Année politique Suisse 1993 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises / Kulturpolitik
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Kulturpolitik in den Kantonen und Gemeinden
Eine von der Präsidialabteilung der Stadt Zürich in Auftrag gegebene Studie erbrachte neues Zahlenmaterial zu den Kulturausgaben der grossen Schweizer Städte und erlaubte auch den internationalen Vergleich mit dem Nachbarland Deutschland. Unterscheidet man in den Stadtkantonen Basel-Stadt und Genf die gesamten Kulturausgaben nach Bildung und eigentlichen Kultursubventionen und wendet den in Zürich praktizierten Verteilschlüssel zwischen Kanton und Stadt an, so stand 1989 Zürich mit knapp 87 Mio Fr. Kulturausgaben deutlich an der Spitze der Schweizer Städte vor Basel (62 Mio), Genf (32 Mio), Bern (24 Mio) und St. Gallen (14 Mio). Verglichen mit den grossen deutschen Städten Hamburg (240 Mio), Frankfurt (214 Mio) und München (162 Mio) nimmt sich das kulturelle Engagement der Schweizer Städte relativ bescheiden aus, doch vergleicht man die Ausgaben, die jede Stadt pro Kopf der Einwohnerschaft tätigt, ergibt sich eine ganz andere Rangliste, in welcher nun Basel (368 Fr. pro Kopf) vor Frankfurt (343 Fr.) und Zürich (253 Fr.) führt. Genf, St. Gallen und Bern folgen auf den folgenden Rängen, noch vor Stuttgart, Hamburg und München. Der Anteil der Kulturausgaben an den gesamten städtischen Ausgaben sollte gemäss der Studie auch zeigen, wie hoch die Bedeutung ist, die eine Stadt der Kultur im Vergleich zu anderen Aufgabenbereichen wie Bildung, Gesundheit, Verkehr, soziale Wohlfahrt etc. beimisst. Auch bei dieser Betrachtungsweise schnitten die Schweizer Städte in ihrem Kultureffort nicht schlecht ab. An erster Stelle lag Genf, wo 6,1 % der städtischen Ausgaben auf die Kultur entfallen. In Frankfurt sind es 5,5%, in St. Gallen 4,5% und in Hamburg und Basel 4,4%. Zürich und Bern verzeichnen lediglich einen Anteil von 3,5 bzw. 3,1% [25].
Stadt und Kanton Zürich einigten sich auf eine Neuverteilung der Kulturkosten. Der Kanton, welcher bisher 49% der Beiträge ans Opernhaus geleistet hat, übernimmt dieses zu 100%, wird aber an die anderen grossen Kulturinstitute – Schauspielhaus, Tonhalle und Kunsthaus – nichts mehr beisteuern (bisher 25%). Die Regelung wird dem Kanton jährliche Mehrausgaben von rund 26 Mio Fr. bringen. Der neue Subventionsvertrag kann frühestens auf Sommer 1994 in Kraft treten, da zuvor noch das kantonale Kulturförderungsgesetz in einer Volksabstimmung abgeändert werden muss [26].
In Basel-Stadt und Bern setzte sich das Volk gegen die Sparmassnahmen der politischen Behörden und für eine ungeschmälerte Beibehaltung des Kulturbetriebes ein. In Basel wurde in einer Zitterpartie – und nur mit 35 Stimmen Differenz – dem Theater eine dreijährige Verschnaufpause gegönnt, bevor es sich möglicherweise auf eine 30%ige Reduktion der Subventionen einstellen muss. In der Bundesstadt wehrte sich die Bevölkerung erfolgreich mit einer Petition an den Gemeinderat (Exekutive) gegen die drohenden Budgetkürzungen im Kulturbereich [27].
Nachdem die beiden damit beauftragten Architekten ihr Konzept für das geplante Kultur- und Kongresszentrum am See vorgestellt hatten und dessen Finanzierung dank nahmhafter Spenden gesichert schien, beschlossen die Legislativen von Stadt und Kanton Luzern den Beitritt zur Trägerschaft und bewilligten praktisch diskussionslos Stiftungseinlagen von 94 Mio bzw. 24 Mio Fr. Von privater Seite werden 45 Mio Fr. beigebracht. Damit hat das Projekt eine wichtige politische Hürde genommen, doch muss der Entscheid noch an der Urne bestätigt werden [28].
Mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 52,8% bewilligten die Stimmberechtigten der Stadt Zürich 1,53 Mio Fr. jährlich für den Betrieb und 12 Mio Fr. für den Kauf und die Sanierung des bisher provisorisch betriebenen Theaterhauses Gessnerallee. Nach fünfjährigem Versuchsbetrieb kann nun das Haus organisatorisch in einen regulären Theaterbetrieb überführt werden [29].
Empört reagierten Kulturschaffende und Publikum auf die Absicht des Zürcher Stadtrates (Exekutive), das Theater am Neumarkt Ende 1994 aus Spargründen zu schliessen. Der Gemeinderat (Legislative) lehnte die Schliessung ab, überwies aber eine Motion, die den Stadtrat beauftragt, bis März 1995 Bericht und Antrag über die Zukunft des Neumarkt-Theaters ab 1997 auszuarbeiten [30].
Während sich in Zürich die Situation beim ehemals hart umkämpften Kanzleischulhaus beruhigte, spitzte sie sich beim Wohlgroth-Areal, wo Jugendliche in den letzten zweieinhalb Jahren eine "autonome Kulturwerkstatt" eingerichtet hatten und darüber hinaus sieben Wohnhäuser besetzten, rasch zu, als bekannt wurde, dass die Besitzerin des Areals, die Oerlikon-Bührle, dort eine Überbauung realisieren und dem Experiment damit ein Ende setzen will. Nachdem die "Wohlgrothianer" die Offerte eines alternativen Standortes abgelehnt hatten, liessen die Stadtbehörden das Areal räumen, worauf es in der Zürcher Innenstadt zu mehreren Krawallen kam [31].
Sowohl der Basler Grosse Rat wie die Gemeinde Riehen sicherten dem geplanten Beyeler-Museum ihre Unterstützung zu. Die Sammlung des Galeristen Ernst Beyeler gilt mit ihren rund 160 Werken als eine der weltweit besten Kollektionen moderner Kunst [32].
 
[25] Lit. Guicciardi ; BaZ, BZ und TA, 7.4.93.
[26] TA, 6.9. und 8.10.93; NZZ, 18.9., 21.10. und 8.12.93.
[27] Basel: BaZ, 20.1., 18.2., 15.4., 16.4., 19.4. und 26.4.93. Bern: Bund, 16.2., 12.3. und 26.3.93.
[28] LNN, 9.1., 3.7., 28.8., 21.9. und 5.1 1.93. Siehe auch SPJ 1992, S. 277.
[29] TA, 24.6., 7.7., 2.11., 10.11. und 19.11.93; NZZ, 8.11. und 17.11.93; Presse vom 29.11.93.
[30] Presse vom 24.3.93; NZZ, 3.4., 13.5. und 4.6; TA, 17.6.93.
[31] NZZ, 9.10.93; Presse vom 13.11., 15.11., 16.11., 18.11., 20.11., 23.11. und 24.11. Siehe auch oben, Teil I, 1b (Politische Manifestationen). Für die teilweise Wiedereröffnung der Kanzleiturnhalle vgl. TA, 2.8., 6.8., 8.9. und 21.9.93.
[32] BaZ, 13.2., 31.3., 29.5. und 7.6.93.