Année politique Suisse 1996 : Infrastructure, aménagement, environnement / Sol et logement / Raumplanung
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Landwirtschaftszonen
Ende Mai stellte der Bundesrat die Elemente der künftigen Raumordnungspolitik der Schweiz vor. Er leitete dem Parlament eine Teilrevision des RPG zu, die auf eine "kontrollierte" Lockerung der Bau- und Nutzungsvorschriften in den Landwirtschaftszonen abzielt und dafür sorgen soll, dass die Landwirtschaft künftig besser auf die neuen Herausforderungen reagieren kann. Die Revisionsarbeiten gehen auf eine Motion des Berner SVP-Ständerates Ulrich Zimmerli zurück. Die Teilrevision schlägt Änderungen auf zwei Ebenen vor: Zum einen soll die Zonenkonformität für Bauten und Anlagen in der multifunktionellen Landwirtschaftzone neu umschrieben werden, zum anderen sollen Bauten, die infolge des Strukturwandels für den bisherigen Zweck nicht mehr benötigt werden, unter strengen Voraussetzungen auch zu landwirtschaftsfremden Zwecken umgenutzt werden dürfen. Kernstück der Neuumschreibung der Zonenkonformität bildet der künftige Verzicht auf die Unterscheidung zwischen bodenabhängiger und bodenunabhängiger Bewirtschaftung. Als zonenkonform sollen künftig all jene neuen Bauten und Anlagen gelten, die unabhängig von der Produktionsweise für Landwirtschaft oder Gartenbau unerlässlich sind und im Interesse einer längerfristigen Betriebsführung erstellt werden. Damit werden Hors-sol-Gewächshäuser und Mastbetriebe künftig gleich behandelt wie bodenabhängige Landwirtschaft. Der Bundesrat unterstrich jedoch, dass ihr Entwicklungspotential beschränkt bleiben solle und hielt die Kantone dazu an, Landwirtschaftszonen weiterhin zu unterscheiden.
Als weiterer wichtiger Revisionspunkt wird die Möglichkeit eröffnet, funktionslos gewordene Bauten zu landwirtschaftsfremden Zwecken umzunutzen. So sollen Landwirte nicht mehr benötigte Bauernhäuser als Wohn- und Ferienhäuser nutzen können. Möglich sind bauliche Veränderungen, um etwa Ferien auf dem Bauernhof anbieten zu können, Kantone dürfen künftig aber auch rechtskonform zulassen, dass leerstehende Bauernhäuser von Personen bewohnt werden, die nicht oder nicht mehr in der Landwirtschaft tätig sind. Die Umnutzung bleibt aber auf das zum Zeitpunkt der Bewilligungserteilung vorhandene Bauvolumen beschränkt. Mit dieser Regelung würden auch zahlreiche ohne Bewilligung in Ferienhäuser umgebaute Rustici und Maiensässen legalisiert. Schliesslich soll die Landwirtschaftszone für gewerbliche Nutzungen zugänglich gemacht werden. Dabei beharrte der Bundesrat aber darauf, dass eine gewerbliche Nutzung eng an die Landwirtschaft angelehnt sein und die gewerbliche Tätigkeit - gemessen am Haupterwerb - von untergeordneter Bedeutung bleiben muss. Von der Kompetenz vollständiger Zweckänderungen bestehender Gebäude für beliebige gewerbliche Tätigkeiten in der Landwirtschaftszone, wie sie die von Adalbert Durrer (cvp, OW) präsidierte Expertenkommission vorgeschlagen hatte, und die von Gewerbekreisen im letztjährigen Vernehmlassungsverfahren stark kritisiert worden war, sah er ab.
Die Natur- und Umweltschutzverbände sowie einzelne Kantone hatten in ihren Vernehmlassungen insbesondere die Zulassung bodenunabhängiger Landwirtschaftsbetriebe kritisiert. Dass der Bundesrat daran festhielt, stiess auf erneute massive Kritik der Naturschützer; sie drohten mit dem Referendum. Der Schweizerische Bund für Naturschutz (SBN) bezeichnete die Revision als unnötig, nicht praktikabel und nicht verfassungskonform. Die kontrollierte Öffnung der Landwirtschaftszone für zusätzliche Bauten verletze den Verfassungsgrundsatz der Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet. In der Landwirtschaft finde mit der Revision ein Wechsel von der Flächenbewirtschaftung zur Gebäudenutzung als Produktionsbasis statt. Ferner entspreche der Vorschlag nicht der am 9. Juni von Volk und Ständen getroffenen Weichenstellung, mit der man sich für eine ökologie- und marktorientierte Landwirtschaft entschied. Die Intensivierung der Produktion konkurrenziere die naturnah produzierenden Bauern. Die Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege (SL) warnte vor einem "Zersiedlungs-Boom" und einer markanten Zunahme der Bautätigkeit im Nichtbaugebiet. Es drohten hangarähnliche, charakterlose Bauten als Masthallen oder Gewächshäuser auf der grünen Wiese. Weiter warnte der SL vor zusätzlichen Infrastrukturkosten durch eine weitere Dezentralisierung des Wohnens. Der Schweizer Heimatschutz schliesslich sah mit der Revision die Bemühungen des Heimatschutzes im ländlichen Raum in Frage gestellt [3].
Das Bundesgericht verdeutlichte in einem Grundsatzurteil die massgebenden Gesichtspunkte für das Bewilligen von bäuerlichen Wohngebäuden ausserhalb der Bauzone gemäss dem RPG von 1980. Die bisherige bundesgerichtliche Praxis anerkannte zusätzlichen Wohnraum für landwirtschaftliche Betriebe nur dann als zonenkonform, wenn es sich um einen Betrieb mit existenzsichernder Bewirtschaftung handelt. Das bernische Verwaltungsgericht berief sich bei einem Entscheid über die Erhaltenswürdigkeit eines Bauernbetriebs jedoch allein auf das 1994 in Kraft getretene Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht, welches dem erzielten Ertrag keine Bedeutung zumisst und dann von einem landwirtschaftlichen Gewerbe spricht, wenn für die Bewirtschaftung jährlich mindestens die halbe Arbeitskraft einer Familie (2100 Arbeitsstunden) geleistet wird. Gegen diesen Entscheid rief das Bundesamt für Raumplanung das Bundesgericht an. Dieses lehnte eine schematische Anwendung des Kriteriums Arbeitsaufwand ab und führte an, dass wichtige Anliegen der Raumplanung - insbesondere die Verhinderung der Zersiedelung - ebenfalls zu respektieren seien. Ein Kriterium für die Zonenkonformität sei etwa, ob die Bauernfamilie ständig auf dem Hof präsent sein müsse, oder ob sie den Betrieb von einer nahen Bauzone aus bewirtschaften könne. Zu beachten seien der Typ, die Grösse und die Lage eines Betriebs [4].
Eine parlamentarische Initiative Bignasca (lega, TI) mit dem Titel Retten der "Rustici" forderte, dass typische ländliche Bauten in kulturgeschichtlich wertvollen Landschaften der Kantone renoviert, umgebaut oder wiederaufgebaut sowie als Zweitwohnungen verwendet werden können, ohne dass dafür die entsprechende Infrastruktur - namentlich ein Anschluss an eine Kläranlage - geschaffen werden muss. Der Nationalrat gab der Initiative, u.a. weil sie gegen die Raumplanungs- und Gewässerschutzartikel der Bundesverfassung verstosse, mit 86 zu 1 Stimme keine Folge und verwies auf die eigenen Möglichkeiten des konkret betroffenen Kantons Tessin. Dieser präsentierte denn auch einen Vorschlag, wie die geschätzten 400 in Wochenendhäuser umgebauten Rustici mit den gesetzlichen Bestimmungen in Einklang gebracht werden können. Durch eine Erweiterung der Gesetzesgrundlagen im Tessiner Richtplan soll die Zweckbestimmung von Rustici geändert werden können, wenn dadurch der Erhalt von schützenswerter Bausubstanz gewährleistet wird. Unter dieser Voraussetzung sollen auch ehemalige landwirtschaftliche Nutzgebäude bewohnt werden können, die ausserhalb der Bauzone stehen. Die baulichen Eingriffe müssten jedoch grundsätzlich dem geltenden Bundesrecht entsprechen [5].
 
[3] NZZ, 24.8.96. Vgl. SPJ 1995, S. 193. Zum im Juni zur Abstimmung gekommenen Landwirtschaftsartikel siehe oben, Teil I, 4c (Politique agricole).3
[4] Presse vom 5.1.96.4
[5] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 381 f.; NZZ, 28.3.96.5