Année politique Suisse 1996 : Chronique générale / Finances publiques
 
Finanzausgleich
1994 hatte der Bundesrat einer vom EFD und der Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren gemeinsam getragenen Projektorganisation den Auftrag erteilt, Vorschläge für eine grundlegende Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Kantonen zu erarbeiten, die sich in einem ersten Schritt im wesentlichen auf die Grundzüge des neuen Finanzausgleichs beschränken sollten. Im März schickte der Bundesrat den Bericht der Projektorganisation in die Vernehmlassung. Hauptziel der Neuordnung des Finanzausgleichs ist es, das in den letzten 40 Jahren entstandene Gewirr der Aufgaben, Kompetenzen und Geldströmen zwischen Bund und Kantonen zu entflechten und den Föderalismus zu revitalisieren. Der Zentralisierungstrend soll gebrochen und den Kantonen Handlungsspielraum zurückgegeben werden. Die Reform setzt an bei einer klaren Aufgabenentflechtung zwischen Bund und Kantonen in 29 von 50 Bereichen: Neu sollen acht Bereiche [40] ausschliesslich Bundessache sein, wobei der Bund auch bei alleiniger Zuständigkeit den Vollzug in Auftrag geben kann. In 21 Aufgabenbereichen [41] sollen die Kantone neu weitestgehend selbständig entscheiden und handeln können, wobei sie in acht [42] der ihnen übertragenen Bereiche vom Bund zur interkantonalen Zusammenarbeit mit Lastenausgleich verpflichtet werden sollen. Vom interkantonalen Lastenausgleich werden Leistungen erfasst, von denen andere profitieren, ohne sich (bis jetzt) in angemessener Form finanziell zu beteiligen. Im Vordergrund stehen die sogenannten Zentrumsleistungen grosser Agglomerationskantone. Wo Bund und Kantone bestimmte Aufgaben, sogenannte Verbundaufgaben [43], weiterhin gemeinsam lösen müssen, werden die Kompetenzen neu klar geregelt. Die strategische Führung soll beim Bund, die operative Verantwortung bei den Kantonen liegen. Neu soll der Bund künftig auf prozentuale Kostenübernahmen verzichten und stattdessen Global- oder Pauschalbeiträge ausrichten und sich statt am Aufwand am Ergebnis orientieren.
Die Neuordnung des Finanzausgleichs soll nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe ohne Leistungsabstriche ein jährliches Sparpotential von 15% oder mindestens 3 Mia Fr. eröffnen, von denen 60% auf den Bund und 40% auf die Kantone entfallen sollen. EFD-Vorsteher Kaspar Villiger bezeichnete diese Prognosen allerdings als sehr optimistisch. Wesentlichste Gründe für die Einsparungen sind, dass der neue Finanzausgleich Anreize zum Sparen statt zum "Geld-Abholen in Bern" schafft und Entscheidungsbefugnisse mit der Kostenübernahme verbindet. Weiter würden Parallelverwaltungen eliminiert und eine verbesserte Kosten- und Wirkungskontrolle beim Aufgabenvollzug ermöglicht. Über den neu konzipierten Ressourcenausgleich sollen schliesslich die Unterschiede in der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kantone abgebaut und den finanzschwächsten Kantonen anstelle der bisherigen Finanzkraftzuschläge frei verfügbare Mittel ausgerichtet werden. Messgrösse ist ein Ressourcenindex, der grösstenteils auf den harmonisierten Bemessungsgrundlagen der direkten Bundessteuer beruht. Voraussetzungen für die Revision - die ebensosehr ein staatspolitisches wie ein finanzpolitisches Vorhaben ist - sind ein neuer Finanzausgleichsartikel und die Änderung verschiedener Kompetenzartikel in der Bundesverfassung sowie Gesetzesänderungen. Erste Realisierungen sieht der Bundesrat deshalb erst für das Jahr 2000 vor [44].
In der Vernehmlassung fanden die Kernstücke der Reform breite Unterstützung, es gab allerdings auch viel Detailkritik. Zahlreiche Kantone befürchteten, der Bund könnte die Reform nutzen, um Lasten abzuwälzen. Ein kritisches Echo fand denn auch die Bezifferung des Sparpotentials auf 3 Mia Fr. SP und Gewerkschaftsbund befürchteten einen Leistungsabbau durch den Rückzug des Bundes aus Aufgabenbereichen, etwa bei der Berufsbildung. Breite Opposition von links bis rechts erwuchs auch der Kantonalisierung der Ergänzungsleistungen und des Regional- und Agglomerationsverkehrs sowie der Zentralisierung des Militärs beim Bund. Ein gewichtiger Vorbehalt kam von den Gemeinden und Städten, die auf den Einbezug ihrer Ebene in das Projekt drängen. Eine Neuordnung des Finanzausgleichs, die sich nur am Verhältnis Bund/Kantone orientiere, ziele an der föderalistischen Wirklichkeit vorbei, kritisierte der Städteverband. Wirtschaft, Gewerbe und Liberale bemängelten, dass die Fiskalstruktur des Bundes unangetastet bleibt und nicht ein Verzicht der direkten Bundessteuer zugunsten der Kantone ins Auge gefasst wird.
Im November beauftragte der Bundesrat eine von Bund und Kantonen paritätisch besetzte Projektorganisation mit der nächsten Etappe, der Vertiefung der Vorschläge für die einzelnen Aufgabenbereiche. Neu wurden auch Delegierte der Städte und Gemeinden miteinbezogen. Aufgabe der Arbeitsgruppe ist es, innert Jahresfrist die grossen Linien der Verfassungs- und Gesetzesänderungen für die neue Aufgabenteilung und die Neuordnung der Geldflüsse auszuarbeiten [45].
Zwei Motionen Marty (fdp, TI) und Lachat (cvp, JU) forderten eine Stärkung finanzschwacher Kantone und schlugen vor, dass ein höherer Anteil der direkten Bundessteuern für den Finanzausgleich zu verwenden sei. Gleichzeitig sollten weniger Gelder nach dem Steueraufkommen der Kantone verteilt werden. Beide Räte folgten aber dem Bundesrat, der befürchtete, mit einer vorgreifenden Einzelmassnahme Widerstände gegen das laufende Reformprojekt zum Finanzausgleich zu wecken, und überwiesen die Vorstösse nur als Postulat [46].
 
[40] Kompetenz des Bundes: Individuelle Versicherungsleistungen der AHV bzw. der IV, Familienzulagen, Leistungen der Krankenversicherung, Forschung und Technologietransfer, Landesverteidigung, Marktmassnahmen und Direktzahlungen in der Landwirtschaft, Nationalstrassen.40
[41] Kompetenz der Kantone: Beiträge an Invalidenheime und Sonderschulen (IV), Altershilfe und Spitex (AHV), Ergänzungsleistungen zur AHV und IV, Denkmalpflege und Heimatschutz, Ortsbildschutz, Fuss- und Wanderwege, Raumplanung, Fischerei und Jagd, Jugend und Sport, Berufsbildung, Stipendien bis Sekundarstufe II, Wohnbau- und Eigentumsförderung, Flugplätze.41
[42] Interkantonale Zusammenarbeit: Kantonale Universitäten, Fachhochschulen, Spezialkliniken und Spitzenmedizin, Kultureinrichtungen von überkantonaler Bedeutung, Öffentlicher Agglomerationsverkehr, Anstalten für den Straf- und Massnahmenvollzug, Abfallanlagen, Abwasseranlagen.42
[43] Verbundaufgaben: Zivilschutz, Amtliche Vermessung, Waldbewirtschaftung und -pflege, Natur- und Landschaftsschutz, Hochwasserschutz, Öffentlicher Regionalverkehr, Hoch- und Fachhochschulen, Energienutzung, Alpen- und Hauptstrassen, Luftreinhaltung und Lärmschutz, Bodenverbesserung und Hochbau in der Landwirtschaft. In den drei Verbundbereichen Asyl- und Flüchtlingswesen, Regionale Entwicklung und Arbeitslosenversicherung sind keine Reformen geplant.43
[44] Presse vom 16.2. und 16.3.96. NZZ-Serie zum Finanzausgleich, 20.3., 24.5., 13.6. und 8.7.96. Lit. Gygi. Vgl. SPJ 1994, S. 134.44
[45] Presse vom 6.7. und 12.7.96; NZZ, 14.9. (Städteverband) und 20.11.96.45
[46] Amtl. Bull. StR, 1996, S. 324 ff.; Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2400 f.; SGT, 5.6.96.46