden Personalentscheides von Bundesrätin Dreifuss war in der Romandie vehement ein welscher "Ministre de la culture" gefordert geworden; andere Kreise verlangten ebenso dezidiert die Einsetzung einer Frau. In der engsten Auswahl verblieben schliesslich Streiff, als ehemaliger Leiter des Filmfestivals von Locarno Garant für Innovation, und Hans-Rudolf Dörig, bislang stellvertretender Direktor des BAK und profunder Kenner der schweizerischen Kulturpolitik [6].
 
[2] Presse vom 19.3.93. Siehe auch SPJ 1990, S. 262 und 1991, S. 271 f.
[3] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 505 ff. und 1451.
[4] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 421 ff. und 579; BBl, 1993, II, S. 870.
[5] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 431 ff.
[6] TA, 5.6. und 10.6.93; NQ, 11.6. und 22.6.93; BüZ, 15.6.93; NZZ, 27.7.93; Ww, 26.8.93; JdG, 25.9.93; Presse vom 5.10.93.