Année politique Suisse 1996 : Politique sociale / Population et travail
 
Schutz der Arbeitnehmer
Wegen mehr oder weniger gewichtigen Differenzen zur nationalen Gesetzgebung verzichtete der Bundesrat darauf, dem Parlament die beiden ILO- Übereinkommen Nr. 174 zur Verhütung von industriellen Störfällen und Nr. 175 über die Gleichbehandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten zur Ratifikation vorzulegen. Das Parlament nahm lediglich den entsprechenden Bericht des Bundesrates zur Kenntnis. Die Zurückhaltung des Bundesrates beruhte in erster Linie auf dem Umstand, dass die schweizerische Gesetzgebung zwischen dem Schutz der Bevölkerung und jenem der Arbeitnehmenden vor Störfällen unterscheidet. Die Regelungen, welche die Schweiz in diesem Bereich getroffen hat, entsprechen im ersten Fall dem Übereinkommen (Störfallverordnung), nicht aber bezüglich des Schutzes der Arbeitnehmenden (Verordnung über die Unfallverhütung). Beim Übereinkommen Nr. 175 ist es vor allem der Koordinationsabzug bei der zweiten Säule, welcher dazu führt, dass Voll- und Teilzeitarbeitnehmende nicht vollumfänglich gleich behandelt werden können. Gemäss konstanter Praxis ratifiziert die Schweiz internationale Abkommen erst dann, wenn die Bestimmungen intern erfüllt sind. Ein Postulat der Kommission des Nationalrates mit der Bitte, die Verordnungen im Störfallbereich dahingehend zu ändern, dass die Konvention Nr. 174 ratifiziert werden kann, wurde - gegen den Antrag einer Kommissionsminderheit - vom Plenum knapp gutgeheissen [44].
Mit einer Motion wollte von Felten (sp, BS) den Bundesrat beauftragen, Arbeitsschutzbestimmungen für die Handhabung (Bearbeitung und Entsorgung) von gentechnisch veränderten Organismen zu erlassen, welche zumindest das Sicherheitsniveau der entsprechenden EU-Richtlinie aufweisen sollten. Der Vorstoss wurde von Randegger, CIBA-Werkleiter und Basler FDP-Nationalrat bekämpft und die Diskussion deshalb verschoben [45].
Eine Motion Thanei (sp, ZH), welche für gerichtliche Verfahren bei missbräuchlich erfolgter Kündigung die Einführung der Beweislastumkehr verlangte, wonach inskünftig der Kündigende und nicht mehr der Gekündigte die volle Beweislast für den geltendgemachten Kündigungsgrund zu tragen hätte, wurde auf Antrag des Bundesrates abgelehnt. Die Landesregierung verwies darauf, dass die entsprechenden OR-Bestimmungen erst seit sieben Jahren in Kraft seien. Seiner Auffassung nach soll der Gesetzgeber, vor allem bei neueren Gesetzen, nur zur Lösung gewichtiger Probleme, die von der Rechtssprechung nicht gelöst werden können, erneut eingreifen. Die von der Motion verlangten Änderungen der Bestimmungen des OR würden diesem Grundsatz und dem damit verbundenen Vertrauen in die Gerichte jedoch widersprechen [46].
 
[44] BBl, 1996, III, S. 1178 ff.; Amtl. Bull. StR, 1996, S. 721 f.; Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2245 ff. Zum generellen Verhalten der Schweiz gegenüber den Arbeiten der ILO siehe eine Interpellation der SP-Fraktion in Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1189 ff.44
[45] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1851 f.45
[46] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1341 ff.; TA, 6.3.96.46