Année politique Suisse 1994 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Das Parteiensystem
Eine Studie über die rund 6000 Lokalparteien der Schweiz relativiert die gängige Meinung, dass die demokratische Mitsprache in Ortsparteien noch intakt sei. Gemäss der Studie haben in der Regel die Führungsgremien einer Partei und nicht die Parteibasis das Sagen. Noch höher als bei konkreten politischen Stellungnahmen sei dabei der Einfluss des Parteivorstandes auf Kandidaturen für kommunale Ämter. Neben dem Vorstand verfügen die in ihrer jeweiligen Lokalpartei Aktiven über erheblichen Einfluss, jedoch nur in Sachfragen. Die Sektionen der drei bürgerlichen Bundesratsparteien seien besonders "vorstandslastig", allen voran die FDP, während bei linken und grünen Lokalparteien die Aktiven dominierten. Auf lokaler Ebene können die Autoren keine Politikverdrossenheit feststellen, ebenfalls kein Nachwuchsproblem; im Gegenteil, die Lokalparteien expandieren. Gemäss Hochrechnungen partizipieren in der Schweiz rund 160 000 Männer (etwa 6% der Stimmbürger) und 80 000 Frauen (etwa 3% der Stimmbürgerinnen) an kommunalen Parteigruppierungen. Mit mehr als drei Viertel aller Parteimitglieder sind die Bundesratsparteien in der Basis gut verankert. Ortsparteien betonen aber ihre politische Eigenständigkeit und handeln autonom, trotz sehr beschränkten finanziellen Ressourcen [1].
Bundespräsident Otto Stich forderte an den ausserordentlichen Von-Wattenwyl-Gesprächen mehr Teamgeist und Unterstützung von den Bundesratsparteien. Diese müssten "verbindlich eingebunden werden in die Gestaltung und Durchführung der Bundespolitik". FDP, SP, CVP und SVP reagierten jedoch in erster Linie mit Kritik an der Landesregierung [2].
Die Uneinigkeit der Bundesratsparteien zeigte sich auch bei den eidgenössischen Abstimmungen: nur in fünf von dreizehn Abstimmungen (1993: 11 von 16) konnten sie sich auf eine gemeinsame Parole einigen. Während die CVP und die FDP Bundesrat und Parlament in sämtlichen Vorlagen folgten, scherten die SVP und die SP je viermal aus, jedoch nie gemeinsam. FDP, CVP und SVP wurden vom Stimmvolk je viermal desavouiert, die SP sechsmal. Die SP konnte sich einmal, bei der Alpeninitiative, gegen die drei bürgerlichen Bundesratsparteien durchsetzen.
Alle vier Regierungsparteien legten im Berichtsjahr Massnahmen zur Sanierung des Bundesbudgets vor. Dabei ergaben sich insbesondere Differenzen in der Frage der Mehreinnahmen in Form neuer Steuern, für die sich als einzige Partei die SP aussprach. Die SP wehrte sich auch vehement gegen Einsparungen bei den Sozialversicherungen, insbesondere bei der Arbeitslosenkasse, wie sie FDP und SVP vorschlugen.
In der Drogenfrage scherte die SVP mit einem eigenen Drogenkonzept aus, nachdem sich die anderen drei Regierungsparteien grundsätzlich auf eine Zusammenarbeit einigen konnten. Als einzige Partei stellte sie sich gegen die kontrollierte Drogenabgabe und den straffreien Drogenkonsum.
Zu den einzelnen Parteien vgl. auch die Tabelle Abstimmungsparolen 1994 (parolen_1994.pdf) sowie oben, Teil I, 1e (Wahlen) und die verschiedenen Sachkapitel [3].
 
[1] Lit. Geser; SGT und BaZ, 29.6.94; NZZ, 12.7.94.1
[2] SoZ, 3.7.94; BZ, 12.11.94.2
[3] Siehe auch die Serie "Vor einem Umbruch der helvetischen Parteienlandschaft?", in Bund, 26.11., 28.11., 1.12., 3.12., 7.12., 8.12., 12.12., 14.12. und 17.12.94.3