Année politique Suisse 1994 : Economie / Politique économique générale
Strukturpolitik
Im Zusammenhang mit der Ratifikation des neuen Welthandelsabkommens (
GATT-WTO) legte der Bundesrat auch eine Reihe von kleineren, vor allem die Verfahren betreffende Gesetzesanpassungen in den Bereichen geistiges Eigentum, Markenschutz, Muster und Modelle sowie Erfinderpatente vor. Die drei erstgenannten Vorlagen wurden von der Bundesversammlung in der Dezembersession diskussionslos verabschiedet; dagegen stimmten nur die beiden PdA-Vertreter, welche das WTO-Abkommen grundsätzlich ablehnten. Grösser war die Opposition gegen die Anpassung des Gesetzes über Erfinderpatente, wo im Nationalrat die SP und die Grünen vergeblich versuchten, ein Verbot für die Patentierung von genetisch veränderten Pflanzen und Tieren in die Bestimmungen aufzunehmen
[14].
Die kleine Kammer befasste sich als Erstrat mit der im Vorjahr von der Regierung vorgelegten
Teilrevision des Bundesgesetzes über Erfinderpatente. Da sich diese weitgehend auf technische Bestimmungen beschränkt und insbesondere die Regelung der Gentechnologie ausklammert, blieb sie unbestritten und wurde ohne Änderungen gutgeheissen
[15].
Als Zweitrat stimmte der Ständerat auch der Teilrevision des Gesetzes über die Kontrolle des Verkehrs mit
Edelmetallen und -metallwaren zu
[16].
Das EJPD führte im Herbst eine Vernehmlassung über eine Teilrevision des Markenschutzgesetzes durch. Diese soll - eventuell ergänzt durch Anpassungen beim Landwirtschaftsgesetz und beim Weinbeschluss - die
Herkunftsbezeichnungen typischer Produkte aus den Bergregionen aufwerten und besser schützen
[17].
In der 1993 durchgeführten Vernehmlassung war der Vorentwurf für eine Neufassung des Bundesbeschlusses über die
Finanzierungsbeihilfen für wirtschaftlich bedrohte Regionen (der nach dem damaligen Direktor des BIGA benannten Bonny-Beschluss) namentlich von Unternehmerseite (Vorort und SGV), aber auch von der FDP und der SVP mit ordnungspolitischen Argumenten arg zerzaust worden. Auf der anderen Seite protestierten insbesondere die welschen Kantone dagegen, die seit 1978 gültigen Bestimmungen Ende Februar ersatzlos auslaufen zu lassen. Nach Gesprächen mit den Kantonen und den Wirtschaftsverbänden beauftragte der Bundesrat das EVD, den Vorentwurf zu überarbeiten und ihn noch im Frühjahr vorzulegen
[18].
Die Wirtschafts- und Abgabenkommission des Nationalrats (WAK-NR) war inzwischen davon ausgegangen, dass der Bundesrat möglicherweise auf die Vorlage einer Botschaft verzichten würde und verabschiedete deshalb am 26. April eine
parlamentarische Initiative für eine Weiterführung des Bonny-Beschlusses um maximal drei Jahre
[19].
Einen Tag später legte der Bundesrat seine Botschaft über "Massnahmen zur Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur und der Standortattraktivität der Schweiz" vor. Allgemein stellte er darin fest, dass im internationalen Vergleich das Ausmass der staatlichen Beihilfen an private Unternehmer in der Schweiz sehr niedrig ist. In den vergangenen 15 Jahren hatte der Bund insgesamt 54 Mio Fr. im Rahmen des Bonny-Beschlusses ausgegeben (25 Mio Fr. für Bürgschaftsverluste und 29 Mio Fr. für Zinskostenbeiträge). Damit hatte er mehr als 500 Vorhaben mit einer Investitionssumme von rund 2,5 Mia Fr. gefördert. Eine Evaluation der Auswirkungen dieser relativ bescheidenen Massnahmen habe günstige Resultate ergeben, weshalb eine an die Entwicklung angepasste Weiterführung angezeigt sei. Die Vorlage orientiert sich weitgehend am Vernehmlassungsentwurf; die Massnahmen sollen während zehn Jahren wirksam sein. Wie bisher sollen in bestimmten Regionen private Neuansiedlungen und -gründungen von Unternehmungen sowie innovative Investitionen ansässiger Firmen unterstützt werden.
Als Instrumente sind dabei Bürgschaften und Steuererleichterungen, im Gegensatz zu den alten Bestimmungen aber keine Zinskostenbeiträge vorgesehen. Der örtliche Gültigkeitsbereich wurde neu definiert: Es sollen nicht mehr nur Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Monokulturen - die es, bezüglich der Monokultur, ohnehin praktisch nicht mehr gibt - von den Massnahmen profitieren, sondern sogenannte
"wirtschaftliche Erneuerungsgebiete". Als Hauptkriterium zur Bestimmung dieser Gebiete dient wie in der EU die über eine längere Periode ausgewiesene Arbeitslosenquote; dazu kommen noch die Beschäftigungsentwicklung und das Pro-Kopf-Einkommen. Mit diesen beiden Zusätzen soll verhindert werden, dass Firmen in Grossstadtagglomerationen, die wirtschaftlich hoch entwickelt sind, aber hohe Arbeitslosenraten aufweisen, unterstützt werden. Im Rahmen derselben Botschaft beantragte die Regierung zudem zwei weitere Bundesbeschlüsse. Der erste soll es dem Bund erlauben, bei der
Werbung im Ausland für die Ansiedlung von Unternehmen eine Informations- und Koordinationsrolle zu übernehmen. Der zweite regelt die Unterstützung der für kleine und mittlere Unternehmen konzipierten Informations- und Beratungsstellen über den Zugang zum europäischen Binnenmarkt (
Euro-Info-Centres). Bezüglich des Vorgehens empfahl der Bundesrat, die parlamentarische Initiative der WAK des Nationalrats fallenzulassen und seinen eigenen Vorschlag in einem beschleunigten Verfahren zu behandeln, damit er auf Anfang 1995 in Kraft gesetzt werden kann
[20].
Die WAK war mit diesem Ratschlag nicht einverstanden und beantragte dem
Nationalrat in der Junisession, an ihrer
eigenen Initiative als Übergangslösung festzuhalten, und damit Zeit für eine eingehende Beurteilung der vom Bundesrat vorgeschlagenen Neuorientierung des Bonny-Beschlusses zu gewinnen. Grundsätzlich gegen eine Weiterführung der staatlichen Unterstützung privater Unternehmen in bestimmten Regionen wandten sich nur die FP und Minderheiten der FDP und der SVP. Zuerst lehnte der Rat mit 128:22 Stimmen einen Nichteintretensantrag Stucky (fdp, ZG) ab. In der Detailberatung trug er dann dem auch in der bundesrätlichen Botschaft erwähnten Umstand Rechnung, dass das für die Unterstellung unter den Bonny-Beschluss erforderliche Kriterium der industriellen Monokultur heute für keine Region mehr zutrifft. Eine Streichung dieser Bestimmung und eine ausschliessliche Ausrichtung auf die Beschäftigungslage schien dem Rat jedoch nicht opportun, da dies die Subventionierung von Privatbetrieben in reichen Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, wie etwa Genf oder Basel, zur Folge gehabt hätte. Der Nationalrat folgte deshalb einem Antrag Zwahlen (cvp, BE), der - analog zum Projekt des Bundesrates -
anstelle der monostrukturellen Ausrichtung einen erheblich unter dem Landesmittel liegenden
Entwicklungsstand verlangt. Um diese Weiterführung des revidierten Bonny-Beschlusses als Übergangslösung zu kennzeichnen, reduzierte der Rat die Gültigkeitsdauer auf zwei Jahre und erklärte ihn für dringlich
[21].
Im
Ständerat wandten sich namentlich die beiden Appenzeller Vertreter gegen die als ordnungspolitischen Sündenfall bezeichnete staatliche finanzielle Unterstützung von Privatfirmen; sie fanden aber kaum Gehör. Die Kammer schloss sich dem Nationalrat an, fügte jedoch hinzu, dass die für maximal zwei Jahre vorgesehene Übergangslösung bei Inkrafttreten des vom Bundesrat beantragten neuen Beschlusses vorzeitig auslaufen soll. In der Schlussabstimmung verabschiedete der Nationalrat die Weiterführung des adaptierten Bonny-Beschlusses mit 127 gegen 28 aus dem rechtsbürgerlichen Lager stammenden Stimmen; im Ständerat lautete das Stimmenverhältnis 30 zu 5
[22].
Der Bundesrat setzte den Beschluss auf Anfang Juli in Kraft und definierte in einer
Verordnung die für die Begünstigung erforderlichen
Kriterien: eine im Mittel der letzten drei Jahre um 10% über dem Landesmittel liegende Arbeitslosenquote oder eine unterdurchschnittliche Beschäftigungsentwicklung oder Anzeichen, dass eine dieser Bedingungen in naher Zukunft erfüllt sein könnte. Diese Kriterien sind alternativ und nicht kumulativ; Regionen mit hohem Volkseinkommen und verkehrsgünstiger Lage werden jedoch auch dann nicht berücksichtigt, wenn sie eines dieser Kriterien erfüllen. Diese Neudefinition hatte zur Folge, dass der geografische Geltungsbereich gegenüber der alten Regelung ungefähr verdoppelt wurde; in ihm wohnt knapp ein Viertel der Landesbevölkerung. Zu den Nutzniessern zählt
praktisch die gesamte französischsprachige Schweiz mit Ausnahme der Agglomerationen Genf und Lausanne sowie weite Teile des Tessins. In der Deutschschweiz fanden nur ein Grossteil des Kantons Solothurn, die grösseren Talorte des Oberwallis, die Regionen Biel und Thun, der östliche Teil der Bodenseeregion sowie einige industrialisierte Berggebiete in den Kantonen Uri, Glarus, Graubünden und St. Gallen Berücksichtigung
[23].
Die
WAK des Ständerats fällte im Herbst erste Entscheide zur
bundesrätlichen Vorlage. Mit knapper Mehrheit stimmte sie der Neufassung des Bonny-Beschlusses und der Unterstützung des Standortmarketings im Ausland zu. Sie lehnte jedoch die Beiträge an die Informationsstellen für kleine und mittlere Unternehmen zum europäischen Binnenmarkt ab
[24].
Im Auftrag der nationalrätlichen GPK hatte die Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle die
regionalpolitische Koordination der Politik des Bundes untersucht. Diese kam in ihrem Bericht zum Schluss, dass eine Koordination weitgehend fehlt oder nicht funktioniert. Zudem konstatierte sie eine fehlende Kohärenz und Zielorientierung bei der bundesstaatlichen Regionalpolitik
[25]. Der Ständerat überwies die im Vorjahr von der grossen Kammer gutgeheissene Motion Brügger (sp, FR) für eine umfassende Überprüfung der Regionalpolitik ebenfalls. Der Nationalrat verabschiedete in der Sommersession eine Motion Seiler (svp, BE) für eine umfassende Überprüfung der eidgenössischen Regionalpolitik und für darauf abgestützte Verbesserungsmassnahmen
[26].
Die Kantone Bern, Freiburg, Neuenburg und Solothurn, zu denen sich später auch noch der Jura gesellte, beschlossen, einen
"Wirtschaftsraum Mittelland" zu gründen. In dessen Rahmen soll insbesondere die Zusammenarbeit im Bildungs-, Wirtschaftsförderungs- und Verkehrsbereich verbessert werden
[27].
Die im Vorjahr aufgrund einer vom EVD in Auftrag gegebenen Evaluation eingeleitete Reform der
Schweizerischen Verkehrszentrale fand ihren Niederschlag auch auf gesetzgeberischer Ebene. Der Bundesrat beantragte dem Parlament eine Teilrevision des aus dem Jahre 1955 stammenden Bundesbeschlusses über diese Tourismusförderungsorganisation. Er schlug dabei eine modernere, marketingkonformere Aufgabenumschreibung und eine straffere Leitungsorganisation vor; die Institution soll den Namen "Tourismus Schweiz" erhalten. Der Grundsatz der finanziellen Unterstützung durch den Bund soll dauerhaft festgeschrieben werden; über deren Höhe wird in Zukunft das Parlament mit einem einfachen, nicht dem Referendum unterstehenden Bundesbeschluss entscheiden. Für die Periode 1995-1999 beantragte die Regierung, die Subvention real auf dem Stand von 1993 zu belassen
[28]. Das Parlament stimmte diesen Vorschlägen zu. Im Ständerat fiel die Schlussabstimmung einstimmig aus, im Nationalrat votierte nur Blocher (svp, ZH) dagegen
[29].
Der Nationalrat wandte sich mit der Überweisung eines Postulats Columberg (cvp, GR) gegen den Beschluss des Bundesrates, im Rahmen der Sparmassnahmen die Erhebungen des Bundesamtes für
Statistik über die Übernachtungen in der
Parahotellerie (v.a. Ferienwohnungen und Campingplätze) nicht mehr weiterzuführen
[30].
Nach der Aufhebung des Verfassungsartikels über das Spielbankenverbot im Vorjahr setzte der Bundesrat eine Kommission für die Ausarbeitung eines
Spielbankengesetzes ein. Die Interessengegensätze innerhalb dieses Gremiums erwiesen sich jedoch als so gross, dass es aufgelöst werden musste. Die von einer kleineren Expertenkommission weitergeführten Arbeiten konnten aber noch vor Jahresende abgeschlossen werden
[31].
[14]
BBl, 1994, IV, S. 950 ff.;
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2317 ff., 2320 ff. (Patente) und 2533 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 1156 f. und 1356 f.;
BBl, 1994, V, S. 1087 f., 1089, 1090 ff. und 1095 ff. Zur WTO siehe oben, Teil I, 2 (Organisations internationales). Zur Patentierung von gentechnologischen Erfindungen siehe
SPJ 1993, S. 103 und 250 f. sowie unten, Teil I, 8a (Recherche).14
[15]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 735 ff. Vgl.
SPJ 1993, S. 103.15
[16]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 380 ff., 635 und 776;
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 935 und 1252;
BBl, 1994, III, S. 303 ff. Vgl.
SPJ 1993, S. 103.16
[17]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1887 f. Vgl. auch
SPJ 1993, S. 103.17
[18] Proteste aus der Westschweiz:
JdG, 17.1.94;
NQ, 24.1., 3.2. und 17.2.94. BR:
NZZ, 24.1. und 5.2.94; Presse vom 17.2.94. Zur Vernehmlassung siehe
SPJ 1993, S. 104 f. Vgl. auch
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 416 ff. (Diskussion über eine Interpellation der SP-Fraktion).18
[19]
BBl, 1994, III, S. 241 ff. (parl. Initiative) und 251 f. (Stellung des BR dazu).19
[20]
BBl, 1994, III, S. 353 ff.; Presse vom 28.4.94. Zu den bisherigen Ausgaben siehe auch
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 873. Zu den Euro-Info-Centres vgl.
Die Volkswirtschaft, 67/1994, Nr. 1, S. 38 ff.20
[21]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 832 ff., 872 ff. und 1117 f. (Dringlichkeitsklausel); Presse vom 7.6.94.21
[22]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 623 ff., 735 (Dringlichkeitsklausel) und 774;
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1045 f. und 1247 f.;
BBl, 1994, III, S. 253;
AS, 1994, S. 1403 ff.22
[23]
AS, 1994, S. 1608 ff.;
NZZ, 1.7. und 14.7.94. Liste der Regionen:
BBl, 1994, III, S. 921 f. und V, S. 215 f.;
NQ, 25.10.94;
Express, 24.12.94.23
[24]
Lib., 5.11.94. Die laufenden Beiträge von jährlich 1 Mio Fr. an die Euro-Info-Centres werden über den Kredit für die Schweiz. Zentrale für Handelsförderung finanziert (vgl. dazu oben, Teil I, 2 (Commerce extérieur suisse).24
[25]
BBl, 1994, V, S. 774 ff.;
NZZ, 5.9.94.25
[26]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 1027;
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1182. Zur Motion Brügger siehe
SPJ 1993, S. 104.26
[27] Siehe dazu oben, Teil I, 1d (Beziehung zwischen Bund und Kantonen).27
[28]
BBl, 1994, III, S. 1121 ff. und 1148 (Subvention). Vgl. auch
SPJ 1993, S. 104. Zur Evaluation siehe auch die Interpellation Vetterli (svp, ZH) in
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1209 f. Zur Vernehmlassung siehe auch
LZ, 11.4.94.28
[29]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 881 ff., 1279 und 1355;
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2259 ff. und 2531 f.;
BBl, 1994, V, S. 1134 f.29
[30]
NZZ, 15.2.94;
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1192 f.30
[31]
Gesch.ber. 1994, Teil 2, S. 112. Siehe auch
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2491 f. und 2560 f. sowie
SPJ 1993, S. 103 f.31
Copyright 2014 by Année politique suisse