Année politique Suisse 1995 : Economie / Politique économique générale
 
Strukturpolitik
Als Zweitrat stimmte auch der Nationalrat der sich auf technische Änderungen beschränkenden Teilrevision des Gesetzes über Erfinderpatente zu [13].
Der Bundesrat hatte im Herbst 1994 eine Vernehmlassung zu einer Teilrevision des Markenschutzgesetzes mit dem Ziel eines besseren Schutzes für die geografische Herkunftsbezeichnung von Agrarprodukten durchgeführt. Er entschied sich danach, auf diese Teilrevision zu verzichten und die Schaffung eines Melde- und Kontrollsystems für Herkunftsbezeichnungen im Rahmen des Gesetzes zur Förderung der Landwirtschaft und zur Erhaltung des Bauernstandes vorzunehmen. Dieses Gesetz legte er im Juni 1995 dem Parlament vor [14].
Gleichzeitig mit dem Bundesbeschluss über die Förderung wirtschaftlicher Erneuerungsgebiete verabschiedete das Parlament auch die beiden Bundesbeschlüsse über die Förderung der Information über den Unternehmensstandort Schweiz und über die Teilnahme an internationalen, vor allem europäischen, Programmen zur Förderung der Koordination und Informationsbeschaffung für kleine und mittlere Unternehmen. Für die auf die sogenannten Euro-Info-Centres massgeschneiderte zweite Vorlage hatte die vorberatende Kommission des Ständerates allerdings Nichteintreten beantragt. Nachdem Simmen (cvp, SO) dargelegt hatte, dass die Arbeit dieser Informationszentren auch von schweizerischen Unternehmen rege nachgefragt und sehr geschätzt werde, wurde dieser Beschluss trotzdem gutgeheissen [15].
Die CVP hatte die Förderung von Klein- und Mittelunternehmen (KMU) zu einem ihrer Wahlschwerpunkte gemacht. Dies fand seinen Niederschlag auch in den Vorstössen ihrer Parlamentarier. Der Basler Wick reichte eine Motion für eine Stärkung der Kommission zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (KMF) ein, welche der Nationalrat guthiess. Damit soll die Information der KMU über die mit staatlichen Beiträgen erarbeiteten Forschungsresultate verbessert werden. Eine Motion Lepori Bonetti (cvp, TI) für die Förderung von Jungunternehmen wandelte der Nationalrat in ein Postulat um. Als Instrumente sah der Vorstoss namentlich steuerliche Anreize sowie Erleichterungen bei der Bildung von Risikokapitalfonds vor [16]. Der Nationalrat überwies zudem ein Postulat seiner Bildungs- und Wissenschaftskommission für einen Bericht über die Realisierung einer kohärenten Innovations- und Technologieförderungspolitik [17].
Eine parlamentarische Initiative Zisyadis (pda, VD), die Massnahmen gegen Firmen forderte, welche ihre Produktionsstandorte ins Ausland verlegen (u.a. eine Sondersteuer) lehnte der Nationalrat mit 90:32 Stimmen ab [18].
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Regionalpolitik
Als Erstrat befasste sich der Ständerat mit dem vom Bundesrat 1994 beantragten neuen Bundesbeschluss über die Förderung wirtschaftlicher Erneuerungsgebiete. Ein von Schüle (fdp, SH), Kündig (cvp, ZG), Rüesch (fdp, SG) und Uhlmann (svp, TG) vertretener Nichteintretensantrag, der die Vorlage aus ordnungs- und finanzpolitischen Gründen bekämpfte, blieb mit 25:8 Stimmen in der Minderheit. In der Detailberatung fand der Entwurf des Bundesrates unverändert Zustimmung. Im Nationalrat wurde ein mit denselben Argumenten wie im Ständerat begründeter Nichteintretensantrag von den Fraktionen LdU/EVP und FP sowie einer Mehrheit der SVP unterstützt, unterlag aber mit 125:34 Stimmen. Auf Antrag ihrer Kommission nahm die grosse Kammer die Zinskostenverbilligung - der Bundesrat hatte auf dieses Instrument aus dem alten Bonny-Beschluss verzichten wollen - als zusätzliche Förderungsmassnahme neben Bürgschaften und Steuererleichterungen für private Unternehmer in das Gesetz auf. Mit knapper Mehrheit (17:16) entschied sich der Ständerat in der Differenzbereinigung zuerst gegen dieses von der Westschweiz geforderte Instrument, gab dann allerdings angesichts der klaren Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat (100:38) und vor allem der geschlossenen Front der französischsprachigen Abgeordneten nach. In der Schlussabstimmung wurde der neue Beschluss vom Nationalrat mit 142:24 und vom Ständerat mit 35:7 Stimmen verabschiedet [19].
Ende Juni gab der Bundesrat den Vorentwurf für eine Totalrevision des Investitionshilfegesetzes für Berggebiete (IHG) in die Vernehmlassung. Dieser sieht vor, dass in Zukunft die bundesstaatliche Unterstützung nicht mehr eine nachträgliche Finanzhilfe für ohnehin geplante lokale Infrastrukturvorhaben sein soll, sondern auf Projekte konzentriert wird, welche die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit einer Region verbessern. Neu sollen - dank einem zusätzlichen Programm "Regio Plus" - nicht mehr lediglich Berggebiete, sondern generell der ländliche Raum von Förderungshilfen profitieren können. In der Vernehmlassung wurden die Vorschläge für die Neufassung des IHG grundsätzlich begrüsst; SP, FDP und Gewerbeverband verlangten allerdings eine zeitliche Befristung, um eine optimale Koordination mit der Revision des Finanzausgleichs zu erreichen. Mehr umstritten war hingegen das Zusatzprogramm "Regio Plus", das nach Ansicht der FDP den Begriff Regionalpolitik unzulässig ausweitet [20].
Der Ständerat folgte dem Argument von Bundesrat Delamuraz, dass eine vom Nationalrat im Vorjahr überwiesene Motion Seiler (svp, BE) für eine umfassende Überprüfung der Regionalpolitik und darauf abgestützte Massnahmen offene Türen einrenne, und wandelte sie in ein Postulat um [21].
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Tourismus
Der Ständerat überwies ein Postulat Bloetzer (cvp, VS), welches vom Bundesrat ein umfassendes Tourismuskonzept verlangt, das insbesondere die Einführung einer systematischen Kontrolle der "Tourismusverträglichkeit" von allen Bundestätigkeiten, die Durchführung von statistischen Erhebungen und die Unterstützung von Massnahmen zur Verbesserung des touristischen Angebots in Berggebieten fordert. Ein etwas allgemeiner gehaltenes Postulat mit gleicher Stossrichtung von Nationalrätin Gadient (svp, GR) wurde ebenfalls überwiesen [22].
Die 1994 abgeschaffte Erhebung über die Logiernächte in der Parahotellerie soll ab Sommer 1996 durch das Bundesamt für Statistik wieder weitergeführt, aber nicht mehr vom Bund bezahlt werden. Das neue Finanzierungsmodell sieht vor, dass sich die Tourismusförderungsorganisation "Schweiz Tourismus" und die Kantone - im Verhältnis zu den Logiernächten - in die Kosten teilen [23].
Der Bundesrat gab im Januar den von einer Expertenkommission ausgearbeiteten Vorentwurf für ein Gesetz über Spielkasinos in die Vernehmlassung. Das Projekt stützt sich auf die am 7. März 1993 mit deutlicher Mehrheit von Volk und Ständen beschlossene Aufhebung des Spielbankenverbots in der Verfassung. Es verfolgt mehrere Ziele, wobei die vor allem von der Tourismusbranche geforderten wirtschaftlichen Aspekte eher im Hintergrund stehen. Im Vordergrund des Expertenentwurfs steht die Abwehr von Geldwäscherei und anderen kriminellen Tätigkeiten sowie der Schutz vor negativen sozialen Auswirkungen auf die Spieler. Das erste Ziel soll namentlich mit einer Identitätsüberprüfung der Spieler und einer Meldepflicht und Herkunftsabklärung bei grösseren Geldtransaktionen erreicht werden. Zur Verhinderung von negativen sozialen Auswirkungen sollen die Spielbankenbetreiber Konzepte vorlegen, welche eine Früherkennung von suchtgefährdeten oder überschuldeten Spielern und das Einleiten präventiver Massnahmen erlauben. Die Höhe der Sonderfiskalbelastung der Kasinoerträge zugunsten der AHV (gemäss Verfassung maximal 80%) wurde im Vorentwurf noch nicht festgelegt. Vorgeschlagen wurde ein Satz von 10-40% auf dem Bruttospielgewinn der Bank (d.h. inkl. Trinkgelder) auf den ersten 10 Mio Fr. und eine progressive Besteuerung höherer Erträge. Insgesamt soll der Bundesrat als Konzessionsbehörde höchstens 13 Spielbanken zulassen können (dabei nicht mehr als zwei in einem Kanton) [24].
Die Branchenvertreter waren von dem in die Vernehmlassung gegebenen Entwurf wenig angetan. Insbesondere kritisierten sie, dass die Bestimmungen über die steuerliche Belastung zuwenig konkretisiert worden waren und dass von den Besuchern verlangt werden soll, sich beim Betreten eines Spielkasinos auszuweisen und sich registrieren zu lassen. Auch der Vorort, der Gewerbeverband und die bürgerlichen Bundesratsparteien bemängelten, dass die vorgesehenen Regeln viel strenger seien als im angrenzenden Ausland und tendenziell eine Verhinderung von Kasinobetrieben bewirken würden. Der Schweizerische Kursaalverband reagierte mit einem Alternativentwurf, der sich in den Grundzügen an den Expertenentwurf hielt, aber insbesondere verlangte, dass die Regelungskompetenz für das Betreiben von Spielautomaten bei den Kantonen verbleibt. Positiv reagierten hingegen Kreise, welche die Aufhebung des Spielbankenverbots bekämpft hatten (EVP) oder ihr zumindest skeptisch gegenüberstanden (SP) [25]. Der Bundesrat beschloss gegen Jahresende, sowohl an den Vorschriften des Vorentwurfs zur Verhütung von Geldwäscherei als auch an der vorgesehenen Höchstzahl von dreizehn Kasinos festzuhalten, hingegen die Bestimmungen über die Besteuerung überarbeiten zu lassen. Die von den Kantonen geforderte Beteiligung an der Sondersteuer lehnte er als verfassungswidrig ab [26].
 
[13] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 182 ff. und 346; Amtl. Bull. StR, 1995, S. 139; BBl, 1995, I, S. 658 ff. Vgl. SPJ 1994, S. 96.13
[14] Vgl. dazu unten, Teil I, 4c (Produits alimentaires). Siehe auch Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2108 f. (vom NR überwiesene Motion Epiney, cvp, VS). Vgl. SPJ 1994, S. 96.14
[15] Amtl. Bull. StR, 1995, S. 126 ff. und 1064 f.; Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1826 ff., 1845 ff. und 2296 f.; BBl, 1995, IV, S. 562 f. resp. 564 f.; BBl, 1996, II, S. 372. Vgl. SPJ 1994, S. 96.15
[16] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1794 f. (Wick) resp. 2188 ff. (Lepori). Der BR veröffentlichte einen Bericht "Risikokapital in der Schweiz" (vgl. TA, 21.3.95). Zur CVP siehe auch unten, Teil IIIa (CVP).16
[17] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1793.17
[18] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2681 ff.18
[19] Amtl. Bull. StR, 1995, S. 126 ff., 939 ff., 1015 und 1064; Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1826 ff., 2054 f. und 2296; BBl, 1995, IV, S. 558 ff.; Presse vom 22.9.95. Vgl. SPJ 1994, S. 97 f. Siehe auch Lit. BIGA.19
[20] BaZ und NZZ, 29.6.95; NZZ, 21.10.95; SHZ, 7.10.95.20
[21] Amtl. Bull. StR, 1995, S. 136. Vgl. SPJ 1994, S. 98. Siehe auch Lit. Kind.21
[22] Amtl. Bull. StR, 1995, S. 136 ff.; Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1610 f. Zum reduzierten MwSt-Satz für Hotelübernachtungen siehe unten, Teil I, 5 (Bundesfinanzordnung).22
[23] TA, 29.8.95; BüZ, 22.12.95. Vgl. SPJ 1994, S. 99.23
[24] Presse vom 21.1.95. Vgl. SPJ 1993, S. 103 f. und 1994, S. 99. Siehe auch Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1351 f. (Frage Bezzola, fdp, GR), 1677 f. (Interpellation Aguet, sp, VD) und 2221 ff. (Interpellationen Zisyadis, pda, VD).24
[25] BZ, 21.1.95; BaZ, 6.4.95; TA, 3.5.95. Kursaalverband: NZZ, 6.4.95. Vgl. auch die Kritik in NZZ, 26.5.95. Siehe ferner die Beanstandungen von Strafrechtlern wegen potentieller Geldwäscherei in Plädoyer, 13/1995, Nr. 2, S. 9 ff.25
[26] NZZ und SGT, 5.12.95.26