Année politique Suisse 1996 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
Ausgehend von der revidierten Verordnung über die Arzneimittelpreiskontrolle, welche auf den 1. Januar 1996 in Kraft trat, nahm das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) die Preise von rund 280 Präparaten unter die Lupe. Kernpunkt des neuen Vorgehens ist ein
Preisvergleich mit Deutschland, Dänemark und den Niederlanden. In einer ersten Überprfüfung wurden für 70 ältere, patentabgelaufene Medikamente die Preise gesenkt, gleichzeitig aber für 90 neuere Arzneimittel Preiserhöhungen vorgenommen, da diese Produkte im internationalen Vergleich zu billig abgegeben würden. Nach dem gleichen Vorgehen werden bis zum Jahr 2000 alle Medikamente verbilligt, die vor 1985 auf den Markt gekommen sind. Das soll zu Einsparungen von gut 500 Mio Fr. führen; der verbesserte Patentschutz auf den neueren Medikamenten wird demgegenüber mit rund 70 Mio Fr. zu Buche schlagen
[15].
Preisüberwacher Marti nahm mit Genugtuung von den Preissenkungen Kenntnis, kündigte aber an, dass er die Preiserhöhungen noch einmal auf ihre Verordnungskonformität anschauen werde. Bundesrätin Dreifuss schloss sich dem an und wies das BSV an, die Preiserhöhungen noch einmal zu überprüfen und dabei auch die übrigen Kriterien der Verordnung (medizinisches Bedürfnis, Zweckmässigkeit, Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit) anzuwenden. Inskünftig soll es dem BSV untersagt sein, automatische Preiserhöhungen von Amtes wegen vorzunehmen; zudem muss es
Preiserhöhungen der Preisüberwachung unterbreiten, damit diese ihr Empfehlungsrecht wahrnehmen kann. Ein überwiesenes Postulat Hochreutener (cvp, BE) bemängelte überdies die Preisverzerrungen, die wegen der gewählten Methode (Vergleich des Publikumspreises) enstanden seien und regte an, inskünftig auf einen Vergleich der Herstellerpreise abzustellen
[16].
Die Absicht der Krankenkassen Helvetia und Visana, zur Senkung der allgemeinen Gesundheitskosten inskünftig einen Teil der
Medikamente per Post und unter Ausschluss der Apotheken zu vertreiben, stiess beim Schweizerischen Apothekerverein (SAV) auf harsche Kritik. Der SAV verlangte ein gesamtschweizerisches Verbot derartiger Praktiken, da ein Medikamentenversandhandel fachlich unvertretbar, patientenfeindlich, gesetzeswidrig und unwirtschaftlich sei. Der SAV schlug stattdessen ein neues Abgeltungssystem vor, bei dem die Apotheker wirtschaftliche Anreize erhalten sollen, um Medikamentenkosten einzusparen
[17].
Der Nationalrat nahm in seiner Herbstsession mit Zustimmung des Bundesrates eine Motion Heberlein (fdp, ZH) an, wonach das Verbot der
Medikamentenwerbung an Radio und Fernsehen weiter gelockert werden soll. Die Liberalisierung war aus Kreisen der Ärzteschaft, der Apotheker und der Konsumenten kritisiert worden, da sie einen Anstieg des Medikamentenkonsums befürchteten. Auch die beiden betroffenen Bundesämter BAG und Bakom hatten sich gegen eine Lockerung ausgesprochen
[18].
Mit Besorgnis wurde registriert, dass sich über
Internet problemlos - und oftmals zu deutlich tieferen Preisen - Arzneimittel bestellen lassen, die im eigenen Land nicht zugelassen sind oder für die ein entsprechendes Rezept eines Arztes fehlt. Nationale Kontrollstellen und Vorschriften werden so obsolet, da sie ohne weiteres umgangen werden können. Die juristische Lücke soll demnächst geschlossen werden. Europaweit laufen Anstrengungen für ein generelles Teleshopping-Verbot für Medikamente
[19].
Seit dem 1. Januar des Berichtsjahres gelten für medizinische
Versuche in der ganzen Schweiz strengere Normen, welche die Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) gemäss internationalen Richtlinien festgesetzt hat. Danach müssen alle Versuche, bei denen Medikamente eingesetzt werden, genau dokumentiert sein. Im Gesuch muss unter anderem beschrieben werden, welche Risiken die verwendeten Substanzen mit sich bringen, wie die Patienten informiert wurden und welcher Versicherungsschutz für die Probanden besteht
[20].
Die IKS wird auf Anfang 1997 das sogenannte Fast-Track-Verfahren einführen für die
beschleunigte Registrierung von Arzneimitteln, die bei einer schweren Krankheit (Aids, Krebs, Alzheimer und Multiple Sklerose), für die es bisher keine befriedigende Behandlung gibt, eine erfolgreiche Heilung oder zumindest eine markante Verbesserung des Gesundheitszustandes versprechen. Mit dem Schnellverfahren folgt die IKS entsprechenden Bestrebungen in der EU und in den USA
[21].
[15]
Lit.
Pharmamarkt;
CHSS, 1996, Nr. 5, S. 227; Presse vom 10.4. und 19.-21.9.96. Vgl.
SPJ 1995, S. 228. Die Hersteller oder Pharmaimporteure legten gegen die Senkung von 37 Medikamentenpreisen Rekurs beim EDI ein (Presse vom 27.8.96). Erstmals verweigerte das BSV die Sanktionierung eines vom Verband für geordnete und sichere Versorgung mit Arzneimitteln ("Reglementation") vorgesehenen Medikamentenpreises (
SoZ, 9.6.96). 15
[16]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2408 (Postulat) und S. 2455 (Antwort auf eine Interpellation Simon, cvp, VD); Presse vom 3.10., 29.10. und 30.10.96. Die Schweizerische Patienten-Organisation und das Konsumentinnenforum verlangten ebenfalls mehr Transparenz bei den Medikamentenpreisen (
NZZ, 26.9.96). Vgl. dazu auch die Ausführungen des BR in
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1903 f.16
[17] Presse vom 23.5., 28.10. und 1.11.96;
BZ, 25.9. und 29.10.96;
SHZ, 7.11.96. In Beantwortung einer Interpellation Simmen (cvp, SO) wies der BR auf die geringen Kompetenzen des Bundes in diesem Bereich hin (
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 728 ff.).17
[18]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1491 ff.;
NZZ, 20.8.96; Presse vom 24.9.96. Siehe
SPJ 1995, S. 228.18
[21]
NZZ, 26.11.96. Ein beschleunigtes Verfahren ist bereits im Berichtsjahr auf Druck einzelner Kantonsregierungen bei zwei vielversprechenden Aidsmedikamenten zum Zug gekommen. Mehrere Kantone gaben überdies weitere Aidsmedikamente, die zwar zugelassen, aber noch nicht in die Spezialitätenliste aufgenommen waren, den Patienten in ihrem Kanton gratis ab, worauf ein Sonderausschuss der Eidg. Arzneimittelkommission auch diese in einem Schnellverfahren in die Liste der kassenpflichtigen Medikamente integrierte (
SoZ, 17.3.96;
NQ, 20.5.96;
NZZ, 28.5.96;
CHSS, 1996, Nr. 4, S. 162). Vgl. dazu auch ein überwiesenes Postulat Suter (fdp, BE), welches kostspielige und langwierige Doppelspurigkeiten bei der Zulassung eines neuen Medikaments beheben möchte (
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2406).21
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