Année politique Suisse 1995 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Sozialdemokratische Partei (SP)
In einer erstmals seit 1921 wieder durchgeführten Urabstimmung sprachen sich im Frühjahr 66% der SP-Mitglieder für die 10. AHV-Revision und damit für die Erhöhung des Rentenalters der Frauen von 62 auf 64 Jahre aus. Damit entschied sich die Parteibasis (bei einer Stimmbeteiligung von knapp 33%) für einen anderen Weg als ihre traditionellen Bündnispartner, die Gewerkschaften, die gegen die 10. AHV-Revision das Referendum ergriffen hatten. Gemeinsam lancierten und reichten SP und Gewerkschaften allerdings schon vor Annahme der 10. AHV-Revision am 25. Juni eine "Auffanginitiative" ein, die verlangt, dass die 10. AHV-Revision ohne höheres Frauen-Rentenalter in Kraft gesetzt wird [8].
Ohne Gegenstimme beschloss der SP-Parteivorstand, die von fünf Europa-Organisationen lancierte Volksinitiative "Ja zu Europa", welche die sofortige Aufnahme von Beitrittsverhandlungen fordert, zu unterstützen. In der "Europa-Plattform der SP" postulierte die Partei ausserdem die EU-Mitgliedschaft der Schweiz bis zum 1. Januar 2000; hingegen verabschiedete sie sich vom EWR, da dieser zu einer bedeutungslosen Rumpforganisation geworden sei. Damit setzt die SP als einzige Bundesratspartei voll auf einen direkten EU-Beitritt. Das umstrittene Kapitel "Neutralitätspolitik", das den Begriff der Neutralität stark relativieren wollte, wurde aus der Plattform gestrichen [9].
Gleich drei Volksinitiativen kündigte die SP-Parteileitung zu Beginn des Jahres als Wahlkampf-Lokomotive an. Gemäss dem Initiativprojekt gegen Jugendarbeitslosigkeit sollen Lohnabhängige über 60 Jahren auf Kosten der Arbeitslosenversicherung in den vorzeitigen Ruhestand treten können, wenn mehr als 50 000 Menschen in der Schweiz arbeitslos sind. Ein zweites Initiativprojekt will eine "Millionärs-Steuer" für natürliche und juristische Personen, deren Vermögen über einer Million liegt, einführen. Vorgesehen ist eine Zusatzabgabe von einem Promille des Vermögens. Der dritte Initiativvorschlag gilt der Einführung des konstruktiven Referendums. Während die SP letzteren im Herbst lancierte, stellte sie die beiden ersten Initiativprojekte vorläufig zurück. Dies tat sie nicht zuletzt deshalb, weil im Sommer beide Räte die 1992 eingereichte SP-Initiative "Für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik" für ungültig erklärten, da die Einheit der Materie nicht gegeben sei. Die desavouierte Partei entschied daraufhin, eine Doppelinitiative mit gleichem Inhalt zu lancieren. Bereits im Januar hatte die SP ein Leitbild für eine "Armee light" präsentiert, die nur halb soviel kosten soll wie die Armee 95 [10].
In ihrer Wahlplattform 95 "Die Schweiz muss wieder sozialer werden" sprach sich die SP gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik aus und forderte einen Ausbau des Sozialstaats über Steuererhöhungen sowie Sparpotentiale, die sie im Strassenbereich, in der Landwirtschaft, in der Landesverteidigung und im Zivilschutz ortete. Ausserdem stellte die Partei "14 Thesen gegen die Erwerbslosigkeit" vor, in denen sie in einem ersten Schritt die 40-Stunden-Woche, mittelfristig die 35-Stunden-Woche anstrebt [11].
Als einzige der Bundesratsparteien hatte die SP im Frühjahr gegen die drei Landwirtschaftsvorlagen und "für ein Bioland Schweiz" votiert. Das dreifache Nein des Volkes gereichte der Partei deshalb zum Triumph. Hingegen hatte die 1991 eingereichte und zuletzt auch parteiintern umstrittene AHV/IV-Ausbauinitiative von SP und Gewerkschaften an der Urne keine Chance [12].
Zum Streit kam es um den SP-Fraktionsvorsitz. Die Nachfolge von Ursula Mauch (AG) sollte einerseits ein Vertreter der Romandie, andererseits eine Frau übernehmen. Der Vorschlag von François Borel (NE) und Barbara Haering Binder (ZH), sich den Fraktionsvorsitz im Doppelpräsidium zu teilen, stiess parteiintern aber auf Opposition. Schliesslich wurde Ende November Ursula Hafner (SH) zur neuen Fraktionspräsidentin gewählt [13].
Die eidgenössischen Wahlen 95 brachten der SP mit 15 Sitzgewinnen [14] und einem Wählerzuwachs von 3,3% auf 21,8% einen historischen Sieg, nachdem sie im Berichtsjahr auf kantonaler Ebene vier Sitze zugelegt hatte. Erstmals seit 1979 wurde die SP, auf Kosten der FDP, wieder wählerstärkste Partei. SP-Präsident Peter Bodenmann provozierte die Grünen und die verschiedenen Wahlbündnisse links der SP, die nur bescheidene Resultate erzielten, danach mit der These, dass "die SP die einzige relevante soziale Kraft der Schweiz" sei, und dass es im linken Parteienspektrum als Machtfaktor nur mehr die SP geben könne [15].
Nur moderate bürgerliche Reaktionen gab es zur Aufnahme der drei PdA-Vertreter (inkl. Linksallianz) in die SP-Fraktion und damit zum kommunistischen Zuzug zur SP. Nur vereinzelt war von der Wiederbelebung der alten Volksfront die Rede. Die Fraktions-Kooperation zwischen den beiden Parteien, die sich auf Bundesebene jahrzehntelang voneinander distanziert hatten, wurde probeweise für ein Jahr beschlossen [16].
 
[8] Presse vom 10.4. und 24.4.95; SoZ, 23.4.95. Vgl. SPJ 1994, S. 324. Zur Urabstimmung und Auffanginitiative siehe auch oben, Teil I, 7c (AHV).8
[9] Bund, 27.2.95; TA, 13.5.95; Presse vom 12.6.95. Vgl. SPS, Europa-Plattform der SP. Für ein soziales, ökologisches und demokratisches Europa - zusammen mit der Schweiz, Bern 1995. Vgl. auch SPJ 1994, S. 324 (Neutralität).9
[10] Presse vom 23.1.95; Bund, 3.7.95; Presse vom 4.9.95. Zur SP-Initiative "Mehr Rechte für das Volk dank dem Referendum mit Gegenvorschlag" siehe oben, Teil I, 1c (Volksrechte). Zur SP-Studie über eine reduzierte Armee siehe oben, Teil I, 3 (Défense nationale et société).10
[11] Lit. SPS; Presse vom 4.9.95.11
[12] Zur AHV/IV-Ausbauinitiative siehe oben, Teil I, 7c (AHV).12
[13] TA, 21.3.95; SoZ, 26.3.95; Presse vom 25.11.95.13
[14] Inkl. dem Sitz der Partito socialista unitario (TI), der 1991 noch nicht der SP zugezählt wurde.14
[15] Siehe "Hegemoniestreben der SP zur Linken", in NZZ, 18.12.95 und P. Bodenmann / A. Daguet, "Wo steht die Linke heute?", in Rote Revue, 1996, Nr. 1, S. 1 ff.15
[16] NZZ und TA, 7.12.95; AT, 14.12. und 20.12.95.16