Année politique Suisse 1995 : Partis, associations et groupes d'interêt / Associations et autres groupes d'interêt
Arbeitnehmer
Ähnlich wie der Bauernverband mussten auch die Gewerkschaften bei den eidgenössischen
Volksabstimmungen Niederlagen einstecken. Die 10.
AHV-Revision, gegen welche der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und der Christlichnationale Gewerkschaftsbund (CNG) gemeinsam das Referendum ergriffen hatten, nahmen die Stimmberechtigten am 25. Juni deutlich an. In einer Urabstimmung hatte sich zuvor auch die SP-Basis gegen das Referendum der Gewerkschaften ausgesprochen. Ebenfalls am 25. Juni lehnte das Volk mit klarer Mehrheit (73,4%) eine 1990 eingereichte Volksinitiative des SGB und der SP für einen Ausbau der AHV ab. Trotzdem setzte der SGB weiterhin auf die Nutzung der Volksrechte. Er reichte seine gemeinsam mit der SP lancierte Volksinitiative für eine 10. AHV-Revision ohne Erhöhung des Rentenalters für Frauen ein und trat auch dem ursprünglich vom Kaufmännischen Verein und den Angestelltenverbänden gegründeten Komitee für eine Volksinitiative "Für eine Flexibilisierung des AHV-Alters - Gegen eine Erhöhung des Rentenalters für Frauen" bei. Die zwei von den Grünen lancierten Volksinitiativen zur AHV unterstützte er hingegen nicht
[11]. Wenig Gehör fand der SGB nicht nur in der Sozialpolitik, sondern auch bei seinen konjunkturpolitischen Vorstössen. Weder seine zusammen mit der SP vorgetragene Forderung nach einem neuen Impulsprogramm (Förderung von Investitionen der öffentlichen Hand) noch sein Begehren nach einer Lockerung der Geldmengenpolitik der Nationalbank mit dem Ziel einer Abwertung des Schweizer Frankens konnten sich durchsetzen
[12].
Obwohl die unterschiedliche Haltung von SGB und SP zur 10. AHV-Revision zu einigen Spannungen zwischen den beiden traditionellen Partnern geführt hatte, schnitten die auf SP-Listen kandidierenden Gewerkschafter bei den
eidgenössischen Wahlen gut ab. Dies gilt vor allem für die Westschweiz, wo mit Maria Roth-Bernasconi (GE), Jean-Claude Rennwald und Pierre-Alain Gentil (beide JU) gleich drei Gewerkschaftsfunktionäre neu ins Parlament gewählt wurden. Der Präsident des CNG, Hugo Fasel (csp, FR), konnte seinen Nationalratssitz ebenfalls halten und wechselte für die neue Legislaturperiode von der Fraktion der CVP zu derjenigen der Grünen
[13].
In Ausführung eines letztjährigen Verbandsbeschlusses machte sich die Leitung der Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI) an die Konkretisierung des Vorhabens, im Tertiärsektor Fuss zu fassen. Gemeinsam mit dem SMUV kündigte sie an, eine
neue Gewerkschaft für das Personal der Bereiche Verkauf, Banken und Versicherungen ins Leben rufen zu wollen. Nach Ansicht der Promotoren ist die bisher - neben diversen Angestelltenverbänden - in diesen Sparten tätige SGB-Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel (VHTL) mit ihren gut 20 000 Mitgliedern zu schwach und zu wenig attraktiv, um unter den Angestellten des Dienstleistungssektors eine aktive Mitgliederwerbung zu betreiben. Die
VHTL zeigte sich über dieses Vorgehen verärgert und forderte den SGB zum Eingreifen auf. Unterstützt wurde sie dabei auch vom Schweizerischen Kaufmännischen Verband. Im September stimmten die Delegierten der VHTL dann gegen eine Fusion mit einer anderen Organisation (im Gespräch war der VPOD) und lehnten auch ein Mitmachen beim Projekt von SMUV und GBI ab. Der SGB reagierte auf diesen Bruderzwist mit der Einsetzung einer Schiedskommission. Ende November gab die SGB-Leitung auf Anraten dieser Kommission den beiden grossen Gewerkschaften SMUV und GBI recht. Sie erlaubte ihnen die Gründung einer neuen Gewerkschaft für den Dienstleistungsbereich, wobei die Mitgliederwerbung allerdings einige Domänen mit starker VHTL-Präsenz (z.B. Migros, Coop, privates Transportgewerbe) ausklammern soll
[14].
Der
Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften hat sich im Berichtsjahr verschärft. Die zum SGB zusammengeschlossenen Organisationen büssten 1995 rund 9000 Mitglieder ein und zählten zu Jahresende noch deren 419 843. Dieser Rückgang um 2,1% ist der grösste seit 1980. Auch die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände beklagte einen Rückgang der Mitgliederzahl um gut 5000 auf 127 103. Beim CNG schätzte man den Rückgang auf rund 2%
[15].
[11] Siehe dazu oben, Teil I, 7c (AHV) sowie
SGT, 3.11.95 (Flexibilisierungsinitiative).11
[12] Siehe dazu oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).12
[13]
MOMA, 1995, Nr. 11, S. 11. Vgl. auch oben, Teil I, 1 e (Eidg. Wahlen). Zu den Spannungen siehe etwa das Streitgespräch zwischen NR Strahm (sp, BE) und SGB-Vizepräsident Schäppi in
MOMA, 1995, Nr. 5, S. 7 ff.13
[14]
Bund,
BZ und
TA, 29.4.95;
NZZ, 12.5. (Kommission) und 11.9.95 (VHTL-DV);
TA und
TW, 30.11.95 (SGB). Siehe auch
TA, 22.5.95;
WoZ, 2.6.95;
SPJ 1994, S. 335.14
[15]
Bund, 23.3.96;
Lib., 26.3.96.15
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