Année politique Suisse 1996 : Politique sociale / Assurances sociales
 
Mutterschaftsversicherung
Im Rahmen der Legislaturplanung 1995-1999 präzisierte der Bundesrat seine Vorstellungen zu einer Mutterschaftsversicherung. Im Zentrum steht für ihn der Erwerbsersatz für berufstätige Mütter. Er möchte aber auch prüfen, in welcher Form Leistungen an nicht erwerbstätige Mütter ausgerichtet werden sollen [55].
Die gemeinsame Frauenplattform der Bundesratsparteien, die sich im Vorjahr abgezeichnet hatte, wurde am Rand des 5. schweizerischen Frauenkongresses (siehe unten, Teil I, 7d, Frauen) bekräftigt. Danach sollten die Mutterschaftsleistungen für erwerbstätige Frauen während des 16wöchigen Mutterschaftsurlaubs je hälftig aus Arbeitgeberbeiträgen und allgemeinen Bundesmitteln finanziert werden. Aus Gründen der Akzeptanz wurde auf Lohnprozente verzichtet und die Plafonierung der Leistungen auf der Basis der AHV-Grenzbeiträge (rund 70 000 Fr. pro Jahr) vorgeschlagen. Nicht erwerbstätige Mütter sollten viermal die monatliche AHV-Mindestrente (970 Fr.) erhalten. Auch für diese Leistungen war eine Finanzierung durch die öffentliche Hand vorgesehen. Arbeitgeber-Direktor Hasler signalisierte umgehend, dass für die Mitglieder seines Verbandes jede echte Mutterschaftsversicherung im jetzigen Zeitpunkt undenkbar sei. Allenfalls könne über eine garantierte Lohnfortzahlung von acht Wochen diskutiert werden. Diese Meinung vertrat auch Gerwerbeverbands-Präsident Triponez. Die Frauenplattform geriet aber auch durch ein unglücklich formuliertes Communiqué der SP-Frauen, in welchem ein 100%iger Lohnersatz ohne Plafonierung und eine teilweise Finanzierung über Lohnprozente verlangt wurde, wieder ins Wanken, doch setzte sich schliesslich die Überzeugung durch, dass die Mutterschaftsversicherung nur eine Chance habe, wenn alle Frauen am gleichen Strick ziehen. Präsentiert wurde ein neuerlicher Kompromissvorschlag, nach welchem sowohl erwerbstätige als auch nichterwerbstätige Frauen Mutterschaftsleistungen während 16 Wochen erhalten sollen. Deren Finanzierung müsste von der ganzen Bevölkerung über Steuern getragen werden, wobei die Belastung der Arbeitgeber durch Sozialabgaben nicht weiter ansteigen sollte [56].
Mitte Juni präsentierte Bundesrätin Dreifuss ihren Kollegen ihren Vorschlag für die Mutterschaftsversicherung. Danach sollen alle Frauen in den Genuss von 16 Wochen bezahlten Mutterschaftsurlaub gelangen. Die Lohnfortzahlung an die berufstätigen Mütter (693 Mio Fr. pro Jahr) würde über eine Erhöhung der Lohnprozente von 0,24%, die Entschädigung an die nichtberufstätigen Mütter (125 Mio Fr.) zu Lasten der Bundeskasse erfolgen. Der Bundesrat nahm den Vorschlag durchaus wohlwollend zur Kenntnis, vertagte aber seinen Entscheid über die Form der Finanzierung. Kaum zwei Wochen später distanzierte sich Finanzminister Villiger jedoch bereits wieder von der Aussage, der Bundesrat habe dem Modell grundsätzlich zugestimmt, und er sprach sich für eine Lösung aus, die allein die erwerbstätigen Frauen berücksichtigt. Gleichzeitig scherten auch die FDP-Frauen aus der gemeinsamen Plattform aus, indem sie einen Brief von Vertreterinnen der CVP, SP und SVP, welche die Aufschiebung eines verbindlichen Beschlusses kritisierten, nicht unterzeichneten. Nach der Sommerpause fiel der für August versprochene Entscheid über die Finanzierung erneut nicht. Der Bundesrat nahm die Diskussion erst wieder bei seiner Beratung des IDA-FiSo-Berichts im September auf. Dabei beschloss er, die Frage der Finanzierung erneut auszusetzen und an die anstehenden Revisionen von IV und EO zu koppeln [57].
Die Vorstellungen von Bundesrat Villiger wurden von FDP-Parlamentarierinnen der beiden Kammern aufgenommen. Der Ständerat befasste sich in der Wintersession mit einer Motion Spoerry (fdp, ZH), die erreichen wollte, dass erwerbstätige Frauen in jedem Fall für die im Arbeitsgesetz festgesetzte achtwöchige Pause nach der Geburt eines Kindes einen Lohn erhalten. Sprecherinnen der CVP (Simmen, SO) und der SP (Brunner, GE) wie auch Bundesrätin Dreifuss wandten sich gegen diese "Minimallösung", da sie befürchteten, dass dadurch der Weg zu einer echten Mutterschaftsversicherung verbaut würde. Mit Stichentscheid des Präsidenten wurde die Motion abgelehnt [58].
 
[55] BBl, 1996, II, S. 319; BaZ, 8.2.96.55
[56] Presse vom 22.1., 24.1., 19.2., 21.2. und 14.3.96; Ww, 8.2.96; NZZ, 12.3.96. Siehe SPJ 1995, S. 251.56
[57] Presse vom 18.6., 29.6. und 24.9.96. Bei der Diskussion des IDA-FiSo-Berichts verlangte eine klare Mehrheit der vorberatenden Kommission des StR, die Mutterschaftsversicherung sei vorderhand auf Eis zu legen (Presse vom 22.10.96).57
[58] Amtl. Bull. StR, 1996, S. 1182 ff. Im NR wurde eine gleichlautenden Motion von Ch. Egerszegi-Obrist (fdp, AG) eingereicht (Verhandl. B.vers., III, Teil 2, S. 55).58