Année politique Suisse 1994 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Sozialdemokratische Partei (SP)
Die SP verabschiedete am Parteitag ihr Wirtschaftsprogramm für die Jahre 1994 bis 2005 unter dem Titel "Mit radikalen Reformen die Zukunft gestalten". Mit knappem Mehr entschieden die Delegierten, dass die Reformen innerhalb des herrschenden kapitalistischen Systems durchzuführen seien. Die Überwindung des Kapitalismus stelle für die nächsten zwölf Jahre kein Ziel der SP mehr dar, da die Partei der herrschenden Wirtschaftsordnung zurzeit kein grundlegend neues und glaubwürdiges Konzept entgegenzusetzen habe. Der Abschied von der traditionellen grundsätzlichen Kapitalismuskritik sorgte innerhalb der Partei für eine breite, kontroverse Diskussion. Nationalrätin Margrith von Felten (BS) schalt das Papier in einem Rückweisungsantrag als "Arrangement mit den herrschenden Verhältnissen". Ausserdem kritisierte die zentrale Frauenkommission der Partei, dass Frauenforderungen im Wirtschaftsprogramm zu wenig berücksichtigt würden. Insgesamt hatten über 400 Sektionen und Kantonalparteien Änderungsanträge eingereicht. Ein Antrag der Zürcher Kantonalsektion, der forderte, das Ziel des sozialen Friedens sei aus dem Programm zu streichen, wurde von den Delegierten knapp und etwas überraschend mit dem Argument angenommen, die Sozialpartnerschaft werde von den Arbeitsgebern verletzt. Das über 100seitige Wirtschaftskonzept fordert eine sozialere und ökologischere Schweiz, mehr Wettbewerb und Transparenz der Schweizer Wirtschaft, eine neue Landwirtschaftspolitik und eine Reform des Bildungswesens [17].
Gegen Ende des Berichtsjahres kritisierte die SP die Geldpolitik der Nationalbank. Die Auswirkungen der von ihr betriebenen Inflationsbekämpfung (steigende Zinssätze und Höherbewertung des Frankens) würgten die Binnenkonjunktur ab und verstärkten die Arbeitslosigkeit. Die SP verlangte neben finanzpolitischen Massnahmen auch einen Beitrag der Nationalbank an die von ihr mitverursachten Kosten im Sozialbereich [18].
Als einzige Regierungspartei wollte die SP für die Sanierung der Bundeskasse neben Einsparungen von 3,2 Mia Fr. auch auf Mehreinnahmen von 1,6 Mia Fr. zurückgreifen. Vorgeschlagen wurde von der SP-Fraktion etwa eine Erhöhung des Treibstoffgrundzolls um 20 Rappen und eine Reichtumssteuer. Ausserdem forderte die Partei die Einfrierung der realen Landwirtschaftsausgaben und die Sanierung der SBB auf Kosten der Strassenrechnung. Ein Moratorium im Sozialwesen, wie es von Arbeitgeberseite gefordert worden war, wies die Partei zurück und sprach sich im Gegenteil für mehr Sozialstaat aus [19].
Die 10. AHV-Revision und das in letzter Minute heraufgesetzte Rentenalter für Frauen stürzte die SP in ein Dilemma. Während sich der Parteivorstand und Präsident Bodenmann für ein Referendum gegen die 10. AHV-Revision stark machten, setzten sich andere namhafte SP-Vertreter dafür ein, die positiven Errungenschaften der Vorlage zu retten und die Erhöhung des Frauenrentenalters von 62 auf 64 Jahre mit einer Initiative rückgängig zu machen. Die Partei war in der Frage der 10. AHV-Revision so gespalten, dass sie zur Klärung den seit 1921 nie mehr praktizierten Weg einer Urabstimmung beschloss [20].
Die SP bekräftigte ihr Ziel eines Vollbeitritts zur Europäischen Union und sie unterstützte eine entsprechende Volksinitiative. In einem Grundlagenpapier zur Aussenpolitik vertrat ausserdem eine parteiinterne Arbeitsgruppe die Ansicht, dass die Neutralität aussenpolitisch bedeutungslos geworden sei und der Mythos Neutralität durch eine breite Debatte zerstört werden müsse [21].
Bei den eidgenössischen Abstimmungen scherte die SP bei der Alpeninitiative und dem Luftfahrtgesetz von der bundesrätlichen Linie aus. Als einzige Regierungspartei war sie auch für das von ihr mitunterstützte Referendum gegen die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht und die von ihr gemeinsam mit dem Gewerkschaftsbund eingereichte Krankenversicherungsinitiative. Das Volk gab der SP nur gerade in sieben von 13 Vorlagen recht, darunter die Alpeninitiative.
Bei den kantonalen Wahlen verlor die SP insgesamt vier Parlamentssitze, konnte aber in den Kantonen Glarus und Jura je einen Exekutivsitz zurückgewinnen.
 
[17] NZZ, 17.6.94; TA, 18.6.94; Presse vom 20.6.94. Siehe auch SPJ 1993, S. 320.17
[18] DAZ, 2.12.94. Vgl. dazu auch oben, Teil I, 4b (Geld- und Währungspolitik).18
[19] TA und NZZ, 28.6.94. Vgl. auch SP-Broschüre Sozial, umweltbewusst und solidarisch, Bern 1994.19
[20] NZZ, 10.10.94; BZ, 21.11.94. Siehe dazu oben, Teil 1, 7c (AHV).20
[21] SGT und BZ, 21.2.94.21