Année politique Suisse 1995 : Politique sociale / Groupes sociaux
 
Seniorenpolitik
Immer mehr Menschen erreichen ein hohes Alter, und immer mehr fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen und vernachlässigt. Dies zeigte der Bericht "Altern in der Schweiz", der im Auftrag des EDI von einer Expertenkommission erstellt wurde. Der Bericht versteht sich nicht nur als Bestandesaufnahme der Situation der älteren Bevölkerung, sondern auch als Leitfaden für eine neue Alterspolitik. Ausgehend von der Einsicht, dass mit der wachsenden Zahl von Rentnerinnen und Rentnern ein gewaltiges Potential an Wissen und Arbeitskraft brachliegt, schlug die Kommission vor, ältere Menschen künftig vermehrt in gesellschaftliche und soziale Aufgaben einzubinden. Diese Erkenntnis möchte die Kommission mit einem neuen "Generationenvertrag" verwirklichen. Dieser sieht neben einem flexiblen Rentenalter zwischen dem 58. und dem 70. Lebensjahr vor, dass die jüngeren Generationen im eigenen Interesse Rahmenbedingungen schaffen sollen, die es der älteren Bevölkerung erlauben, aus ihrer "Nutzlosigkeit" und Isolation auszubrechen. Zur Auswahl könnten handwerkliche Arbeiten, Gutachtertätigkeiten, soziale Einsätze und künstlerische und erzieherische Dienstleistungen stehen [75].
Mit einer Motion wollte Nationalrat Allenspach (fdp, ZH) den Bundesrat verpflichten, eine konsultative Kommission für Altersfragen zu schaffen, die sich departementsübergreifend mit allen Fragen des dritten Lebensabschnittes befasst. Der Bundesrat wollte in diesem Bereich kein konkretes Engagement eingehen, sondern vorerst die Reaktionen auf den Altersbericht sowie die Ergebnisse der Forschungsberichte aus dem NFP 32 (Alter) abwarten. Auf seinen Antrag wurde der Vorstoss als Postulat angenommen [76].
Gemäss einer Erhebung des Bundesamtes für Statistik leben in der Schweiz rund 71 500 Personen in einem Alters- oder Pflegeheim, mehrheitlich alleinstehende (ledige oder verwitwete) Frauen mit einem Durchschnittsalter von 82 Jahren. Unter den betagten Heimbewohnerinnen und -bewohnern ist eine schlechte seelische Verfassung sehr verbreitet. Mehr als drei Viertel leiden unter Niedergeschlagenheit, Pessimismus und Energielosigkeit. Nur bei neun Prozent überwiegen positive Gefühle wie Gelassenheit und Optimismus. In der übrigen Bevölkerung gaben hingegen vier von zehn Personen an, sich psychisch gut zu fühlen [77].
 
[75] Lit. Altern; Lit. Huber; Presse vom 29.3.95; Cash, 19.5.95 (Dossier Altersfragen). Für die Haltung der Parteien in der Alterspolitik siehe CHSS, 1995, S. 144 f. Im Mai fand in Bern die erste nationale Rentnerkonferenz statt. Die Delegierten sprachen sich gegen die Heraufsetzung des AHV-Rentenalters für Frauen und für einen flexiblen Altersrücktritt ohne finanzielle Einbussen aus (Presse vom 22.5.95).75
[76] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1583 f.; LNN, 13.12.95.76
[77] Bund, 1.9.95.77