Année politique Suisse 1994 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique / Strafrecht
Auf Wunsch der Kantone und der Parteien verlängerte der Bundesrat die Frist für die im Vorjahr begonnene Vernehmlassung über den Expertenentwurf für die
Revision des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs. Er kündigte an, dass er deshalb die Botschaft wohl erst in der nächsten Legislatur dem Parlament werde vorlegen können. Für die geforderte beschleunigte Behandlung der Bestimmungen, welche die Umwandlung von kurzen Freiheitsstrafen in eine Arbeitsverpflichtung vorsehen, sah er einstweilen keinen Anlass. In der Vernehmlassung wurde die Reform von allen Bundesratsparteien grundsätzlich begrüsst. Die FDP und die SVP forderten aber eine Überarbeitung, da der Vorentwurf zu sehr auf die Wahrung der Interessen der Straftäter angelegt sei. In dieselbe Richtung zielte auch die von Staatsanwälten und einzelnen Strafrechtsexperten geäusserte Kritik. Beanstandet wurde insbesondere auch die Ausdehnung der Obergrenze für die Möglichkeit des bedingten Strafvollzugs von 18 auf 36 Monate. CVP, SP und SVP schlugen als Alternative das in Frankreich und Belgien praktizierte Modell des teilbedingten Strafvollzugs vor, bei dem ein Teil der Strafe auf jeden Fall abgesessen werden muss
[30].
Für einiges Aufsehen sorgten Berichte von Amnesty International (AI) und des UNO-Komitees gegen die Folter über die
Haftbedingungen in der Schweiz. Im ersten Bericht wurde über Misshandlungen von Ausländern während der Polizeihaft namentlich in Genf berichtet. Im zweiten wurde gefordert, den von der Polizei Festgenommenen sofortigen Kontakt mit Angehörigen und Anwälten zu garantieren. Folter im Sinn der internationalen Konventionen kommt nach dem Urteil der UNO-Kommission in der Schweiz nicht vor
[31]. Namentlich der Bericht von AI, der nicht von der Schweizer Sektion, sondern von der Londoner Zentrale aufgrund von nicht überprüften Zuschriften von angeblich Misshandelten verfasst worden war, blieb nicht unwidersprochen. Dass es bei Festnahmen nicht immer gewaltfrei zugeht, wurde zwar auch von der Polizei zugegeben, Misshandlungen würden aber, sofern eine Beschwerde vorliege, untersucht und disziplinarisch geahndet. Der Bundesrat räumte in seiner Stellungnahme zu einem im Vorjahr publizierten Inspektionsbericht des Europäischen Komitees gegen die Folter ein, dass in einem Teil der Polizeigefängnisse die räumlichen Verhältnisse unbefriedigend sind
[32].
Der Nationalrat überwies ein Postulat Morniroli (lega, TI), das die
Übertragung des Strafvollzugs an Private anregt; praktische Erfahrungen mit diesem System haben bisher v.a. die USA und Australien gemacht
[33]. Er stimmte im weiteren auch der vom Ständerat in der Frühjahrssession verabschiedeten Motion Schmid (cvp, AI) für eine Verbesserung der Aussagekraft der
Kriminalstatistik, namentlich im Hinblick auf den Anteil ausländischer Straftäter, zu
[34].
Vor allem aus der Überlegung heraus, dass
sexuell missbrauchte Kinder den Schritt an die Öffentlichkeit oft erst nach langer Zeit wagen, verlangte der Ständerat mit der Überweisung einer Motion Béguin (fdp, NE) die Heraufsetzung der
Verjährungsfrist für gewaltfreie Handlungen gegen die sexuelle Integrität von 5 auf 10 Jahre. Der Bundesrat bekämpfte diesen Vorstoss vergeblich mit dem Argument, dass anlässlich der Revision des Sexualstrafrechts das Parlament explizit eine Verkürzung der Verjährungsfrist bei gewaltfreien Vergehen beschlossen habe. Damit sollten Kinder davor geschützt werden, noch nach mehreren Jahren in eine gerichtliche Untersuchung hineingezogen zu werden
[35].
[30] Verlängerung:
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1222 f. Stellungnahmen:
BZ, 24.2.94 und
Blick, 19.3.94 (Staatsanwälte);
NZZ, 19.3. (Experten) und 15.6.94 (Schweiz. Kriminalistische Gesellschaft; siehe dazu auch
Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht, 1994, S. 354 ff. und 432 ff.);
TA, 6.5.94 (teilbedingter Vollzug);
Bund, 16.5.94. Replik auf den Vorwurf der "Täterfreundlichkeit":
Lit. Kunz sowie
TA, 28.5.94. Vgl. auch
SPJ 1993, S. 26.30
[31] AI-Bericht:
Bund,
TA und
24 Heures, 19.4.94. UNO-Bericht:
BaZ, 29.4.94.31
[32] Reaktion auf AI-Bericht:
BaZ, 27.4. und 16.5.94;
Bund, 29.4.94;
TA, 10.5.94. BR:
NZZ, 10.6.94.32
[33]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1050 f. Vgl. dazu
SHZ, 23.6.94;
TA, 2.7. und 25.8.94.33
[34]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 141 f.;
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2447. Zum Anteil der Ausländer in der Kriminalstatistik siehe auch
Lit. BfS sowie
NZZ, 26.2.94.34
[35]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 834 ff. Zuvor hatten bereits rund 40 Frauenorganisationen und die SPS die gleiche Forderung erhoben (
SGT, 27.5.94).35
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