Année politique Suisse 1993 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises / Kulturpolitik
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Kulturgüterschutz
Einen bedeutenden Kulturgüterverlust erlitt die Schweiz in der Nacht auf den 18. August, als in Luzern die über 600 Jahre alte Kapellbrücke – die älteste teilweise noch erhaltene Holzbrücke Europas – in Flammen aufging. Mehr als die Hälfte des Bauwerkes und über zwei Drittel der im Dachstock der Brücke angebrachten äusserst wertvollen originalen Bildtafeln wurden vom Feuer zerstört. Noch gleichentags beschloss der Luzerner Stadtrat, die Brücke originalgetreu wiederherzustellen, und der Bundesrat sicherte umgehend seine finanzielle Hilfe beim Wiederaufbau zu [9].
Seit dem Zweiten Weltkrieg hat der internationale Verkehr mit Kulturgütern aller Art markant an Bedeutung zugenommen. Wegen der Liberalität ihrer diesbezüglichen Bestimmungen (freie Ein- und Ausfuhr, vorteilhafte Steuer- und Zollregelungen, Freiheit des Auktionariats, günstige Regeln zum Eigentumserwerb) entwickelte sich die Schweiz zu einer wichtigen Drehscheibe des internationalen Kunsthandels, wurde aber immer häufiger auch zur Abwicklung dubioser Transaktionen und für oftmals spektakuläre illegale Geschäfte missbraucht, was ihr den nicht gerade schmeichelhaften Ruf einer "Kunstwaschanlage" eintrug. Da die USA und vor allem die EG dem Kulturgüterschutz inskünftig mehr Nachachtung verschaffen wollen, erachtete es der Bundesrat, welcher sich in dieser Frage bis vor kurzem eher zögerlich gezeigt hatte, nun doch als notwendig, das Rechtsinstrumentarium so zu ergänzen, dass die Schweiz im internationalen Schutz- und Zusammenarbeitsnetz keine Lücke mehr darstellt. Im Spätsommer gab er eine entsprechende Vorlage in die Vernehmlassung. Er schlug die Ratifikation der Unesco-Konvention von 1970 über Massnahmen- zur Verhinderung der unerlaubten Einfuhr, Ausfuhr und Eigentumsübertragung von Kulturgütern sowie eine Ergänzung des Natur- und Heimatschutzartikels (Art. 24sexies) in der Verfassung vor. Damit soll die Regelung der Ein- und Ausfuhr sowie die Rückgabe von unrechtmässig in die Schweiz gelangten Kulturgütern zur Bundessache werden.
In seinen Vorstellungen zur gesetzlichen Umsetzung der Unesco-Konvention bekannte sich der Bundesrat zum freien Austausch und Handel mit Kulturgütern, da die Missbrauchsbekämpfung das Sammeln und Handeln weder reglementieren noch erschweren oder einschränken dürfe. Sollte die Abwanderung schweizerischen Kulturgutes ein bedrohliches Ausmass annehmen, wofür es vorderhand keine Anzeichen gebe, würden die Behörden die Einführung einer Deklarationspflicht erwägen. Der Bundesrat bezeichnete die Möglichkeit zur Rückgabe von illegal erworbenen bzw. ohne Bewilligung aus den Herkunftsländern ausgeführten Kulturgütern als den zentralen Punkt der Vorlage. Er gab sich überzeugt, dass ein Rückgabeanspruch, der vor schweizerischen Gerichten einklagbar und durch diese überprüfbar wäre, einen Grossteil der Probleme mit den zweifelhaften Transaktionen lösen könnte. Von diesem Instrument verspricht er sich mehr als von Vorkehren im Bereich der Ein- und Ausfuhr, die er als heikel und schwer durchführbar beurteilt [10].
Auch das Parlament hatte in den ersten Monaten des Jahres noch einmal signalisiert, dass es die Ratifizierung dieses Unesco-Abkommens als dringlich erachtet. Im Anschluss an die Beratungen über den Kulturfdrderungsartikel verabschiedeten beide Kammern praktisch diskussionslos ein Postulat ihrer jeweiligen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur, welches den Bundesrat auffordert, umgehend die Konvention zu unterzeichnen und die rechtlichen Bestimmungen zu erlassen, um den Verlust von nationalem Kulturgut zu verhindern sowie ausländische Staaten bei der Wahrung ihres kulturellen Erbes zu unterstützen [11].
Der Nationalrat nahm zudem gegen den Willen des Bundesrates, welcher Umwandlung in ein Postulat beantragt hatte, eine Motion Grossenbacher (cvp, SO) an, welche den Bundesrat verpflichtet, möglichst schnell gesetzliche Bestimmungen zu schaffen, die einer weiteren Entwicklung des illegalen Kunst- und Kulturobjekthandels in der Schweiz entgegenwirken, sofort die Ratifizierung der genannten Unesco-Konvention an die Hand zu nehmen sowie kantonale Aufklärungskampagnen über die Bedeutung des kantonalen Kulturgüterschutzes anzuregen und zu fördern. In der Wintersession überwies auch der Ständerat die beiden ersten Punkte des Vorstosses in der verbindlichen Form, die Forderung nach kantonalen Aufklärungskampagnen hingegen nur als Postulat [12].
Eine Motion Keller (sd, BL), welche den Bundesrat beauftragen wollte, nationale und internationale Bestrebungen zur Zusammenführung von Kulturgütern zu fördern und zu unterstützen, wurde vom Nationalrat auf.Antrag des Bundesrates, der auf seine nach wie vor mangelnde Kompetenz in Kulturfragen verwies, lediglich als Postulat überwiesen [13].
 
[9] Presse vom 19.8.-23.8.93, 28.9., 16.11. und 17.12.93.
[10] Presse vom 2.9.93; BaZ, 7.12.93; NZZ, 17.12.93. Siehe auch SPJ 1992, S. 272 f.
[11] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 527; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 430 f.
[12] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 918 f.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 906 f.
[13] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1381 f.