Année politique Suisse 1996 : Politique sociale / Groupes sociaux / Flüchtlinge
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Asylinitiativen
Auch der Nationalrat folgte dem Antrag des Bundesrates sowie dem Beschluss des Ständerates und erklärte die SD- Volksinitiative "für eine vernünftige Asylpolitik" für ungültig. Hauptargument war auch hier, dass der Inhalt der Initiative gegen zwingendes Völkerrecht verstosse. Damit ist dieses Volksbegehren das vierte seit 1891, welches auf Parlamentsbeschluss der Volksabstimmung entzogen wird. Die Gründe, welche bisher zur Ungültigkeitserklärung geführt hatten, waren Impraktibilität des Vorgehens (Chevalier-Initiative von 1954) bzw. mangelnde Einheit der Materie (Teuerungsinitiative der PdA 1977 und Rüstungsinitiative der SP 1995). Bei der SD-Initiative wurde erstmals der Begriff des übergeordneten Rechts für die Ungültigerklärung beigezogen [21].
In der Debatte sprachen sich FDP, CVP, LP und Teile der SP für den Vorrang des Völkerrechts und damit für die Ungültigkeitserklärung aus. Abkommen, welche als "Besitzstand der Zivilisation" gelten, dürften nicht gefährdet werden, fasste Eggly (lp, GE) die Meinung vieler Ratsmitglieder zusammen. Der Zürcher SP-Vertreter Gross und der Aargauer Grüne Thür traten mit Unterstützung eines Teils ihrer Fraktion für eine partielle Ungültigkeit ein. Zum Schutz der Demokratie sei nur der völkerrechtswidrige Teil (Aufhebung des Non-Refoulements-Prinzips) zu streichen.
Für eine Gültigkeit sprachen sich Teile der SVP und des LdU aus, allerdings verbunden mit dem Antrag auf Ablehnung. Die Angst, der Stimmbürger könnte diese extreme Initiative annehmen, sei unbegründet, meinte Meier (ldu, AG). Einzig die FP äusserte sich auch inhaltlich positiv zur Initiative. Im Asylbereich stünden die Interessen des Schweizervolkes über dem Völkerrecht, erklärte Scherrer (fp, BE). Die Ungültigerklärung erfolgte nach langer Diskussion mit 133 zu 33 Stimmen deutlich. Der Antrag Gross unterlag mit 116 zu 62 Stimmen [22].
Juristisch unbestritten war die von der SVP eingereichte Volksinitiative "gegen die illegale Einwanderung". Sie verlangte, dass auf Asylgesuche illegal Eingereister nicht eingetreten werden soll. Anders als die SD-Initiative bekannte sie sich aber zum Grundsatz des Non-Refoulements, wonach ein Flüchtling nur abgewiesen werden darf, wenn garantiert werden kann, dass ihm in seinem Heimatland weder Folter noch Tod drohen. Als Massnahme gegen die Attraktivität der Schweiz als Einwanderungsland wollte die SVP zudem eine staatliche Lohnverwaltung für die Asylbewerber einführen. Dies bringe einerseits keine Verbesserungen, andererseits aber einen übertriebenen Bürokratismus, begründete Heberlein (fdp, ZH) die ablehnende Haltung der Staatspolitischen Kommission und des Bundesrates. Die Initiative, welche ausserhalb der eigenen Partei nur gerade die Unterstützung der FP und der EDU fand, wurde vom Nationalrat mit 137 zu 37 Stimmen Volk und Ständen zur Verwerfung empfohlen  [23].
Auch im Abstimmungskampf fand die SVP nur gerade die Unterstützung der SD, der FP, der Lega und der EDU. Aber selbst parteiintern war die Initiative nicht unbestritten. An der Delegiertenversammlung der SVP plädierte Bundesrat Ogi noch einmal für die ablehnende Haltung des Bundesrates. Beim Gros seiner Parteifreunde stiess er dabei zwar nicht auf Gehör, doch schlossen sich ihm zumindest die Berner, Bündner und Waadtländer Sektionen an [24].
Die Abstimmungskampagne für die Initiative wurde vom selben Werbebüro inszeniert, welches bereits für die berühmt-berüchtigten Inserate mit der Filzlaus (gegen den "rot-grünen Filz"), mit dem Messerstecher (gegen die "Linken und Netten") und dem Stiefel (gegen "linke und andere heimatmüde Patrioten") verantwortlich gezeichnet hatte. Entsprechend hemdsärmlig wurde dann auch Propaganda für die Initiative gemacht. In einem Inserat des Aktionskomitees unter Führung des früheren SVP-Präsidenten Uhlmann (TG) war von "gesetzeswidriger Ansiedlung von Rechtsbrechern, Kriminalität und Drogenhandel" die Rede. Auch die Behörden und die übrigen Parteien wurden mit der Behauptung verunglimpft, sie würden vor der Illegalität die Augen verschliessen, weshalb jetzt das Volk zum Handeln aufgerufen sei. Mehrere Zeitungen ("Basler Zeitung", "Tagesanzeiger" und "Neue Luzerner Zeitung") weigerten sich, dieses ihrer Auffassung nach menschenverachtende Inserat abzudrucken. Zwei Wochen später publizierten der "Blick" und der "Tagesanzeiger" ein Inserat der FP, welches mit seinem undifferenzierten Rundumschlag gegen alle Ausländer nicht nur von den Gegnern der Initiative als zynisch und primitiv verurteilt wurde. Als durchsickerte, dass das Inserat von Nationalrat Dreher (ZH) im Alleingang lanciert worden war, distanzierten sich nicht nur die SVP, sondern auch das Präsidium und die Bundeshausfraktion der FPS von dieser Aktion [25].
Die Gegner der Initiative fanden sich in einem gemeinsamen Komitee zusammen, welchem sich 114 Parlamentarierinnen und Parlamentarier von CVP, FDP und SP anschlossen. Ihre relativ kurze Begründung für die Ablehnung der Initiative lautete, dass diese kontraproduktiv, unnötig, irreführend und gefährlich sei und zudem die Falschen treffe. Die Initiative beruhe auf längst überholten Zahlen von 1992; seit damals sei die Zahl der Asylgesuche stark gesunken und die durchschnittliche Verfahrensdauer massiv verkürzt worden. Die Tatsache, dass 85% der anerkannten Flüchtlinge illegal eingereist seien, zeige, dass die Art des Grenzübetritts kein Kriterium für die Beurteilung der Asylgesuche darstelle [26]. Rund zwei Wochen später konstituierte sich ein zweites, rein bürgerliches Nein-Komitee, welches sich in seiner Argumentation nicht wesentlich vom nationalen Komitee unterschied. Im CVP-Generalsekretariat, welches für die Abstimmungskampagne federführend war, wurde erläutert, dass es mit dem rein bürgerlichen Komitee darum gehe, vor allem bürgerliche Stimmbürger zu mobilisieren [27].
Auch Bundesrat Koller warnte, die SVP-Initiative sei widersprüchlich, überholt und unwirksam, ihre Annahme würde lediglich einen administrativen Leerlauf bewirken und dem Ruf der humanitären Schweiz schaden. Zudem würde sie der Eidgenosschenschaft praktisch verunmöglichen, dem Erstasylkommen der EU in einem Parallelabkommen beizutreten. Das Problem sei heute nicht die Zulassung neuer Asylbewerber, sondern der Gesetzesvollzug, da sich einzelne Heimatstaaten weigerten, abgewiesene Flüchtlinge wieder aufzunehmen [28].
Dass am ersten Dezembersonntag gleich zwei emotional befrachtete Vorlagen - neben der Asylinitiative noch das revidierte Arbeitsgesetz - zur Abstimmung gelangten, schlug sich in der hohen Stimmbeteiligung von fast 47% nieder. Das Resultat fiel relativ knapp aus. 53,7% der Stimmenden lehnten die Initiative ab, 46,3% stimmten ihr zu. Noch enger war die Differenz bei den Kantonen: 12 ablehnenden standen 11 befürwortende gegenüber. Vor allem die Romandie reagierte gar nicht gnädig auf die in Zürich ausgebrütete SVP-Initiative. Das deutlichste Resultat lieferte Genf, wo nur rund 30% Ja-Stimmen gezählt wurden. Basel-Stadt stimmte mit einem Nein-Anteil von knapp 60% einmal mehr ähnlich wie die Westschweiz. Abgelehnt wurde die Initiative auch von Zürich, Bern, Basel-Land, Zug, Obwalden, Appenzell-Ausserrhoden und Graubünden. Das Tessin und die restlichen Deutschschweizer Kantone stimmten zu, am deutlichsten die Kantone Schwyz und Appenzell-Innerrhoden mit knapp 60% Ja-Stimmen [29].
Volksinitiative "gegen die illegale Einwanderung"
Abstimmung vom 1. Dezember 1996

Beteiligung: 46,8%
Ja: 982 867 (46,3%) / 10 2/2 Stände
Nein: 1 138 301 (53,7%) / 10 4/2 Stände

Parolen:
- Ja: SVP (2*), SD, FP, EDU, KVP; RN.
- Nein: FDP (1*), CVP, SPS, GP, LP, LdU, EVP, PdA; SGB; Hotelier-Verein; Landeskirchen; AI, SFH, Bods, Asylkoordination Schweiz.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Am Abend des Abstimmungssonntags äusserte Bundesrat Koller Genugtuung darüber, dass sich eine Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger vom Titel der Asylinitiative nicht habe verführen lassen und erkannt habe, dass das Anliegen der SVP letztlich menschenunwürdig gewesen sei und zur weiteren Isolation der Schweiz beigetragen hätte. Bei aller Freude über das Nein gelte es aber zur Kenntnis zu nehmen, dass ein bedeutender Teil der Bevölkerung der Initiative zugestimmt und damit unübersehbar eine deutliche Unzufriedenheit über die Ausländer- und Asylpolitik der Schweiz zum Ausdruck gebracht habe. Diese Unzufriedenheit hänge sicher damit zusammen, dass viele den Ausländeranteil in der Schweiz als zu hoch empfänden. Er werte das Abstimmungsergebnis deshalb als Aufforderung an den Bundesrat, den Zuwachs der ausländischen Bevölkerung weiter zu bremsen [30].
Gemäss der Vox-Analyse dieses Urnengangs ist das recht knappe Nein von rund 54% der Stimmenden in erster Linie als Erfolg der bundesrätlichen Abstimmungskampagne zu werten. Grosses Gewicht habe vor allem das Argument gehabt, die Initiative sei nicht wirksam. Die Parteibindung und die Orientierung der Stimmberechtigten entlang der Links-Rechts-Achse hatten offensichtlich einen wichtigen Einfluss auf das Stimmverhalten. 80% der SP-Sympathisanten sagten nein, 75% der SVP-Wähler stimmten zu. In dieser parteipolitisch polarisierten Konstellation war das Stimmverhalten in der bürgerlichen Mitte entscheidend. Die Analyse zeigte, dass die Wähler und Wählerinnen der CVP der offiziellen Parteiparole weitgehend folgten. Die Nein-Parole der FDP und der LP wurde von ihren Wählerinnen und Wählern hingegen nur teilweise befolgt (58% Neinstimmen) [31].
 
[21] TA, 13.3.96; Presse vom 14.3.96.21
[22] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 303 ff. und 328 ff.; BBl, 1996, I, S. 1355 f. Vgl. auch SPJ 1995, S. 261. Siehe dazu auch oben, Teil I, 1c (Volksrechte).22
[23] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 303 ff., 328 ff. und 634; Amtl. Bull. StR, 1996, S. 280; BBl, 1996, I, S. 1321 f. Siehe SPJ 1995, S. 261.23
[24] SVP: TA, 9.9.96; NLZ, 25.10.96; TW, 2.11.96; SZ, 11.11.96. Die Berner SVP gab schliesslich knapp die Ja-Parole aus, nicht so aber die Bündner und Waadtländer (BaZ, 18.11.96).24
[25] BZ, 11.10.96; NZZ, 26.10.96; SZ, 30.10.96; Presse vom 12.11., 27.11. und 28.11.96; Blick und TA, 26.11.96. Der TA bezeichnete das Erscheinen des Inserates als interne Panne (TA, 27.11.96). Gegen ein Inserat in der BZ, welches Bergbauern aufforderte, sich genauso "geldgierig" zu verhalten wie Asylbewerber, reichten die damit in Zusammenhang gebrachten Hilfswerke Caritas und HEKS Strafanzeige ein (Bund, 7.11.96).25
[26] Presse vom 11.10.96; BaZ, 21.10.96.26
[27] NZZ, 23.10.96. Bereits ganz zu Beginn der Abstimmungskampagne hatte die FDP-Fraktion ihr Parteisekretariat beauftragt, ein rein bürgerliches Komitee auf die Beine zu stellen, um sich mit einer eigenständigen Argumentation von der "weichen" SP-Linie in der Asylgesetzgebung abzugrenzen (TA, 18.9.96).27
[28] Presse vom 19.10. und 12.11.96.28
[29] BBl, 1997, I, 996 f.29
[30] Presse vom 2.12.96.30
[31] S. Hardmeier, Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 1. Dezember 1996. VOX Nr. 60, Zürich 1997.31