Année politique Suisse 1995 : Enseignement, culture et médias / Médias
 
Medienpolitische Grundfragen
Weil die Medien zunehmend zur vierten Gewalt in der direkten Demokratie würden, seien sie im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung institutionell ins System der Gewaltentrennung einzubinden. Dies verlangt eine Motion Zbinden (sp, AG), die von elf Parlamentariern mitunterzeichnet wurde. Gemäss dem Motionär sollen auf diese Weise wechselseitige Übergriffe und Interessenverflechtungen zwischen Medien und staatlichen Gewalten verhindert werden. In seiner Antwort schrieb der Bundesrat, dass die Rolle der Medien keinesfalls mit derjenigen der drei staatlichen Gewalten gleichgesetzt werden könne. Fragen der Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit, wie auch der zulässigen staatlichen Medienförderung und der Ausbildung zukünftiger Medienschaffender an den Hochschulen seien im Rahmen der eingeleiteten Verfassungs-Totalrevision aber zu diskutieren. Die Behandlung der Motion wurde verschoben [1].
In einer weiteren Motion, die vom Nationalrat als Postulat überwiesen wurde, forderte Zbinden die Einführung eines Presseartikels in der Bundesverfassung und ein Anschlussgesetz, das öffentliche Massnahmen des Bundes zugunsten einer vielfältigen, qualitativ anspruchsvollen und unabhängigen Presse ermöglicht. Als Massnahmen schlug er Förderungen, Fusionskontrollen, wissenschaftliche Presseforschung, Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten, Offenlegungspflichten, Schutz der Redaktionsfreiheit und garantierte "Fenster" für Minderheiten in Monopolregionen vor. Der Bundesrat erklärte sich - ebenfalls im Rahmen der laufenden Totalrevision der Bundesverfassung - bereit, die Notwendigkeit eines Presseartikels zu prüfen [2].
Vorsorgliche Massnahmen gegen Medienerzeugnisse sollen künftig beim Bundesgericht angefochten werden können. Eine entsprechende parlamentarische Initiative seiner Rechtskommission hat der Nationalrat ohne Gegenstimme gutgeheissen. Nach Art. 28c ZGB kann jemand vom Richter mit Hilfe eines einfachen Gesuchs erwirken, dass die Publikation von Presseartikeln und Fernsehsendungen ganz oder zum Teil verboten wird, wenn er glaubhaft macht, dass er in seiner Persönlichkeit verletzt würde. Die Rechtskommission gelangte zum Schluss, dass solche vorsorglichen Massnahmen tendenziell zu rasch bewilligt würden. Eine parlamentarische Initiative Poncet (lp, GE), die zuvor vorgeschlagen hatte, dass die volle Beweislast für Behauptungen über Verletzungen durch die Medien künftig beim Gesuchsteller alleine liegen solle und Medienunternehmen bei der Beweisaufnahme nicht mitwirken müssen, wurde zugunsten des Vorstosses der Rechtskommission zurückgezogen [3].
Mit 54 zu 32 Stimmen verwarf der Nationalrat ein Postulat Reimann (svp, AG), das die tatsächliche Durchsetzung des Entzugs der Akkreditierung für Bundeshausjournalisten forderte, die vertrauliche Informationen missbrauchen. Gemäss dem Postulanten sei diese in der Akkreditierungsverordnung vorgesehene Sanktion sonst aufzuheben. In seiner Antwort war der Bundesrat nicht zu einer strengeren Ahndung von Indiskretionen bereit. Grundsätzlich sei es Sache der Behörden, mit einer aktiven Informationspolitik Indiskretionen zu verhindern [4].
Gemäss einem Bundesgerichtsentscheid durfte die Bundesanwaltschaft sichergestellte Unterlagen der "Sonntagszeitung" einsehen. Diese hatte einen Artikel über FIS-Waffenkäufe in der Schweiz veröffentlicht, der sich auf Ermittlungsakten der Untersuchungsbehörden stützte. Damit akzeptierte das Bundesgericht den von der "SoZ" geltend gemachten Quellenschutz nicht, mit der Begründung, dass die Bundesanwaltschaft nicht nur gegen Journalisten ermittle, sondern auch wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses durch Bundesbeamte [5].
Gemäss dem Presserat des Schweizer Verbandes für Journalistinnen und Journalisten gerät die Pressefreiheit in der Schweiz zusehends unter Druck. Als Beispiel nannte er eine Datei des Verkehrsvereins Zermatt über rund 4500 beliebte und missliebige Medienschaffende aus aller Welt. Gefahr ortet der Presserat auch in der Macht der Wirtschaft. Er rief die Journalisten dazu auf, auf Boykottdrohungen der Wirtschaft nicht einzugehen und diese sofort publik zu machen [6].
Die SVP will bürgerliche Journalisten fördern. In einem Positionspapier zur Medienpolitik machte sie sich die Schulung von Medienschaffenden zur Aufgabe und will zur Förderung des bürgerlich gesinnten journalistischen Nachwuchses beitragen [7].
Der Aargauer Grosse Rat verwarf eine parlamentarische Initiative der SP-Fraktion, die eine staatliche Medienförderung im Gesetz verankern wollte, um einen "Medieneintopf" im Kanton Aargau zu verhindern. Die bürgerliche Ratsmehrheit sprach sich für freie Marktwirtschaft und gegen die vor 15 Jahren in der Kantonsverfassung verankerte Absicht aus, ein Mediengesetz zu erlassen. Der Gesetzesentwurf der SP sah Investitions- und Produktionsbeiträge für Presse, Radio und Fernsehen - vor allem als Starthilfe gedacht - vor sowie Beiträge zur Aus- und Weiterbildung im Medienbereich [8].
 
[1] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 934 f.; BaZ, 9.1.95.1
[2] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 269 f.2
[3] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1873 ff.; BaZ und 24 Heures, 26.9.95; NZZ, 30.10.95.3
[4] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 135 ff.; BaZ, 27.1.95. Auch eine Interpellation Moser (fp, AG) hatte vom BR Massnahmen zur Unterbindung von Indiskretionen von Journalisten gefordert (Amtl. Bull. NR, 1995, S. 134 f.). Vgl. SPJ 1994, S. 273.4
[5] Presse vom 19.1.95. Vgl. SPJ 1994, S. 274.5
[6] Presse vom 11.2.95.6
[7] SVP, Positionspapier zur Medienpolitik der SVP, Bern 1995.7
[8] LNN und TA, 10.5.95.8