Année politique Suisse 1994 : Politique sociale / Groupes sociaux
 
Kinder
Der Bundesrat leitete dem Parlament die Botschaft zur Ratifikation der UNO-Konvention über die Rechte des Kindes zu. Da die schweizerische Gesetzgebung nicht in allen Punkten den UNO-Forderungen entspricht, soll die Konvention nach dem Willen der Landesregierung nur mit den entsprechenden Vorbehalten ratifiziert werden. So ist das Recht eines Kindes auf ein Zusammenleben mit seinen Eltern in der Schweiz wegen des Verbots des Familiennachzugs für Ausländer ohne dauernde Arbeitsbewilligung nicht verwirklicht. Vorbehalten bleibt im weiteren die schweizerische Bürgerrechtsordnung, die keinen Anspruch auf Erwerb der Staatsangehörigkeit einräumt. Auch die Trennung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen im Freiheitsentzug ist nicht ausnahmslos gewährleistet [38].
Ende Jahr beschloss der Bundesrat, das Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption zu unterzeichnen. Die Konvention will dem Missbrauch bei Kindsadoptionen einen Riegel schieben, Kindsentführungen verhindern und den Handel und Verkauf von Kindern unterbinden. Sie soll zudem garantieren, dass internationale Adoptionen stets auf das Interesse der Kinder ausgerichtet sind und deren Grundrechte gewahrt bleiben [39].
Einstimmig und gegen den Antrag des Bundesrates genehmigte der Ständerat eine von 35 Abgeordneten unterzeichnete Motion Béguin (fdp, NE), welche verlangt, dass durch eine Änderung des Strafgesetzbuches die Verjährung für gewaltfreie Handlungen gegen die sexuelle Integrität von Jugendlichen, welche heute fünf Jahre beträgt, wieder auf die für Verbrechen gewöhnliche Frist von zehn Jahren anzupassen sei. Bundesrat Koller erinnerte den Rat vergebens daran, dass er selber bei der Beratung des neuen Sexualstrafrechts einer kürzeren Verjährung zugestimmt hatte, um Kinder oder Jugendliche, die an derartigen Übergriffen beteiligt waren, nicht noch Jahre danach einer seelisch belastenden Ermittlung oder Untersuchung auszusetzen. Der Motionär wandte demgegenüber ein, es gehe nicht an, einen sexuellen Übergriff auf einen Minderjährigen einer kürzeren Verjährungsfrist zu unterstellen als einen einfachen Ladendiebstahl [40].
Auch der Tessiner SP-Nationalrat Carobbio wies mit einer Motion darauf hin, dass Personen, die Kinder und Jugendliche zu sexuellen Handlungen verführen, zu wenig hart bestraft werden. Er verlangte, dass das schweizerische Strafgesetzbuch um eine Bestimmung ergänzt werde, welche die Gerichte ermächtigt, in der Schweiz wohnhafte Personen wegen sexueller Handlungen mit Kindern oder Kinderhandel im Ausland zu verurteilen, auch wenn diese Delikte in den Ländern, in denen sie begangen wurden, nicht strafbar sind. Da der Bundesrat darauf verwies, dass in derartigen Fällen wohl kaum mit der Rechtshilfe der betreffenden Staaten gerechnet werden könnte, überwies der Rat die Motion lediglich als Postulat [41].
 
[38] BBl, 1994, V, S. 1 ff.; Presse vom 30.6.94. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2483 f.38
[39] BaZ, 22.12.94.39
[40] Amtl. Bull. StR, 1994, S. 834 ff. Das Bundesgericht fällte ein Grundsatzurteil und wertete den sexuellen Missbrauch eines urteilsunfähigen Kindes nicht nur als Unzucht, sondern als Schändung, weshalb in diesen Fällen die Maximalstrafe 15 Jahre Zuchthaus betragen kann (Presse vom 3.8.94). Zur sexuellen Ausbeutung von Kindern siehe auch F-Frauenfragen, 1994, Nr. 2, S. 1 ff.40
[41] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1174 ff.41