Année politique Suisse 1995 : Infrastructure, aménagement, environnement / Sol et logement
Raumplanung
Beide Räte stimmten im Berichtsjahr einer
Mini-Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG) zu und damit jenen Massnahmen, die vom ursprünglich umfassenderen Revisionspaket "Anschlussprogramm Bodenrecht und Raumplanung" nach dem Widerstand bürgerlicher Kreise noch übrig geblieben waren: das Recht auf Privaterschliessung sowie Massnahmen zur Vereinfachung und Beschleunigung des Baubewilligungsverfahrens. Das
Recht auf Privaterschliessung, wenn Gemeinden Bauzonen nicht fristgerecht erschliessen, gab in beiden Räten kaum zur Diskussion Anlass. Zu gewichtigen Differenzen kam es aber bei den Massnahmen zur
Beschleunigung und Koordination des kantonalen Baubewilligungsverfahrens. Der Ständerat als Erstrat wies auf die laufenden Bemühungen der meisten Kantone in diesem Bereich hin und lehnte es deshalb zumindest vorläufig ab, diese zu verpflichten, für alle Verfahren zur Errichtung oder Änderung von Bauten und Anlagen Fristen zu setzen. Ebenso sprach er sich zu diesem Zeitpunkt gegen Minimalanforderungen für die Koordination der verschiedenen Bewilligungen aus. Stattdessen überwies der Ständerat eine Motion seiner Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek), die vom Bundesrat verlangte, mit gutem Beispiel voranzugehen und bis Ende 1996 eine Vorlage über die Koordination der Bewilligungsverfahren für bodenbezogene Projekte vorzulegen, welche in die Zuständigkeit des Bundes fallen. In der Sommersession sprach sich der Nationalrat mit 93 zu 23 Stimmen aber für verbindliche Verfahrensfristen und für obligatorische Koordinationsvorschriften aus. Ein Minderheitsantrag Strahm (sp, BE), der sich der Motion des Ständerates anschloss, wurde abgelehnt. Auch ein Antrag der rot-grünen Ratsminderheit, das dünne Revisionspaket zurückzuweisen und dem Rat wieder mit dem ursprünglich enthaltenen Vorkaufsrecht sowie der Pflicht zur Preisveröffentlichung vorzulegen, scheiterte. In der Herbstsession warf dann auch die kleine Kammer ihre föderalistischen Bedenken über Bord und schwenkte auf den bundesrätlichen Entwurf ein. Neben der Verpflichtung der Kantone, für sämtliche Verfahren Fristen zu setzen und Minimalanforderungen des Bundes für die Koordination der verschiedenen Verfahren und Verfügungen zu folgen, sieht die Revision des RPG auch eine Vereinheitlichung beim Beschwerdeweg vor. So soll neu eine einzige einheitliche Rechtsmittelinstanz von Bundesrechts wegen vorgeschrieben werden
[1].
Der Ständerat bestand in der Herbstsession auf der Überweisung des Herzstücks der Motion seiner Urek-Kommission, die dem Bundesrat den Auftrag erteilt, bis spätestens 1996 eine Vorlage über die Koordination der Bewilligungsverfahren der
in die Bundeszuständigkeit fallenden bodenbezogenen Projekte (Koordinationsgesetz) - es geht vor allem um wichtige Grossprojekte - vorzulegen. Der Bundesrat zeigte sich bereit, die Motion entgegenzunehmen, wobei er auf ein gewisses Zeitproblem aufmerksam machte. Als Zweitrat überwies auch der Nationalrat die Motion diskussionslos
[2].
Kritisch bis ablehnend ist im Vernehmlassungsverfahren eine weitere Teilrevision des RPG aufgenommen worden, die eine
Öffnung der Landwirtschaftszonen für kommmerzielle und gewerbliche Zwecke zum Ziel hat. Eine vom Obwaldner Landammann Adalbert Durrer (cvp) präsidierte Expertenkommission hatte sich mit der Umsetzung dieses auf eine Motion Zimmerli (svp, BE) zurückgehenden Anliegens befasst und sich für eine weitgehende Öffnung der Landwirtschaftszone ausgesprochen. 17 Kantone, vier Parteien (SP, Grüne, LP, SD), alle Umweltorganisationen, fast alle Gruppierungen aus dem Bereich Planung und Bodenrecht sowie der Gemeindeverband lehnten die Vorlage ab; neun Kantone, die bürgerlichen Bundesratsparteien und die grossen Wirtschaftsverbände formulierten gewichtige Vorbehalte. Im Zentrum der
Kritik standen dabei die Vorschläge, die Bodenabhängigkeit landwirtschaftlicher und gartenbaulicher Nutzungen aufzuweichen sowie die Agrarzone für gewerbliche Nutzungen zugänglich zu machen. Die Vorlage verletze durch die Preisgabe der Bodenabhängigkeit oder durch die Zulassung vollständiger Zweckänderungen bestehender landwirtschaftlicher Bauten zur gewerblichen Nutzung den verfassungsmässig garantierten
Grundsatz der Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet und würde zu Kollisionen mit dem bäuerlichen Bodenrecht oder sogar zu dessen Aushöhlung führen. Konsensfähig erschien dagegen der Vorschlag, nicht mehr benötigte landwirtschaftliche Bauten vermehrt für Wohnzwecke nutzen zu dürfen. Der Bundesrat schickte die Vorlage zur Überarbeitung zurück und legte Rahmenbedingungen fest. So sollten Bauten für bodenunabhängige Produktion in der Landwirtschaftszone vor allem in Zusammenhang mit der sogenannten "inneren Aufstockung", d.h. der Sicherung eines landwirtschaftlichen Betriebes durch Angliederung von Bauten zur bodenunabhängigen Produktion, zulässig sein. Das Gebiet ausserhalb von Bauzonen sei gewerblichen Tätigkeiten jedoch nur in sehr beschränktem Umfang zu öffnen. Die vermehrte Nutzung nicht mehr benötigter landwirtschaftlicher Bauten solle grundsätzlich ermöglicht werden
[3].
Im Rahmen der Vernehmlassung zum Bericht "
Grundzüge der Raumordnung Schweiz", mit dem das Bundesamt für Raumplanung Impulse gegen die Zersiedelung geben wollte, und der möglicherweise in eine Totalrevision des RPG münden soll, gingen vorwiegend "Ja aber"-Stellungnahmen ein. Verschiedene ländliche Stände empfanden das Raumordnungskonzept eines vernetzten Städtesystems und einer verstärkten Funktionsteilung der Wirtschaftsräume als
zu "städtelastig" und kritisierten, dass die ländlichen Räume und Berggebiete einmal mehr als wirtschaftlich vernachlässigbare Ergänzungsräume und Natur- und Erholungsgebiete für die städtischen Zentren dargestellt und behandelt würden. Die Regionalkonferenz der Nordwestschweizer Regierungen befürchtete eine zu grosse Konzentration auf den Ballungsraum Zürich. Die Bündner Regierung warf dem Bund ausserdem vor, den verfassungsmässigen Grundsatz zu missachten, wonach die Kompetenz und die Verantwortung für die Raumordnung den Kantonen mit ihren Richt- und Nutzungsplänen zustehen. Die Parteien kritisierten die Unverbindlichkeit der Ziele und den fehlenden Praxisbezug des Entwurfs. So hätte sich die SP klare zeitliche Angaben zur Verwirklichung der Kostenwahrheit im Verkehr gewünscht, und die FDP vermisste Ansätze zu Förderung der Wirtschaftsstandorte
[4].
Eine parlamentarische Initiative Thür (gp, AG) verlangte mit einer Änderung des RPG eine
Begrenzung des Siedlungsgebietes und eine dichtere Überbauung, um die Zersiedelung der Landschaft zu bremsen. Gemäss dem Initianten sollen Bauzonen neu nur noch Land umfassen, das bereits weitgehend überbaut ist. Der Nationalrat folgte mit 71 zu 44 Stimmen der Kommissionsmehrheit, die den Vorstoss mit der Begründung ablehnte, dass die verbindliche Festlegung der Bauzonen und Reservegebiete durch den Bund als Eingriff in die Kompetenzen der Kantone oder Gemeinden verfassungswidrig sei. Ausserdem würde eine Baulandverknappung zu einer Preisexplosion führen. Auch eine parlamentarische Initiative Strahm (sp, BE), die mit einer Änderung des RPG eine
Besteuerung von baureifem Land zum Verkehrswert forderte, um die Baulandhortung zu hemmen und Bauland rascher und besser verfügbar zu machen, wurde vom Nationalrat klar abgelehnt. Das Anliegen des Initianten sei nicht im Rahmen des RPG, sondern über das Steuerrecht zu lösen
[5].
Der Nationalrat lehnte eine im letzten Jahr vom Ständerat überwiesene Motion Bisig (fdp, SZ) ab, die eine Ergänzung des RPG (Art. 24) in dem Sinne verlangte, dass das kantonale Recht die Erstellung von Anlagen zum Zwecke der
Erschliessung von Baugebiet künftig auch
ausserhalb der Bauzone gestatten kann. Als Argument machte die Ratsmehrheit geltend, dass die Erleichterung des Bauens ausserhalb der Bauzone den Grundsätzen der Raumplanung und insbesondere dem Zweck der Landwirtschaftszone widerspreche
[6].
Eine Motion Fischer (fdp, AG) verlangte eine Revision des RPG mit dem Ziel, die Fortgeltung vor dem Inkrafttreten des RPG erlassener nicht RPG-konformer
Nutzungspläne zu sichern, solange diese nicht ersetzt oder überarbeitet werden. Zumindest sollen jene Pläne aufrechterhalten bleiben, die nach dem Inkrafttreten des RPG von den zuständigen kantonalen Behörden genehmigt wurden. Der Nationalrat überwies die Motion knapp mit 73 zu 72 Stimmen, gegen den Willen des Bundesrats. Dieser machte geltend, dass die Motion bezwecke, Gemeinden mit immer noch überdimensionierten Bauzonen von einer Anpassung ihrer Bauzonen an das gesetzeskonforme Mass zu dispensieren. Gemeinden, die unter grossen Anstrengungen ihre Bauzonengrössen angepasst haben, würden damit desavouiert
[7].
Der Ständerat überwies oppositionslos eine Motion Maissen (cvp, GR), die eine
verbesserte Koordination zwischen Raumplanung und Naturschutz fordert. Konkret verlangte der Motionär, dass alle raumwirksamen Pläne und Inventare koordiniert und kohärent abgestimmt werden und dass insbesondere sämtliche raumwirksamen Aufgaben des Bundes im Bereich des Natur- und Heimatschutzes in die ordentlichen raumplanungsrechtlichen Verfahren eingebunden werden
[8].
Das Tessiner Komitee "Pro Rustici" kündigte eine Volksinitiative an, welche eine Verfassungsnorm über die Behandlung von kulturgeschichtlich wertvollen Bauten ausserhalb der Bauzone fordert und die Zuständigkeit für den Erhalt der historischen Landschaft und ihrer charakteristischen Bauten den Kantonen übertragen will. Es strebt damit einen Ausweg aus der langjährigen Kontroverse um die Frage und die teils widersprüchliche Praxis an, in welcher Weise ursprünglich landwirtschaftlich genutzte Gebäude im Tessin, die
Tessiner Rustici, legal renoviert und damit vor dem Zerfall gerettet werden können. Insgesamt sind im Südkanton rund 450 Fälle von nicht gesetzeskonform umgebauten Rustici bekannt, und gegen einige wurden Abbruchbefehle verhängt. Diese Zwangsabbrüche sollen gemäss dem Initiativkomitee nun bis zur Beendigung des Inititiativverfahrens suspendiert werden
[9].
Eine vom Bundesamt für Raumplanung publizierte Studie kam zum Schluss, dass
marktwirtschaftliche Instrumente die Konzentration der Besiedelung fördern und zum sparsameren Umgang mit dem Boden beitragen können. Einen entscheidenden Faktor stellen dabei die Preiserhöhungen im privaten Personenverkehr dar: Mit diesen werde der öffentliche Verkehr relativ günstiger, da er sich auf die Siedlungszentren konzentriere. Als zweites wichtiges Instrument wurde eine "Bodenversiegelungsabgabe" vorgeschlagen, mit der sich die Bautätigkeit stärker auf die überbauten Flächen konzentrieren würde. Der Übergang von Preissubventionen zu flächengebundenen und ökologischen Direktzahlungen in der Landwirtschaft führe insgesamt zu einer Abnahme der Nutzungsintensität. Weniger raumplanerische Effekte ergeben sich gemäss der Studie etwa bei der CO2-Abgabe, der Einführung der Marktmiete und der Deregulierung der Telekommunikation. Unter dem Strich würden marktwirtschaftliche Instrumente zu einer verstärkten Konzentration beitragen und die Siedlungskerne fördern. Sie unterstützen so das Ziel der haushälterischen Nutzung des Bodens
[10].
Erstmals quantifizierte eine Studie die
brachliegenden Areale und Flächen der Schweiz. Danach standen 1991 über 10% (gut 10 Mio m2) aller Industrieflächen vollständig leer oder wurden unzureichend genutzt. Diese brachliegende Fläche wird sich gemäss Schätzungen der Autoren in den nächsten zehn Jahren verdreifachen und könnte bis im Jahr 2005 durch Umnutzung die Hälfte des gesamten neuen, nicht-industriellen Raumbedarfs (Wohnen, Dienstleistungen, Infrastruktur und Büros) decken
[11].
[1]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 17 ff., 802 ff. und 1064 ff.;
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1190 ff., 1224 ff. und 2294;
BBl, 1995, IV, S. 483 f.;
Bund und
TA, 13.6.95. Siehe auch
SPJ 1994, S. 171 f.1
[2]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 805;
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2136 f.2
[3]
Bund und
NZZ, 3.10.95. Vgl. auch
SPJ 1994, S. 172.3
[4]
BüZ, 28.4.95;
Bund, 3.5.95;
NZZ, 8.5.95;
SGT, 23.5.95;
BaZ, 29.5.95. Siehe auch
SPJ 1994, S. 173.4
[5]
Amtl. Bull.
NR, 1995, S. 1869 ff. (Thür) und 1879 ff. (Strahm);
LZ und
BaZ, 26.9.95. Zu Strahm: Die Kommissionsmehrheit verwies auf den neu vorliegenden Bericht Locher, der den Einsatz des Steuerrechts für wohnungs- und bodenpolitische Ziele überprüfte (siehe unten, Wohneigentumsförderung).5
[6]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1230 ff. Vgl.
SPJ 1994, S. 172 f.6
[7]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2575 ff.7
[8]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 806 ff.8
[9]
LNN, 8.9.95;
NZZ, 4.10.95.9
[10]
TW, 4.11.95;
Lit. Blöchlinger.10
[11]
Lit. Industrie Engineering Holding;
Bund, 13.1.95.11
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