Année politique Suisse 1994 : Infrastructure, aménagement, environnement / Sol et logement
 
Raumplanung
Die Bundesbeschlüsse über die Sperrfrist zur Weiterveräusserung und die Pfandbelastungsgrenze für nichtlandwirtschaftliche Grundstücke, die 1989 als dringliche bodenrechtliche Sofortmassnahmen beschlossen worden waren und welche die Spekulation und Nachfrage nach Boden und Wohnungen dämpfen sollten, liefen Ende 1994 aus. Beide Massnahmen waren 1992 vom Parlament gelockert worden. Der Bundesrat verzichtete angesichts der veränderten Lage auf dem Bodenmarkt - nachlassende Kaufkraft und Nachfrage, zurückhaltende Kreditgewährung - vorerst auf eine Weiterführung dieser Bundesbeschlüsse. Massnahmen erübrigten sich unter anderem auch wegen einer neuen Bestimmung des ZGB, wonach die Kantone seit 1. Januar 1994 jede Eigentumsübertragung von Grundstücken publizieren müssen [1].
Die vom Bundesrat im März 1993 in die Vernehmlassung gegebenen Massnahmen zur Ablösung der 1989 vorgelegten befristeten Eingriffe im Bodenrecht waren von bürgerlichen Kreisen derart zerzaust worden, dass der Bundesrat darauf verzichtete, sie dem Parlament vorzulegen. Das Programm hatte vier Punkte - das Vorkaufsrecht für Mieter, das Vorkaufsrecht für Gemeinden, die Pflicht zur Publikation von Kaufpreisen nach Handänderungen sowie das private Erschliessungsrecht - vorgesehen. Die bürgerlichen Parteien (ohne Teile der CVP) sowie der Hauseigentümerverband und eine knappe Mehrheit der Kantone lehnten das Vorkaufsrecht als eigentumsfeindlich und marktbehindernd ab. Der Vorschlag der Publikation von Kaufpreisen nach Handänderungen wurde mit dem Argument bekämpft, er verstosse gegen den Datenschutz. Bundesrat Koller sprach von einer Patt-Situation im Bodenrecht und behielt sich vor, auf die Vorkaufsrechte zurückzukommen. Er legte im Mai lediglich eine Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG) bezüglich der Vorschriften über die Erschliessung von Bauzonen vor, welche die heute bestehende Möglichkeit der Kantone, das sogenannte Recht auf Privaterschliessung zu gewähren, in eine Pflicht umwandelt. Zudem wird mit der Revision klargestellt, dass der Grundeigentümer einen Anspruch auf die zeitgerechte Erschliessung seines Baulandes hat und ihm zu dessen Durchsetzung die Rechtsmittel des RPG offenstehen. Von kantonaler Seite wurde kritisiert, dass das neue Erschliessungsrecht unnötigen Zentralismus bringe in einen Bereich, den Kantone und Gemeinden bisher autonom regeln konnten [2].
Erfolgreicher war im Vernehmlassungsverfahren vom Herbst 1993 der Entwurf zur Vereinfachung, Beschleunigung und Koordination der Bewilligungsverfahren für Bauten und Anlagen, den der Bundesrat in derselben Botschaft ebenfalls als Teilrevision des RPG vorlegte. Gemäss dieser sollen die Kantone verpflichtet werden, Fristen für die Verfahren zu setzen. Weiter werden gewisse Minimalanforderungen an die Koordination der Baubewilligungen gestellt, ein Anspruch auf widerspruchsfreie Verfügungen verankert sowie die Konzentration des Beschwerdeverfahrens bei einer einzigen kantonalen Behörde vorgeschrieben. Die SP sowie verschiedene Kantone, darunter Zürich, lehnten die Revision als unnötig und sinnlos ab. Umweltorganisationen befürchteten von der zeitlichen Straffung der Verfahren die Vernachlässigung von Umwelt- und Landschaftsschutzinteressen. Der Ständerat wird die Revision des RPG als Erstrat in der Januar-Sondersession 1995 behandeln [3].
Eine vom Obwaldner Landammann Adalbert Durrer (cvp) präsidierte Expertenkommission befasste sich mit der Umsetzung einer 1991 überwiesenen Motion Zimmerli (svp, BE), welche eine Lockerung des Raumplanungsgesetzes (RPG) im Bereich Landwirtschaft und Landschaft fordert. Die Experten schlugen vor, dass in der Landwirtschaftszone nicht mehr nur bodenabhängige Nutzungen möglich sein sollen. Zugelassen wären künftig auch Bauten und Anlagen, die zur langfristigen Erhaltung eines Landwirtschafts- oder Gartenbaubetriebs dienen. Darunter fallen auch bodenunabhängige Betriebsteile wie die Intensivmast oder Hors-sol-Kulturen und Anlagen für die Aufbereitung, die Lagerung und den Verkauf von betriebseigenen Erzeugnissen. Mit einem erweiterten Ausnahmetatbestand im RPG sollen die Kantone ausserdem die Kompetenz erhalten, Zweckänderungen von bestehenden Bauten ausserhalb der Bauzone zuzulassen, wenn das dadurch erzielbare Einkommen zur langfristigen Erhaltung des landwirtschaftlichen oder gartenbaulichen Betriebs erforderlich ist. Nicht beanspruchte landwirtschaftliche Gebäude könnten als Ferienwohnungen genutzt werden. Der vom Bundesrat in die Vernehmlassung geschickte Kommissionsvorschlag stiess in Umweltkreisen, bei Parteien und der Wirtschaft auf massive Kritik und wurde auch von einer Mehrheit der Kantone abgelehnt. So würde gemäss vielen Kritikern die bisherige strikte Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet unterlaufen, und es drohe eine beschleunigte Zersiedelung. Auf Opposition stiess vor allem auch die Zulassung bodenunabhängiger Agrar-Industrie. So befürchtete das Gewerbe eine Privilegierung der Bauern, welche auf billigstem Boden auf gewerbliche Tätigkeit umsteigen könnten. Nur die SVP und der Schweizerische Bauernverband begrüssten die Vorlage vorbehaltlos [4].
Das Bundesgericht trat auf eine staatsrechtliche Beschwerde gegen einen Beschluss des Kantons Wallis von 1993 über die "Erhaltung der Bausubstanz ausserhalb der Bauzonen" nicht ein. Es stützte damit die neue Praxis im Kanton Wallis, die Maiensäss- oder Erhaltungszonen vorsieht und wonach allein die kantonale Baukommission darüber zu entscheiden hat, welche Gebäude ausserhalb der Bauzone schutzwürdig und damit gegebenenfalls für einen Umbau geeignet sind. Das Bundesamt für Raumplanung äusserte Zweifel an der Rechtsmässigkeit der neuen "Lex Wallis", will aber weitere Erläuterungen des Bundesgerichtes abwarten [5].
Grossflächige Gewächshäuser für die Produktion von Hors-sol-Gemüse dürfen nach einem Entscheid des Tessiner Verwaltungsgerichts nicht in der Landwirtschaftszone der Magadino-Ebene gebaut werden. Erstmals äusserte sich damit ein Schweizer Gericht klar zur Zonenkonformität der industriellen Hors-sol-Produktion. Falls das Bundesgericht den Tessiner Entscheid bestätigt, will der WWF, der die Beschwerde eingereicht hatte, verlangen, dass alle künftigen Hors-sol-Projekte in der Industrie-/Gewerbezone oder in Spezialzonen zu verwirklichen seien [6].
Eine Motion Bisig (fdp, SZ) verlangte eine Revision des RPG (Art. 24) mit dem Ziel, Infrastrukturanlagen für die Erschliessung von Bauzonen auch ausserhalb des Baugebietes zuzulassen bzw. die Ausnahmemöglichkeiten zu erweitern. Der Ständerat überwies die Motion gegen den Willen von Bundesrat Koller [7].
Eine Motion Baumberger (cvp, ZH), die vom Nationalrat als Postulat überwiesen wurde, verlangte eine Teilrevision des RPG, welche dafür sorgt, dass weiterhin planungs- und baurechtliche Vorentscheide mit verbindlicher Wirkung im Verhältnis zum Gesuchssteller möglich bleiben. Das Bundesgericht hatte 1992 solchen nichtpublizierten Vorentscheiden die Verbindlichkeit aberkannt. In seiner Stellungnahme zeigte sich der Bundesrat mit der Zielsetzung einverstanden, bestand jedoch - wie das Bundesgericht - auf der Verfahrensteilnahme dritter, möglicherweise beschwerdelegitimierter Personen auch bei baurechtlichen Vorentscheiden [8].
Die Deutsch-Schweizerische Raumordnungskommission zog anlässlich ihres 20-Jahr-Jubiläums eine positive Bilanz zu ihrer bisherigen grenzüberschreitenden Tätigkeit. Für das dritte Jahrzehnt schlug die deutsche Bundesministerin Irmgard Schwaetzer vor, an einer Raumordnung im Sinne des Europas der Regionen zu arbeiten und dabei auch den Grenzbereich Frankreichs einzubeziehen [9].
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Studien
Im Rahmen des Programms "Raumbeobachtung Schweiz" erarbeitete das Bundesamt für Raumplanung Grundlagen, mit welchen sich die räumlichen Auswirkungen einer Liberalisierung bei der Umnutzung der bestehenden Bausubstanz besser abschätzen lassen sollen. Die Studie zeigt auf, dass in der Schweiz jedes vierte Gebäude ausserhalb der Bauzonen steht. Zwischen den Kantonen bestehen grosse Unterschiede. In Kantonen mit grossen Streusiedlungen (z.B. OW, NW, AI) beträgt der Anteil von Bauten ausserhalb der Bauzonen am Gesamtgebäudebestand bis zu über 50%. Mit einem Anteil von 70% dominieren die Landwirtschaftsgebäude, dazu kommen 121 000 Wohn- bzw. Ferienhäuser sowie 43 000 Wirtschaftsgebäude [10].
Mit dem Bericht "Grundzüge der Raumordnung Schweiz", der 1989 in Auftrag gegeben worden war, will das Bundesamt für Raumplanung Impulse gegen die Zersiedelung und eine ungeordnete und umweltfeindliche Entwicklung geben. Die räumliche Situation der Schweiz sei gekennzeichnet durch ungeordnete Besiedelung, anhaltenden Raumbedarf bei knappen Ressourcen und räumliche Ungleichgewichte zwischen Wirtschaft, Wohnen und Verkehrserschliessung. Die heutige ungünstige Siedlungsstruktur sei auch mit hohen Kosten für Bau und Unterhalt der Infrastruktur verbunden. Nachdem das Strassennetz weitgehend gebaut ist, komme dem öffentlichen Verkehr eine zentrale Rolle zu. Gemäss dem Raumordnungsbericht soll Wachstum dort stattfinden, wo es sinnvoll ist: in den Städten und städtischen Agglomerationen, damit ein in die europäische Entwicklung eingebundenes Städtesystem entstehe, das sich nicht mehr weiter gegen aussen, sondern im Innern entwickelt. Die Vernetzung der im internationalen Vergleich eher kleinen Schweizer Grosstädte zu einer "Dreimillionenstadt" erhöhe die Standortgunst und erlaube es, mit den europäischen Zentren zu konkurrieren. Gemäss der Studie haben die Kantone der Entwicklung der Städte bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ergänzt werden soll die auf die Agglomerationen ausgerichtete Raumordnung durch eine Revision des Finanzausgleichs. Der Bund müsste demnach den wirtschaftsschwachen Regionen vermehrt frei verwendbare Mittel zur Verfügung stellen, damit sie sich selber helfen können. Der Bericht ging in die Vernehmlassung und der Bundesrat wird darüber entscheiden, ob die Erkenntnisse dieser Studie in eine Totalrevision des Raumplanungsgesetzes einfliessen sollen [11].
Das Bundesamt für Raumplanung beschäftigte sich mit einem stärkeren Einbezug der Frauen in die Orts- und Bauplanung. Im Jahr der "inneren Sicherheit" erarbeitete das Bundesamt eine Studie, die frauenspezifische Anliegen in den Bereichen Sicherheit, Mobilität, Arbeitsplätze, Kinderfreundlichkeit und Gemeinschaft aufnimmt. Im Vordergrund müsse der bewusste Einbezug von Frauen in die verschiedenen Planungsgruppen stehen [12].
 
[1] NZZ, 3.12.94. Siehe SPJ 1989, S. 158 ff. und 1992, S. 175 ff.1
[2] BBl, 1994, III, S. 1075 ff.; Presse vom 31.5.94. Zur Vernehmlassung vgl. SPJ 1993, S. 170 f.2
[3] BBl, 1994, III, S. 1075 ff.; AT, 10.1.94; Presse vom 31.5.94. Vgl. SPJ 1993, S. 168 f. Vgl. auch die Artikel "Baubewilligungen gesetzlich beschleunigen? Kontraproduktive Fristenlösung des Bundesrates" und "Fristen als massvolle Auflage im Interesse der Revitalisierung" in NZZ, 13.10 und 23.12.94.3
[4] Presse vom 26.3. und 27.4.94. Kritik: NZZ, 17.8.94; TA, 2.9.94; SHZ, 8.12.94. Siehe auch Lit. Schweiz. Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege. Vgl. SPJ 1991, S. 177.4
[5] Bund, 1.2.94; LZ, 24.12.94.5
[6] Bund, 28.6.94.6
[7] Amtl. Bull. StR, 1994, S. 830 f.7
[8] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1176 f.8
[9] NZZ und SGT, 18.2.94.9
[10] Die Volkswirtschaft, 67/1994, Nr. 5, S. 51 ff.10
[11] Presse vom 22.10.94. Zum Finanzausgleich siehe oben, Teil I, 5 (Finanzhaushalt der Kantone).11
[12] Lit. Bundesamt für Raumplanung sowie Raumplanungsamt des Kantons Bern. Vgl. Bund, 21.12.94.12