Année politique Suisse 1996 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
Das Bundesamt für Gesundheitswesen wurde neu organisiert und in
Bundesamt für Gesundheit (BAG) umbenannt. Dem BAG sind in den letzten Jahren zahlreiche neue Aufgaben übertragen worden. Dementsprechend mussten Organisation und Führung angepasst werden. Insbesondere wurden die Aufgaben neu gebündelt, die Amtsleitung erweitert, die einzelnen Fachgebiete verselbständigt und teilweise umbenannt sowie die Abläufe vereinfacht
[1].
Die "Schweizerische Gesundheitsbefragung" des Bundesamtes für Statistik erlaubte erstmals, repräsentative Angaben zu
Ernährungsgewohnheiten und -bewusstsein der gesamten in der Schweiz wohnhaften Bevölkerung zu machen. Dabei zeigte sich, dass 25% der rund 15 300 befragten Personen übergewichtig sind und 5% gar als fettsüchtig bezeichnet werden müssen. Mit zunehmendem Alter nimmt der Anteil der Personen, die überdurchschnittlich viele Kilos auf die Waage bringen, zu: Bei den Männern im Alter von 50 bis 64 Jahren ist fast jeder zehnte fettsüchtig, bei den Frauen ab 65 Jahren 8%. Nach wie vor wird zuviel (vor allem rotes) Fleisch und zu wenig Gemüse und Früchte gegessen. Zu besonderer Sorge gibt der Alkoholkonsum der Bevölkerung Anlass: 20% der Bevölkerung greifen mindestens einmal pro Tag zur Bier-, Wein- und/oder Schnapsflasche; 20% der Männer und 7% der Frauen gaben an, ein Alkoholproblem zu haben. Regionale Unterschiede im Ernährungsverhalten sind kaum auzumachen, doch essen die Schweizer und Schweizerinnen im Durchschnitt etwas gesünder als die ausländische Wohnbevölkerung
[2].
Ein am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel entstandener Bericht analysierte den
Gesundheitszustand der weiblichen Bevölkerung in der Schweiz. Die Studie führte die bereits bekannte Tatsache, dass Frauen durchschnittlich sieben Jahre länger leben als Männer, darauf zurück, dass Frauen umsichtiger mit ihrer Gesundheit umgehen als Männer: Todesfälle durch Verkehrsunfälle, Selbsttötung, Herz- und Kreislaufkrankheiten, Lungenkrebs sowie durch übermässigen Alkoholkonsum bedingte Krankheiten treten bei Frauen weniger auf. Trotz dieser statistischen Aussagen fühlen sich Frauen offenbar kränker als Männer: Mehr Frauen als Männer schätzten ihren Gesundheitszustand als eher schlecht ein, wobei sich Frauen aus tieferen sozialen Schichten gesundheitlich als besonders belastet betrachten. Aus dieser subjektiven Einschätzung heraus konsumieren sie mehr Schlaftabletten, Beruhigungs- und Schmerzmittel als Männer. 15,3% der Frauen, aber nur 9,5% der Männer gaben an, eine derartige Substanz mindestens einmal täglich einzunehmen. Frauen konsultieren auch die Gesundheitsdienste öfter
[3].
Aufgrund einer Motion Ruffy kam Bewegung in die Diskussionen um die
aktive Sterbehilfe. Der Waadtländer SP-Nationalrat argumentierte, trotz aller medizinischer Fortschritte gebe es weiterhin unheilbare Krankheiten, welche die Würde des Menschen in schwerer Weise beeinträchtigten. Immer mehr Menschen hätten den Wunsch, selber über ihr Ende mitbestimmen zu können. Bundesrat Koller anerkannte, dass das Problem der aktiven Sterbehilfe tatsächlich weiteste Kreise beschäftige. Es sei ein heikles Problem, das letzte ethische Entscheidungen abverlange. Dem Bundesrat scheine aber beim jetzigen Stand der Diskussionen die aktive Sterbehilfe nicht vereinbar mit der Schutzpflicht des Staates, weshalb er dem Wunsch des Motionärs nach einer Aufhebung des Verbots der aktiven Sterbehilfe im Strafgesetzbuch nicht zustimmen könnte. Sollte der Rat das Begehren jedoch in der Form des Postulates verabschieden, so werde der Bundesrat eine Fachkommission einsetzen, um verlässliche Grundlagen für eine Entscheidfindung in diesem Bereich zu haben. Der Rat folgte dem Bundesrat und überwies das Postulat mit 89 zu 30 Stimmen
[4].
110 Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren nehmen sich in der Schweiz im Durchschnitt pro Jahr das Leben. Die Schweiz liegt damit in der europäischen Rangliste der
Jugendsuizidrate hinter Finnland auf Rang zwei. Die Zahl der Selbsttötungen von Jugendlichen entspricht in etwa derjenigen der Todesopfer im Strassenverkehr in dieser Altersstufe. Als erster Kanton eröffnete Genf ein Zentrum für selbstmordgefährdete Jugendliche. Hier soll jungen Menschen nach einem Selbsttötungsversuch Hilfe angeboten werden. Damit hoffen die Fachleute zu verhindern, dass die Betroffenen rückfällig werden. Nach Bordeaux in Frankreich ist dies das zweite Zentrum dieser Art in Europa
[5].
Eine Interessengemeinschaft
"für freie Arzt- und Spitalwahl" lancierte Ende Jahr eine entsprechende Volksinitiative, welche die Chancengleichheit von öffentlichen, subventionierten und privaten Spitälern fordert. Im Vorstand sitzen unter anderem der Direktor des privat geführten Paraplegikerzentrums Nottwil (LU) sowie Nationalrat Suter (fdp, BE). Die Initiative wird unterstützt von der Schweizerischen Vereinigung der Privatkliniken, der Schweizerischen Vereinigung der Belegärzte und der Stiftung Patientenorganisation
[6].
[2]
Lit. BAG. Eine Motion Vollmer (sp, BE), die einen stärkeren Einbezug der Ernährungsinformation in die allgemeine Prävention verlangte, wurde auf Antrag des BR in ein Postulat umgewandelt (
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1184 f.). Für eine Untersuchung des Gesundheitszustandes der Waadtländer Bevölkerung siehe
JdG, 5.11.96.2
[3] Kurzbericht
Daten für Taten, Bern (Nationalfonds) 1996. Für den ausführlichen Bericht siehe
Lit. Women's. Vgl. auch C. Meier, "Annäherungen an die Definition eines frauengerechten Gesundheitsbegriffs" und E. Zemp Stutz, "Eine Frauengesundheitspolitik für die Schweiz", in
F-Frauenfragen, 1996, Nr. 3, S. 3 ff. und 13 ff.3
[4]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 362 ff. Die Umwandlung in ein Postulat erfolgte mit Zustimmung Ruffys.
TA, 22.4. und 11.11.96;
AT, 26.4.96.4
[6]
BBl, 1996, V, S. 132 ff.;
WoZ, 29.11.96.6
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