Année politique Suisse 1996 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport
 
Suchtmittel
Der Nationalrat nahm gegen den Willen des Bundesrates eine Motion Bortoluzzi (svp, ZH) an, die verlangt, dass bei der Erteilung eines Lernfahrausweises die Bewerber auf eine allfällige Suchtmittelabhängigkeit untersucht werden. Bundesrat Koller hätte die Diskussion lieber im Rahmen der anstehenden Revision des Strassenverkehrsgesetzes geführt, weshalb er eine Umwandlung in ein Postulat beantragt hatte [32].
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Tabak
Aufgrund der neuen, eurokompatibel ausgestalteten Tabakverordnung müssen bis Mitte 1997 alle Zigarettenpackungen auf Vorder- und Rückseite in allen drei Landessprachen darauf hinweisen, dass Rauchen die Gesundheit gefährdet. Die bisher auf der Schmalseite angebrachte Warnung, dass Nikotingenuss die Gesundheit gefährden könne, wird durch eine Präzisierung ersetzt, wozu Rauchen alles führen kann (Krebs, Gefässkrankheiten etc.) [33].
Ein Postulat Zwygart (evp, BE), welches anregt, die Tabakverordnung durch einen Artikel zu ergänzen, welcher den Verkauf von Tabakerzeugnissen an Jugendliche unter 16 Jahren untersagt, wurde vom Nationalrat angenommen [34].
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Alkohol
In der Frühjahrssession nahm der Nationalrat gegen den Willen des Bundesrates eine Motion Gonseth (gp, BL) an, welche eine verstärkte Alkoholprävention bei Jugendlichen verlangte. Im Ständerat verfing hingegen die Aussage der Landesregierung, momentan kein Geld für ein konsistentes Massnahmenpaket zu haben, weshalb dort der Vorstoss in ein Postulat umgewandelt wurde [35].
Bei der Teilrevision des Alkoholgesetzes erinnerte Ständerätin Beerli (fdp, BE) als Präsidentin der Eidg. Alkoholkommission an Art. 32bis Abs. 2 der Bundesverfassung, welcher vorschreibt, dass die Gesetzgebung so zu gestalten sei, dass sie den Verbrauch von Trinkbranntwein und dementsprechend dessen Einfuhr und Herstellung vermindert. Aus Gründen der WTO-Kompatibilität wandte sie sich nicht gegen die Einführung des Einheitssatzes zur Besteuerung in- und ausländischer Spirituosen, bat aber den Bundesrat, diesen Einheitssatz aus gesundheitspolitischen Gründen nicht zu tief anzusetzen. In der grossen Kammer stellte Zwygart (evp, BE) den Antrag, im Interesse der Suchtprävention sei der Einheitssatz in Absprache mit wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Kreisen festzusetzen; der Antrag wurde mit 72 zu 42 Stimmen abgelehnt [36]. Zur Teilrevision des Alkoholgesetzes siehe auch oben, Teil I, 4c (Production végétale).
Mit 69 zu 38 Stimmen lehnte der Nationalrat ein Postulat Leuba (lp, VD) ab, welches den Bundesrat ersuchte, den in der Verkehrsregelnverordnung festgesetzten Grenzwert der Blutalkoholkonzentration von heute 0,8 Promille nicht zu senken. Der Bundesrat verwies darauf, dass diese Frage europaweit zur Diskussion stehe, weshalb er sich im jetzigen Zeitpunkt nicht binden möchte [37].
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Drogenpolitik
Eine Studie widerlegte die weitverbreitete Meinung, dass der Konsum harter Drogen zwangsläufig zur sozialen Verelendung und zur Kriminalität führt. Den Ausschlag für den Verlauf einer Drogenkarriere und den Umgang mit illegalen Drogen geben vor allem Alter, Geschlecht, Eigenständigkeit, Gesundheitsbewusstsein, die Orientierung an der Arbeit und die soziale Vernetzung der Konsumenten. Etwa die Hälfte der schätzungsweise 30 000 Konsumenten von illegalen Drogen leben sozial integriert und geraten nie mit der Polizei in Konflikt. Rund 80% der Drogenkonsumenten steigen zudem gemäss der Studie früher oder später aus ihrer Sucht aus. Da Drogenkonsum viel mit persönlicher Autonomie zu tun hat, warnte die Studie vor einem Zwangsentzug, weil ein erfolgreicher Entzug nur ein freiwilliger sein könne. Zudem gehe ein Grossteil der Todesfälle durch eine Überdosis auf das Konto dieser Zwangspausen, da nach Wochen der Abstinenz der Körper die üblichen hohen Dosen nicht mehr verkrafte [38].
Bund, Kantone und Städte bildeten einen nationalen Drogenausschuss, um ihre Anstrengungen zur Verminderung der Drogenprobleme besser zu koordinieren. Das neue Gremium hat die Aufgabe, drogenpolitische Strategien zu entwickeln und aufeinander abzustimmen, Massnahmen in den verschiedenen Bereichen und Regionen zu koordinieren und die Federführung bei gemeinsamen Aktionen in besonderen Lagen zu übernehmen. Der Bundesrat delegierte sechs Vertreter, Kantone und Städte je sechs Exekutivmitglieder in diesen Ausschuss, zu dessen Unterstützung ein Fachsekretariat mit einem Jahresbudget von 150 000 Fr. eingesetzt wurde. Erste Präsidentin wurde Verena Diener, grüne Nationalrätin und Gesundheitsdirektorin des Kantons Zürich [39].
Im Bestreben, in der Drogenpolitik einen möglichst breiten Handlungsspielraum zu bewahren, folgte der Nationalrat nach einer sechsstündigen Debatte mit 125 zu 41 resp. mit 120 zu 40 Stimmen deutlich der Empfehlung des Bundesrates und der Mehrheit seiner Kommission und empfahl sowohl das ganz auf Abstinenz und Repression ausgerichtete Volksbegehren "Jugend ohne Drogen" als auch die permissive Volksinitiative "für eine vernünftige Drogenpolitik (DroLeg)" Volk und Ständen zur Ablehnung. Wie nicht anders zu erwarten war, fand "Jugend ohne Drogen" vor allem Unterstützung im rechtsbürgerlichen Lager, "DroLeg" hingegen vornehmlich in rot-grünen Kreisen. Mit ihrer deutlichen Opposition gegen diese beiden extremen Volksbegehren zeigte die grosse Kammer ihre Bereitschaft, den vom Bundesrat eingeschlagenen Mittelweg zu unterstützen, der auf den vier Säulen Prävention, Überlebenshilfe, Therapie und Repression basiert. Vergeblich plädierten die CVP-Vertreter dafür, doch noch einen direkten Gegenvorschlag zu der zuerst zur Abstimmung gelangenden Initiative "Jugend ohne Drogen" auszuarbeiten, wie dies der Bundesrat ursprünglich beabsichtigt hatte. Sie machten geltend, die heutige Drogenpolitik verlange nach einer klaren Verankerung in der Verfassung; ohne deutliches Bekenntnis der Behörden zum Ziel einer drogenfreien Gesellschaft könnten die Vertreter von "Jugend ohne Drogen" zudem auch jene Kreise um sich scharen, welche zwar nicht einseitig auf Repression setzen wollten, die aber dennoch die Versuche des Bundes mit der kontrollierten Heroinabgabe missbilligten und befürchteten, daraus könne eine generelle Praxis der Legalisierung aller Drogen abgeleitet werden. Der Vorschlag unterlag mit 132 zu 35 Stimmen klar [40].
Diese Argumente stiessen hingegen im Ständerat auf offene Ohren: Er lehnte die Initiativen zwar gleichermassen ab, nahm aber mit 32:5 Stimmen einen von seiner Kommission ausgearbeiteten Gegenvorschlag zu "Jugend ohne Drogen" an. Demnach sollte in der Verfassung das Ziel der drogenfreien Gesellschaft explizit verankert werden. Der Ständerat übernahm dabei grosso modo den Vorschlag der CVP, der auch von der gesamten "Parlamentariergruppe Drogenpolitik" (siehe unten) unterstützt wurde. Die Verschreibung von Drogen sollte unter der Bedingung der medizinischen Anwendung weiter möglich sein. Für den Gegenvorschlag machten sich vor allem die CVP-Ständeräte Cottier (FR), Danioth (UR) und Frick (SZ) stark. Zusammen mit den SP-Abgeordneten Plattner (BS) und Gentil (JU) sowie Dick Marty (fdp, TI) bot Bundesrätin Dreifuss dem Gegenvorschlag vergebens die Stirn. Das Argument, dass juristisch keine Notwendigkeit für einen neuen Verfassungsartikel zur Drogenpolitik bestehe, wog im Rat weniger schwer als die mehrfach vorgebrachte Warnung davor, der Initiative "Jugend ohne Drogen" in der Abstimmung mit leeren Händen gegenüber zu treten [41].
Der Nationalrat hielt jedoch an seinem ersten Entscheid fest und erteilte dem Gegenvorschlag mit 136 zu 42 Stimmen erneut eine deutliche Absage. Ausser im rechtsbürgerlichen Lager fand der Gegenvorschlag nur in den Kreisen der CVP und unter den welschen Parlamentariern Zustimmung. Ihnen standen die SP und die Grünen gegenüber, die sich von Anfang an und stets klar gegen einen Gegenvorschlag ausgesprochen hatten. Entscheidend wurde somit die Haltung der FDP. Deren Vertreter im Ständerat hatten mehrheitlich für den Gegenvorschlag gestimmt. In der Zwischenzeit war die Fraktion aber zur Überzeugung gelangt, dass sich die bundesrätliche Vier-Säulen-Politik ohne Gegenvorschlag besser umsetzen lasse, da der Gegenvorschlag des Ständerates restriktiv, unklar und kontraproduktiv sei [42].
Aufgrund des klaren nationalrätlichen Abstimmungsergebnisses zeigte sich die Kommission des Ständerates bereit, auf den Gegenvorschlag zu verzichten. Im Plenum nahm der liberale Waadtländer Arzt Rochat das Vorhaben jedoch wieder auf und beantragte - unterstützt von seinen Kollegen Béguin (fdp, NE), Brändli (svp, GR) und Danioth (cvp, UR) - einen leicht modifizierten Gegenvorschlag. Danach sollten die Kantone nicht nur dem Missbrauch, sondern generell dem Konsum von Betäubungsmitteln vorbeugen. Danioth fügte noch hinzu, die medizinische Anwendung von Drogen sei auf das Unerlässliche zu beschränken. Gegen diese Verschärfung wehrten sich vor allem jene freisinnigen Abgeordneten, die im September der ausgewogeneren Variante noch zugestimmt hatten. Der Appell von Cottier (cvp, FR) und Schmid (cvp, AI), aus taktischen Gründen die Initiative nicht allein zur Abstimmung zu bringen, verfing zwar noch, doch bereits in wesentlich geringerem Umfang. 22 Abgeordnete stimmten für den Gegenvorschlag, 20 dagegen. Damit ging auf parlamentarischer Ebene das Jahr mit einer Pattsituation zu Ende [43].
Anlässlich seiner ersten grossen Drogendebatte in der Frühjahrssession behandelte der Nationalrat auch mehrere drogenpolitische Vorstösse aus den eigenen Reihen. Vordergründig aus formalen Gründen, vor allem aber weil sie durch eine Annahme von "Jugend ohne Drogen" in der Volksabstimmung ganz oder teilweise obsolet würden, wies der Rat drei parlamentarische Initiativen an die Kommission zurück. Diese Vorstösse verlangten, dass durch ein Umdenken in der Drogenpolitik der Schwarzhandel und die Drogenkriminalität eliminiert werde (Hubacher, sp, BS), dass bei Drogenkonsumenten vermehrt der fürsorgerische Freiheitsentzug eingesetzt werden solle (Heberlein, fdp, ZH) sowie dass der Drogenkonsum straffrei zu gestalten und die medizinisch indizierte Heroinabgabe definitiv in den Katalog der möglichen Therapieformen aufzunehmen sei (Tschäppät, sp, BE) [44]. Aus analogen Überlegungen - allerdings hier auf "DroLeg" gemünzt - schob der Rat auch die Ratifizierung der UNO-Konvention von 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen auf [45]. Eine Motion Maspoli (lega, TI) für eine stationäre Zwangsbehandlung von Drogenkranken wurde klar verworfen, eine Motion Comby (fdp, VS), welche die flächendeckende Einführung von Drogen-Ombudspersonen in den Schulen verlangte, hingegen als Postulat überwiesen [46].
Bei der Behandlung der Drogen-Initiativen diskutierte der Ständerat auch eine Standesinitiative des Kantons Solothurn aus dem Jahr 1992. Diese beantragte insbesondere die Entkriminalisierung des Drogenkonsums, ein Staatsmonopol für Anbau, Herstellung, Einfuhr, Handel und Vertrieb von illegalen Betäubungsmitteln sowie einen Ausbau von Prävention, Betreuung und Behandlung. In ihren Erwägungen stellte die vorberatende Kommission fest, dass seit 1992 ein grundsätzlicher Wandel in der schweizerischen Drogenpolitik stattgefunden habe (Ausbau der 4-Säulen-Strategie, medizinisch kontrollierte Abgabe usw.), der es ermögliche, einen für alle akzeptablen Mittelweg zu gehen. Aus diesem Grund wollte sie der Standesinitiative nicht direkt Folge geben. Sie hielt aber die Grundabsicht, Raum für neue Lösungsmöglichkeiten zu öffnen, für prüfenswert und formulierte deshalb ein Kommissionspostulat, das sich stark an den Solothurner Text anlehnt, dessen imperativen Charakter jedoch abschwächt. Das Postulat wurde mit 23 zu 13 Stimmen angenommen [47].
Da das Geschäftsverkehrsgesetz des Parlaments die Offenlegung der Mitgliederlisten von Bundeshaus-Lobbies verlangt, veröffentlichte das Generalsekretariat der Bundesversammlung die bisher geheimgehaltene Namensliste der 1992 von der damaligen Berner FDP-Nationalrätin Geneviève Aubry ins Leben gerufenen "Parlamentariergruppe Drogenfragen". Dieser Gruppe, die rund 70 Parlamentarier aus beiden Kammern umfasst, und die sich stark für eine repressive Drogenpolitik engagiert, gehören neben den Vertretern von FP und SD sowie weiten Teilen der SVP auch so wichtige Exponenten ansonsten in der Drogenfrage eher gemässigter Parteien wie CVP-Präsident Cottier (FR) und FDP-Fraktionschef Couchepin (VS) an. Mit dem Bekanntwerden dieser Liste geriet die 1994 verabschiedete gemeinsame Drogenplattform von FDP, SP und CVP erneut unter Druck [48].
Um einen abrupten Abbruch der therapeutischen Behandlungen zu vermeiden, und weil sich die an den Versuchen beteiligten Kantone und Gemeinden überwiegend für die Fortsetzung der medizinisch kontrollierten Betäubungsmittelabgabe aussprachen, beschloss der Bundesrat, jenen Personen, die Ende 1996 in ein Abgabeprojekt eingebunden sind, mindestens bis zum Vorliegen des Schlussberichts (voraussichtlich Sommer 1997), spätestens aber bis Ende 1998 die von ihnen benötigten Betäubungsmittel (Heroin, Morphin und intravenös zu verabreichendes Methadon) weiter abzugeben [49]. Da auch der zweite Zwischenbericht eine durchaus positive Bilanz der Versuche mit der Betäubungsmittelverschreibung ziehen konnte, ging Bundesrätin Dreifuss anlässlich der eidgenössischen Jugendsession noch weiter und kündigte an, dass sie dem Bundesrat bald eine Gesetzesrevision vorschlagen werde, um die Versuche mit der kontrollierten Drogenabgabe zu einem festen Instrument der Drogenpolitik zu machen. Dabei sei die Drogenabgabe aber nur für diejenigen Süchtigen gedacht, die auf keine andere Therapie mehr ansprechen würden [50].
In diesem Vorhaben erhielt die Landesregierung deutlichen Sukkurs von der 1994 eingesetzten, breit abgestützten Expertenkommission für eine Revision des Betäubungsmittelgesetzes, welche vom ehemaligen obersten Drogenfahnder des Bundes und heutigen Basler FDP-Polizeidirektor Jörg Schild geleitet wurde. Das Gremium sprach sich dafür aus, dass der Konsum, der Kauf und der Besitz von geringen Mengen illegaler Drogen zum Eigengebrauch nicht mehr strafbar sein soll. Die Experten empfahlen auch, die ärztliche Verschreibung von Betäubungsmitteln an schwer Süchtige bei positivem Ausgang der laufenden Versuche im Gesetz zu verankern. Ihrer Ansicht nach soll der Fürsorgerische Freiheitsentzug (FFE) zur Zwangsbehandlung von Süchtigen nicht ausgeweitet werden. Das Therapieangebot müsse aber vielfältiger ausgestaltet werden, wobei dem Bund eine wichtige Koordinationsaufgabe zukomme. Grundsätzlich hielt die Expertenkommission fest, dass das Ziel einer drogenfreien Gesellschaft wohl nie erreicht werden könne, schon gar nicht mit gesetzlichen Massnahmen. Das wichtigste sei, eine bessere Gesprächskultur zu finden, Populismus und Polemik seien in diesem Bereich fehl am Platz [51].
Auch die Subkommission Drogenfragen der Eidgenössischen Betäubungsmittelkommission unterstützte einstimmig das bundesrätliche Vier-Säulen-Modell. Empfohlen wurde eine Revision des Betäubungsmittelgesetzes im Sinn der "Kommission Schild" inklusive Straflosigkeit des Konsums. Über die längerfristig einzuschlagende Marschrichtung konnte sich das beratende Organ des Bundesrates allerdings nicht einigen. Eine knappe Mehrheit plädierte aber für das Szenario einer Legalisierung mit differenzierter und reglementierter Zugänglichkeit [52].
Der Bundesrat gab die Frage, ob der Drogenkonsum straffrei werden solle, in eine breite Vernehmlassung. Die FDP sprach sich grundsätzlich für eine Strafbefreiung des Konsums aus, wollte diesen aber auf den privaten Bereich beschränken. Die SP forderte eine möglichst rasche Entkriminalisierung nicht nur beim Konsum, sondern auch beim Erwerb und Besitz kleiner Drogenmengen für den Eigenverbrauch. Beide Parteien stimmten der Kommission Schild bezüglich der ärztlichen Verschreibung von Betäubungsmitteln zu. Ihr Nein zur Strafbefreiung bekräftigte die SVP. In der Frage der Drogenabgabe wollte sich die SVP nicht definitiv festlegen, sondern vorerst den Abschluss der Versuche abwarten. Die CVP, die 1994 noch zusammen mit FDP und SP das Programm "für eine kohärente Drogenpolitik" unterstützt hatte, welches die Entkriminalisierung des Konsums vorsah, sprach sich nun ebenfalls für den Beibehalt der Strafverfolgung aus, wobei ihrer Meinung nach die Richter aber vom Grundsatz der Opportunität sollen Gebrauch machen können. Der Weiterführung der Heroinabgabe stimmte sie zu. Die Kantone zeigten sich gespalten. Graubünden und Baselland befürworteten die Entkriminalisierung grundsätzlich, der Tessin zeigte sich nicht abgeneigt. Als falschen Weg stuften hingegen Thurgau, St. Gallen und Wallis die Strafbefreiung ein, wobei St. Gallen aber, wie Schaffhausen und Zürich eine Strafbefreiung für den Konsum von Cannabis unterstützte. Von den Organisationen verlangte der Verband Sucht- und Drogenfachleute (VSD) nicht nur eine Strafbefreiung für Konsum, sondern ein Staatsmonopol für die Abgabe verschiedener Suchtmittel. Für eine Strafbefreiung sprachen sich auch die Eidg. Kommission für Jugendfragen (EKJ), die Dachorganisation der Jugendverbände (SAJV), der Dachverband schweizerischer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) sowie die Stiftung Pro Juventute aus. Der Bundesrat fühlte sich durch die Ergebnisse der Vernehmlassung in seiner Vier-Säulen-Politik bestätigt, kündigte aber an, dass er mit weiteren Beschlüssen zuwarten wolle, bis das Ergebnis der Volksabstimmung über die verbotsorientierte Initiative "Jugend ohne Drogen" vorliegt [53].
Bereits vor der Vernehmlassung hatte sich die FMH, die Vereinigung der Schweizer Ärzte, für eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums, eine Verstärkung der Prävention und die Ausdehnung der Behandlung mit Ersatzdrogen ausgesprochen. Bei Schwerstsüchtigen müsse unter Umständen anfänglich die konsumierte Substanz wie etwa Heroin eingesetzt werden, allerdings im Rahmen eines klar definierten Therapieansatzes [54].
Die fünfte eidgenössische Jugendsession stand ganz im Zeichen der Drogenfrage. Die Jugendlichen berieten 21 Petitionen und Resolutionen zum Thema Drogen und allgemein zur Lebenssituation junger Menschen in der Schweiz. Mit 120 gegen 48 Stimmen sprachen sich die Jugendlichen gegen eine Petition aus, die eine vollständige Liberalisierung aller Drogen und einen staatlich kontrollierten Drogenmarkt forderte. Dagegen wurden die kontrollierte Drogenabgabe an Schwerstsüchtige und die Legalisierung des Konsums, des Anbaus und Besitzes der weichen Drogen wie Haschisch gutgeheissen. Die Jugendsession forderte aber auch einen verstärkten Kampf gegen die Dealer und die organisierte Kriminalität. Ein Petitionsentwurf, der explizit eine schärfere Bestrafung der Dealer und den Aufbau einer "schlagkräftigen Drogenfahndungsbehörde" verlangt hatte, wurde jedoch relativ deutlich abgelehnt [55].
In einer repräsentativen Studie untersuchte die Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA) die Verbreitung der Modedroge Ecstasy bei den Schweizer Jugendlichen und speziell bei den Ravern und Raverinnen in der Techno-Szene. Sie konnte dabei bisher weit verbreitete Vorurteile widerlegen. 80% der Techno-Party-Gänger konsumieren kein Ecstasy, obgleich die Droge fast ausschliesslich dort und zudem sehr billig angeboten wird. Von allen befragten 15- bis 34jährigen Schweizerinnen und Schweizern gaben nur drei Prozent an, sie würden Ecstasy konsumieren, wenn sie dazu die Gelegenheit hätten; 57% aller Befragter lehnten Drogen generell ab. Gemäss der SFA weist dieses Ergebnis auf eine hohe Resistenz Jugendlicher und junger Erwachsener gegenüber dieser Modedroge hin. Mit der Präventionskampagne "Ecstasy ist hirnrissig" will die SFA nun die Jugendlichen in dieser Haltung bestärken [56].
Zu einem von der Freiheitspartei verabschiedeten, extrem restriktiven Drogenkonzept siehe unten, Teil IIIa (FP).
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Drogenpolitik in den Kantonen und Gemeinden
Die SVP der Stadt Zürich brachte mit ihrem Argument, wonach die kontrollierte Drogenabgabe zu teuer sei und ein falsches Signal an die Jugendlichen darstelle, ein Referendum gegen die kontrollierte Drogenabgabe zustande. In Winterthur genügte gar die Referendumsdrohung, um das Stadtparlament dazu zu bewegen, die entsprechende Kreditvorlage freiwillig dem Volk zu unterbreiten. Mit dieser Haltung stellte sich die Zürcher SVP nicht nur gegen alle anderen Parteien im Kanton (mit Ausnahme von SD und FP), sondern sie grenzte sich auch deutlich gegenüber der Mutterpartei ab, welche in ihrer Vernehmlassungsantwort zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes festhielt, dass sie sich zwar auch für eine Beendigung der Heroinabgabeversuche einsetze, dass sie deren begrenzte Weiterführung bis 1998 aber aus humanitären Gründen befürworte. In der recht gehässig geführten Abstimmungskampagne engagierten sich auch die frühere Zürcher Sozialvorsteherin Emilie Lieberherr sowie die gesamte Spitze der Stadtpolizei Zürich für die Weiterführung der Heroinabgabe. Die breite Koalition der Befürworter schlug sich anfangs Dezember in den Resultaten der beiden Abstimmungen nieder: in Winterthur stimmten 59% der Stimmberechtigten, in Zürich gar 63% der Fortschreibung der Betäubungsmittelabgabe zu [57].
Der Regierungsrat des Kantons Zürich sprach sich dagegen aus, in Bern eine Standesinitiative einzureichen, welche eine Freigabe von Haschisch auf Verfassungsstufe verlangt. Der Kantonsrat hatte 1995 eine entsprechende Einzelinitiative vorläufig unterstützt. Die Regierung führte aus, wie beim Absinth-Paragraphen sei es fragwürdig, Bestimmungen zu einem einzigen Suchtmittel in die Verfassung aufzunehmen. Hingegen wurde mit Zustimmung der Regierung vom Kantonsrat eine FDP-Motion angenommen, welche die Legalisierung von Haschisch über eine Standesinitiative zur entsprechenden Änderung des Betäubungsmittelgesetzes erreichen will. Der Vorstoss wurde von FDP, SP, GP und LdU unterstützt, SVP, SD, FPS und EVP sprachen sich dagegen aus; die CVP war - gleich wie auf der nationalen Ebene - gespalten [58].
 
[32] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 755 f.32
[33] BZ, 19.10.96.33
[34] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2406 f.34
[35] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 177 ff.; Amtl. Bull. StR, 1996, S. 629 f. Zu den Lücken im Jugendschutz siehe SPJ 1995, S. 231 (FN 23).35
[36] Amtl. Bull. StR, 1996, S. 30 ff.; Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1147 ff.36
[37] Amtl. Bull. NR, S. 753. Das Postulat wurde vor allem von Vertretern der FP sowie der lateinischen Schweiz unterstützt.37
[38] Lit. Estermann; Presse vom 28.8.96.38
[39] Presse vom 25.4. und 4.12.96.39
[40] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 509 ff. und 535 ff.; Presse vom 22.3.96. Siehe SPJ 1995, S. 232.40
[41] Amtl, Bull, StR, 1996, S. 603 ff.; Presse vom 24.4., 14.8. und 18.9.96; NZZ, 1.7.96. Siehe dazu auch StR Cottier in NZZ, 7.11.96.41
[42] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2127 ff.; Presse vom 4.12.96. Vgl auch NR Egerszegi-Obrist (fdp, AG) in NZZ, 19.11.96.42
[43] Amtl. Bull. StR, 1996, S. 1155 ff.; Presse vom 13.12.96.43
[44] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 544 ff.44
[45] BBl, 1996, I, S. 609 ff.; Amtl. Bull. NR, 1996, S. 543 f. Der StR schloss sich bezüglich der UNO-Konvention dem NR an (Amtl. Bull. StR, 1996, S. 623). Eine Motion Bortoluzzi (svp, ZH) auf umgehende Unterbreitung des Wiener Abkommens wurde als erfüllt abgeschrieben (Amtl. Bull. NR, 1996, S. 554 f.). Zur strafrechtlichen Relevanz dieser Konvention siehe M. Pieth, "Selbstbeschränkung über die Uno-Drogenkonvention?", in NZZ, 18.1.96. Vgl. SPJ 1995, S. 235 f.45
[46] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 551 ff. Siehe auch SPJ 1995, S. 235 f. Eine vom StR im Vorjahr teilweise gutgeheissene Motion Morniroli (lega, TI), welche die Erstellung eines ausformulierten Drogenkonzeptes verlangte, passierte im NR nur als Postulat (a.a.O., S. 946 f.).46
[47] Amtl. Bull. StR, 1996, S. 624 ff.47
[48] SoZ, 14.1.96; NLZ, 17.1.96.48
[49] AS, 1996, S. 985 ff.; NZZ, 12.1.96: Presse vom 26.1. und 22.2.96; Bund, 10.2.96.49
[50] Presse vom 12.10. und 11.11.96. Zu den vorläufigen Ergebnissen der kontrollierten Drogenabgabe und zu deren Würdigung durch ausländische Experten siehe NZZ, 1.4.96; TA, 12.9.96; Bund, 12.10.96; JdG, 11.11.96. Zur Wissenschaftlichkeit der Versuche siehe NZZ, 22.7. (NR Bortoluzzi, svp, ZH) und 9.8.96 (Replik der Versuchsleiter Gutzwiller und Uchtenhagen). Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1240 f. Der in der Solothurner Strafanstalt Oberschöngrün seit einem Jahr durchgeführte, weltweit erste Versuch mit der Abgabe von Heroin an schwerstabhängige Inhaftierte ergab ebenfalls sehr gute Resultate (BaZ, 4.1.96; Bund, 29.2.96; TA, 15.4.96; NLZ, 3.7.96; JdG, 28.12.96).50
[51] Presse vom 23.2.96. Das Projekt einer geschlossenen Anstalt für den fürsorgerischen Freiheitsentzug bei verwahrlosten Drogenabhängigen scheiterte. Der Betrieb der ersten FFE-Station der Schweiz, die "Ober Halden" in Egg (ZH), wurde nach nur vier Monaten eingestellt, da das Heim stets stark unterbelegt war (TA, 27.2.96).51
[52] Presse vom 4.7.96. Vgl. SPJ 1989, S. 197.52
[53] Presse vom 6.8., 6.9. und 19.12.96. Zu den insgesamt positiven Ergebnissen der schweizerischen Drogenpolitik (Stabilisierung der Anzahl Süchtiger, Rückgang der HIV-Infektion) siehe Presse vom 20.12.96.53
[54] Presse vom 28.2.96.54
[55] Presse vom 9.11. und 11.11.96. 55
[56] Presse vom 4.10.96. Siehe dazu auch die Stellungnahmen des BR in Amtl. Bull. NR, 1996, S. 555 f. und 1874 ff. 1996 wurden zwei Todesfälle nach der Einnahme von Ecstasy registriert (Presse vom 25.3.97).56
[57] SoZ, 4.8. und 10.11.96; DAZ, 10.9.96; Bund, 2.10.96; NLZ, 8.10. und 22.11.96; TA, 30.10. und 7.11.96; Presse vom 2.12.96.57
[58] TA, 8.8. und 20.8.96.58