Année politique Suisse 1995 : Politique sociale / Population et travail
 
Löhne
Im Berichtsjahr nahmen die Nominallöhne für die Gesamtheit der Arbeitnehmenden um 1,3% zu, wobei die Zunahme bei den Männern durchschnittlich 1,1% und bei den Frauen 1,8% betrug. Das Baugewerbe verzeichnete einen Lohnanstieg von 1,8%, der Dienstleistungssektor von 1,4% und die verarbeitende Produktion von 0,9%. Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Teuerung (+1,8%) ergab sich somit ein Rückgang der Reallöhne um 0,5% (1994: +0,5%). In den Verhandlungen im Rahmen der wichtigsten Gesamtarbeitsverträge wurden für 1995 im Mittel nominale Lohnerhöhungen von 1,4% vereinbart. Davon wurden 0,8% generell und 0,6% individuell ausgerichtet. Die Mindestlöhne stiegen durchschnittlich um 1,2% [15].
Für 1996 verlangten die Gewerkschaften Lohnerhöhungen von zwei bis drei Prozent. Sie argumentierten, die Reallöhne hätten in den letzten vier Jahren durchschnittlich um zwei Prozent abgenommen. Die wirtschaftliche Lage habe sich wieder verbessert, weshalb die Betriebe in der Lage seien, zumindest die von der Mehrwertsteuer verursachte Teuerung auszugleichen. Durch eine Erhöhung der Kaufkraft würde zudem die Konjunktur weiter angekurbelt. Die Arbeitgeber weigerten sich demgegenüber strikte, die Kompensation der mehrwertsteuerbedingten Teuerung als Arbeitgeberverpflichtung anzuerkennen. Zudem wollten sie Lohnerhöhungen nicht generell, sondern höchstens individuell gewähren [16]. Als Zeichen für die vor allem auf Arbeitgeberseite generell verhärteten Fronten bei den Lohnabschlüssen wurde der Umstand gewertet, dass die Verhandlungen im Bankensektor erstmals scheiterten. Die Gewerkschaften wiesen das diesbezügliche Angebot der Arbeitgeber als völlig ungenügend zurück, worauf diese die Verhandlungen in die Betriebe verlegten und zu individuellen Lohnanpassungen übergingen [17].
Erneut Vertragskonflikte gab es im Bauhauptgewerbe. Die Gewerkschaften verlangten eine generelle Lohnerhöhung in der Grössenordnung von 2,5% sowie die im 1994 abgeschlossenen Landesmantelvertrag vorgesehenen zusätzlichen zwei Ferientage ab 1996. Der Schweizerische Baumeisterverband bot lediglich zwei Ferientage oder 0,8% Lohnerhöhung an. Nach drei Verhandlungsrunden war die Situation derart blockiert, dass die Gewerkschaften die Paritätische Schiedskommission anriefen, welche bestimmte, dass die Bauarbeiter ab 1996 1,4% mehr Lohn sowie zwei Ferientage zusätzlich erhalten [18].
Die Lohnverhandlungen in der Uhrenindustrie konnten hingegen erfolgreich abgeschlossen werden. Die rund 30 000 dem GAV unterstellten Beschäftigten erhalten ab 1996 eine monatliche Lohnerhöhung von 75 Fr., was einem Anstieg von 1,72% des Durchschnittslohns entspricht [19].
Siehe dazu auch unten (Gesamtarbeitsverträge). Für die Löhne des Bundespersonals vgl. oben, Teil I, 1c (Verwaltung).
Die erste Lohnstrukturerhebung des BFS, die auf rund 553 000 Lohndaten aus 10 000 Betrieben basiert, bestätigte die landläufige Vorstellung, wonach die Schweizer im Durchschnitt gut verdienen (4823 Fr. brutto pro Monat), der Bund im Mittel rund ein Viertel mehr bezahlt als die Privatwirtschaft und die Frauen bei gleichem Beschäftigungsgrad weniger Lohn erhalten (-24%) als die Männer. Zum Zeitpunkt der Erhebung (Oktober 1994) verdienten 25,5% der Arbeitnehmenden bei 40 Wochenstunden einen Bruttolohn zwischen 4000 Fr. und 5000 Fr.; 20,9% lagen in der Lohnklasse zwischen 3000 Fr. und 4000 Fr., 18,5% in jener zwischen 5000 Fr. und 6000 Fr. und 10,6% in jener zwischen 6000 Fr. und 7000 Fr.; 8,3% aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verdienten unter 2000 Fr., 4,7% mehr als 10 000 Fr. im Monat. Das Ausbildungsniveau erweist sich laut BFS nach wie vor als eine zentrale Bestimmungsgrösse des Lohnes. Personen mit Hochschulabschluss erhielten im Durchschnitt doppelt soviel Lohn (8656 Fr.) wie solche ohne abgeschlossene Berufsausbildung (3776 Fr.). Kaum einen Einfluss hat das Ausbildungsniveau hingegen bei der Lohndifferenz nach Geschlechtern. So verdienten beispielsweise Hochschulabsolventinnen 22%, Arbeitnehmerinnen mit abgeschlossener Berufsausbildung 19% weniger als ihre männlichen Kollegen [20].
Eine im Frühjahr im Auftrag des Kaufmännischen Verbandes der Schweiz durchgeführte Studie, welche mehr als 10 000 Einzellöhne aus 350 Unternehmen verglich, zeigte nicht nur eine nach wie vor alarmierende Lohndiskriminierung der Frauen - bei gleicher Funktionsstufe, Branche und Alter bis rund 35% -, sondern wies auch generell bedeutende Lohnunterschiede je nach Wohnort und Branche nach. Die Erhebung teilte die Schweiz in drei Regionen ein. In der Region 1 (Genf, Stadt und Kanton Zürich) wird am meisten verdient; die Löhne liegen 5,7% über dem Schweizer Mittelwert. In der Region 2 (Basel, Mittelland, Ost- und Zentralschweiz) liegen sie dagegen 3,8% unter dem Schnitt, und in der Region 3 (Graubünden, Tessin, Wallis) gar 8% darunter. Bei den Branchen sind die Lohnunterschiede kleiner. Dienstleistungen (+3,7%) und Grosshandel (+1,9%) liegen über dem durchschnittlichen Lohnniveau, Detailhandel (-5,4%) und Industrie (-1,4%) darunter [21].
Laut einer jährlich durchgeführten Untersuchung gingen erstmals seit längerer Zeit die durchschnittlichen Bezüge der Führungskräfte in der Schweiz nominell zurück. Im Mittel erhielt ein Manager der obersten Ebene 1995 ein Bruttogehalt von 205 000 Fr., 5000 Fr. weniger als noch im Vorjahr. Nur die unterste Kaderstufe profitierte im Berichtsjahr von einem Anstieg der Löhne. Das Durchschnittsgehalt auf dieser Stufe stieg von 90 000 auf 95 000 Fr. Als wesentliches Merkmal der Studie zeigte sich auch, dass der durchschnittliche variable Lohnanteil gemessen am Fixlohn an Bedeutung gewinnt. Im obersten Lohnbereich von über 300 000 Fr. machte dieser Anteil 1995 im Durchschnitt bereits 27% aus, bei Kaderlöhnen unter 100 000 Fr. waren es dagegen lediglich 12% [22].
Das Bundesgericht hob die fristlose Entlassung eines Arbeitnehmers auf, der schlechter bezahlten Kollegen seinen eigenen (höheren) Lohn genannt und sie so zu Salärforderungen ermuntert hatte. Laut dem Urteil gibt es keine gesetzliche Pflicht, über den eigenen Lohn zu schweigen, und das Recht auf Gewinnmaximierung stehe dem Arbeitnehmer genauso zu wie dem Arbeitgeber [23].
 
[15] Die Volkswirtschaft, 69/1996, Nr. 4, S. 13* f.; M. Wiesendanger Martinovits, "Gesamtarbeitsvertragliche Lohnabschlüsse für 1995", in Die Volkswirtschaft, 68/1995, Nr. 6, S. 45 ff.; M. Curti, "Stabile Löhne bei sinkender Beschäftigung", in Die Volkswirtschaft, 69/1996, Nr. 5, S. 60 ff.15
[16] TA, 17.7.95; Presse vom 16.8.95; NQ, 4.9., 21.11. und 28.11.95; Presse vom 20.10.95; SoZ, 12.11.95. Die Gewerkschaften machten ebenfalls geltend, dass die Produktivitätssteigerung in der Schweiz in den letzten Jahren deutlich über dem Anstieg der Reallöhne lag, 1994 beispielsweise bei 1,4% (JdG, 16.2.96). Zum Lohnniveau der Schweiz im internationalen Vergleich siehe Lib., 14.11.95. Die durchschnittlichen Lohnerhöhungen für 1996 wurden auf 1,5% geschätzt (Presse vom 7.11., 1.12. und 20.12.95).16
[17] Presse vom 23.9.95; NZZ, 29.9.95; LZ, 17.10.95.17
[18] Presse vom 26.10., 1.11., 16.11., 11.12. und 14.12.95.18
[19] Presse vom 26.10.95.19
[20] Presse vom 23.12.95.20
[21] Presse vom 9.6.95.21
[22] SHZ, 9.3.95; Presse vom 7.9.95.22
[23] Presse vom 14.2.95.23