Année politique Suisse 1994 : Enseignement, culture et médias / Médias
 
Medienpolitische Grundfragen
Vorzeitig publizierte Informationen von Medienschaffenden hielten die Diskussion über den Missbrauch vertraulicher Informationen durch die Presse auch im Berichtsjahr aufrecht. Eine Interpellation Moser (fp, AG) von 1993 verlangte vom Bundesrat eine Stellungnahme, wie er solche Indiskretionen in Zukunft zu unterbinden gedenkt. Das nachgeschobene Postulat Reimann (svp, AG) forderte den Bundesrat auf, die in der Akkreditierungsverordnung vorgesehenen Sanktionen zu ergreifen, wenn Bundeshausjournalisten bewusst vertrauliche Informationen verbreiten. Insgesamt 80 Abgeordnete haben das Postulat Reimann, 60 die Interpellation Moser unterschrieben. Gemäss der Stellungnahme des Presserates des Schweizer Verbandes der Journalistinnen und Journalisten sei in der Schweiz der Bereich dessen, was als geheim und vertraulich zu gelten habe, nach wie vor viel zu gross; ein ausgedehnter Geheim- und Vertraulichkeitsbereich fördere die Indiskretionen geradezu. Der Presserat möchte deshalb anstelle des Geheimhaltungsprinzips mit Öffentlichkeitsvorbehalt das Öffentlichkeitsprinzip mit Geheimhaltungsvorbehalt in der Bundesverwaltung einführen. In seiner Antwort auf die Interpellation Moser forderte der Bundesrat vor allem mehr Disziplin von den Behörden. Laut dem Bundesrat sind Informationen bewusst und gezielt Journalisten zugespielt worden, er kenne aber keinen einzigen Fall von Bestechungsversuchen durch Medienschaffende. Ein Entzug der Akkreditierung würde nur erwogen, wenn ein Journalist eine ihm gegenüber ausdrücklich als nicht zur Publikation bestimmte Information veröffentlicht [1].
Der Bundesrat setzte ausserdem eine Arbeitsgruppe ein, welche das Prinzip der Öffentlichkeit der Bundesverwaltung prüfen und ein entsprechendes Gesetz entwerfen soll. Nach diesem Grundsatz hätte jedermann das Recht auf Auskunft und Akteneinsicht durch die Angestellten der Bundesverwaltung. Ebenfalls geplant ist die Einführung eines Beschwerderechtes im Falle einer ablehnenden Haltung der Behörden. Ausnahmen von der Akteneinsicht sind vor allem im Bereich der inneren und äusseren Sicherheit und im Persönlichkeitsschutz vorgesehen. Vor einer definitiven Stellungnahme will das EJPD die Erfahrungen des Kantons Bern abwarten, welcher das Öffentlichkeitsprinzip mit seiner neu in Kraft tretenden Verfassung vom 1. Januar 1995 einführen wird [2].
Nachdem der Vorschlag des Bundesrates, ein Zeugnisverweigerungsrecht ins Strafgesetzbuch (StGB) aufzunehmen, in der 1992 durchgeführten Vernehmlassung klar gutgeheissen worden war, beauftragte der Bundesrat das EJPD, bis spätestens Ende 1995 eine Botschaft für ein neues, medienfreundlicheres Strafrecht auszuarbeiten. Die Einsetzung einer neuen Expertenkommission lehnte er ab [3].
Nach dem Berner Obergericht hat auch das Bundesgericht den Generaldirektor der SRG, Antonio Riva, freigesprochen. Riva hatte sich geweigert, ungesendete Aufzeichnungen vom Bauernkrawall in Bern im Januar 1992 den Strafuntersuchungsbehörden herauszugeben. Die Lausanner Richter erblickten im Verhalten der SRG keine Begünstigung der Täter, weil die Medien keine qualifizierte Rechtspflicht im Sinne einer Obhuts- oder Überwachungspflicht trifft [4].
Im Auftrag der Nationalen Schweizerischen Unesco-Kommission untersuchte der Publizistikwissenschafter Küpfer die Berichterstattung über die Themen Asyl und Fremdenfeindlichkeit in sechs grossen Deutschschweizer, einer Tessiner und zwei Westschweizer Tageszeitungen in den Jahren 1991 und 1992. Grundsätzlich kam die Studie zur Ansicht, dass die Schweizer Tagespresse häufiger für die Position der Asylbewerber eintrat als dass sie diese als Zielscheibe verbaler Attacken missbraucht hätte. Am meisten asylbewerberfeindliche Artikel fanden sich im "Blick"; sämtliche anderen Tageszeitungen seien neutrale und objektive Vermittler. Generell stellte sich heraus, dass viel mehr fremdenfeindliche Beiträge von der Leserschaft als von der Redaktion stammen [5].
Ein Artikel über FIS-Waffenkäufe in der Schweiz, der sich auf Ermittlungsakten der Untersuchungsbehörden stützte, hat die "Sonntags-Zeitung" in Konflikt mit der Bundesanwaltschaft (BA) gebracht. Durch den Artikel sei nach Ansicht der BA monatelange Arbeit zunichte gemacht worden, weshalb sie ein Verfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung und Begünstigung gegen Redaktoren der Zeitung eröffnete sowie eine Hausdurchsuchung anordnete. Die Redaktion hingegen machte öffentliches Interesse sowie Quellenschutz geltend. Die Medien verurteilten die Hausdurchsuchungen, angeordnet von Bundesanwältin Carla del Ponte, fast einhellig als krassen Verstoss gegen die Pressefreiheit, andererseits konnten viele Kritiker auch kein öffentliches Interesse für den "SZ"-Artikel ausmachen [6].
 
[1] Reimann: Verhandl. B.vers., 1993, V, S. 113. Moser: Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1240 f. Presserat: Presse vom 12.2.94. Siehe auch BZ, 31.5.94; TA, 21.7.94 sowie SPJ 1993, S. 275.1
[2] BaZ, 10.1.95. Siehe SPJ 1992, S. 192
[3] Presse vom 5.7.94. Vgl. SPJ 1992, S. 285 f.3
[4] NZZ, 11.4.94. Siehe SPJ 1993, S. 267.4
[5] Lit. Küpfer. Vgl. auch LZ, 5.7.94; BaZ, 17.8.94; 24 Heures, 26.8.94.5
[6] Presse vom 7.-9.12.94.6