Année politique Suisse 1995 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Grüne Partei (GP)
Die Grünen wählten Nationalrat Hanspeter Thür (AG) zu ihrem neuen Präsidenten, nachdem sich andere Kandidatinnen wie Rosmarie Bär (BE) und Cécile Bühlmann (LU) zurückgezogen hatten. Thür löste die in den Zürcher Regierungsrat gewählte Nationalrätin Verena Diener ab, welche die Grünen seit 1992 präsidiert hatte [37].
Im Wahljahr 95 nahm die GP eine Kurskorrektur vor und versuchte sich neu als Reformpartei, und nicht mehr als Protestpartei, zu profilieren. Verschiedentlich äusserte sie Interesse an einer Mitte-Links-Koalition mit der SP und weiteren "fortschrittlichen" Kräften der Mitte, um den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft voranzutreiben. Mit der Aussage, diese Zusammensetzung sei längerfristig auch auf Bundesratsebene anzustreben, äusserten die Grünen erstmals Regierungsambitionen.
Auf eine Gratwanderung begaben sich die Grünen auch mit einem europapolitischen Kurswechsel: Die Partei, die zuvor lediglich eine vorsichtige Öffnung befürwortet hatte und den EWR ablehnte, entschied an einem Parteitag im Juli auf Antrag der Genfer Sektion, die Volksinitiative "Ja zu Europa", die sofortige EU-Beitrittsverhandlungen fordert, zu unterstützen. Die Grünen betonten, den EU-Beitrittsprozess kritisch begleiten zu wollen. Trotzdem formierte sich grundsätzliche Opposition gegen den reformistischen Kurs der Partei rund um den Berner Luzius Theiler und die Zürcher Sektion [39].
Ihre Wahlplattform stellten die Grünen unter das Schwerpunktthema ökologische Wirtschafts- und Steuerreform, wonach Energie statt Arbeit zu besteuern sei. Die Einführung einer Energiesteuer zur Finanzierung des Sozialbereiches, welche im 2. Teil einer Doppelinitiative angestrebt wird, verabschiedete die Partei ebenso diskussionslos wie die Forderungen nach einer wirksamen CO2-Abgabe, keinem weiteren Ausbau der Autobahnen, dem Ausstieg aus der Atomenergie und dem Verbot der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen. Neu wehren sich die Grünen nicht mehr gegen jegliches Wirtschaftswachstum, sondern sie fordern dessen Gestaltung mit umweltgerechten Innovationen. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schlug die Partei ein Bonus-Malus-System vor, gemäss welchem Arbeitgeber, die Teilzeitarbeit fördern, beispielsweise mit einer Reduktion des Arbeitslosenversicherungs-Beitrags belohnt würden. Für das neue Jahrtausend soll gemäss den Grünen die 30-Stunden-Woche zum Normalfall werden [40].
Die eidgenössischen Wahlen brachten den Grünen mit dem Verlust fast der Hälfte der bisherigen Nationalratssitze - was weit über dem effektiven Rückgang des Wähleranteils liegt - eine klare Wahlniederlage. Zuvor hatten die Grünen bei den kantonalen Wahlen acht Mandate verloren. Parteiintern wurde deshalb der Kurswechsel der Partei kritisiert, diskutiert wurde aber auch ein Zusammenschluss aller grünen Kräfte [41].
 
[37] SoZ, 2.7.95; Presse vom 3.7.95.37
[39] SoZ, 2.7.95; Presse vom 3.7.95.39
[40] SGT und NZZ, 7.7.95; Presse vom 11.9.95. Vgl. GPS, 12 Reformen für die Schweiz, Bern 1995. Zur "Tandeminitiative" siehe SPJ 1994, S. 327.40
[41] TA, 24.10.95; BZ, 9.12.95. Als 20. Vollmitglied nahm die GPS die Ökoliberale Bewegung Schaffhausen auf (NZZ, 11.9.95).41