Année politique Suisse 1995 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Freisinnig-demokratische Partei (FDP)
Zu Beginn des Jahres brachte die "Fischbacher-Affäre" der FDP negative Schlagzeilen. Die FDP St. Gallen sah vorerst keinen Anlass, ihr Parteimitglied, den Arzt Walter Fischbacher, dem vorgeworfen wurde, sich als Gegner des Anti-Rassismus-Gesetzes wiederholt rassistisch und antisemitisch geäussert zu haben, auszuschliessen. FDP-Präsident Franz Steinegger stellte sich auf den Standpunkt, dass die Regelung des Falles Fischbacher nur in die Kompetenz der St. Galler Kantonalpartei falle. Mutter- und Kantonalpartei mussten sich den Vorwurf mangelnder Abgrenzung gegen Rechtsaussen gefallen lassen. Schliesslich gab Fischbacher selbst seinen Austritt bekannt und kam damit einem Entscheid der Kantonalpartei zuvor [17].
Ein Vorstoss von FDP-Nationalrat Bernard Comby (VS), der verlangte, dass der Bundesrat unmittelbar nach Abschluss der bilateralen Verhandlungen das in Brüssel liegende EU-Beitrittsgesuch reaktiviert, führte in der freisinnigen Fraktion zu einer heftigen Diskussion über den Europa-Kurs der Partei. FDP-Präsident Franz Steinegger hielt an der europapolitischen Zielsetzung fest, sich auf die bilateralen Verhandlungen zu konzentrieren. An einer Delegiertenversammlung in Interlaken im April votierte auf Antrag der Genfer Sektion eine von Romands und Jungliberalen angeführte Mehrheit von 102 zu 81 Stimmen dann aber überraschend dafür, den EU-Beitritt als langfristiges, strategisches Ziel in einem als zu vage empfundenen Positionspapier zur Aussenpolitik festzuschreiben. Vergebens setzte sich die Parteiführung für eine Offenhaltung der Optionen ein. Damit übernahm die Partei weitgehend die Haltung des Bundesrates. Verschiedene freisinnige Befürworter eines EU-Beitritts warfen Parteipräsident Steinegger im Verlauf des Jahres allerdings vor, den Parteibeschluss nicht zu respektieren und die Position der FDP zu vernebeln [18].
Im Wahljahr 1995 präsentierte sich die FDP als eng mit der Wirtschaft verbundene Regierungspartei und trat mit dem Motto "Verantwortung übernehmen" an. Einstimmig hiess sie ein Positionspapier zur Wirtschaftspolitik gut, in dem sie sich für eine "liberale Fitnesskur", mehr Unternehmerfreiheit und Wettbewerb, Investitionen in Bildung und Forschung sowie eine wirtschaftsfreundlichere Steuerpolitik aussprach. Das Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern will die FDP zugunsten der indirekten Steuern verbessern. Einen weiteren Ausbau des Sozialstaats lehnte sie ab und sprach sich bei der Arbeitslosenversicherung für punktuelle Leistungskürzungen aus. Die Staatsquote aller drei Ebenen möchte sie bei 32% stabilisieren [19].
Mit einem weiteren Positionspapier "Perspektiven liberaler Lebensgestaltung" verabschiedete die FDP verschiedene Postulate zur Gleichstellung der Geschlechter. Konkret forderte sie den gleichen Zugang von Frauen und Männern zu allen Berufen und Positionen, die Einführung von Blockzeiten an den Schulen, freiwillige Tagesschulen sowie flexible Arbeitsformen und Teilzeitarbeit. Ferner trat sie für ein geschlechts- und zivilstandsunabhängiges Sozialversicherungs- und Steuersystem ein [20].
Zu den FDP-Vorschlägen für eine Neuordnung der Volksrechte, die unter anderem mehr direkte Demokratie in der Aussenpolitik ermöglichen wollen, siehe oben, Teil I, 1c (Volksrechte).
Nach acht Sitzverlusten bei den 1995 durchgeführten kantonalen Wahlen verlor die Staatsgründerin FDP auch bei den eidgenössischen Wahlen 0,8% an Wählerstimmen (neu: 20,2%), konnte aber trotzdem einen Nationalratssitz hinzugewinnen. In einer Nachwahlanalyse führte Parteipräsident Steinegger das Wahlresultat unter anderem darauf zurück, dass die Mehrheit der FDP-Wählerschaft den EU-Beitritt als langfristiges Ziel nicht wünscht. Als weiteren Grund sah er den missglückten Angriff der Zürcher FDP auf die Zauberformel anlässlich der Bundesratswahlen. Während die FDP in ihrer einstigen Hochburg Zürich einen Sitz verlor, konnte die SVP um Christoph Blocher ihre Vorherrschaft im bürgerlichen Lager ausbauen [21].
 
[17] SoZ, 8.1.95; NQ, 9.1.95; Ww, 12.1.95; Presse vom 19.1.95.17
[18] TA, 3.2.95; Presse vom 22.4.95; NZZ, 30.10.95.18
[19] Presse vom 24.4. und 26.7.95. Vgl. die Positionspapiere der FDP Wirtschaftspolitik, Wege aus der Arbeitslosigkeit und Finanz- und Steuerpolitik der FDP, Bern 1995.19
[20] Presse vom 23.1.95. Die Forderungen basieren auf einer im Auftrag der FDP erstellten Pilotstudie "Frau und Mann in Wirtschaft und Gesellschaft der Schweiz" (Bund, 20.1.95).20
[21] Bund, 20.12.95; SoZ, 29.10.95. Zum Versuch der FDP Zürich, anlässlich der Bundesratswahlen von Ende September die Zauberformel zu sprengen, siehe oben, Teil I, 1c (Regierung).21