Année politique Suisse 1996 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises / Kulturpolitik
Mit einem überwiesenen Postulat Loeb (fdp, BE) wurde der Bundesrat ersucht zu prüfen, ob neben den in der deutschen Schweiz von der UNESCO bereits anerkannten
Weltkulturgütern (St. Galler Stift, Kloster Müstair (GR) und Berner Altstadt) nicht auch Baudenkmäler der französischen und italienischen Schweiz zur Anerkennung bei der Unesco angemeldet werden könnten
[4].
Der Bundesrat wertete das Ergebnis der Vernehmlassung zur Ratifikation der Unesco-Konvention aus dem Jahre 1970 mit dem Ziel einer gesetzlichen
Regelung des Handels und Verkehrs mit Kulturgütern als Aufforderung, auf diesem Gebiet tätig zu werden. Konkret geht es in diesem Abkommen darum, einen fairen und transparenten Austausch von Kulturgütern zu gewährleisten und Kulturgüter von nationaler Bedeutung vor illegaler Ausfuhr zu schützen. 1995 hat das
Unesco-Übereinkommen durch die im privatrechtlichen Bereich angesiedelte
Unidroit-Konvention über die Rückführung von gestohlenem oder illegal exportiertem Kulturgut eine Ergänzung erhalten. Anders als die Unesco-Konvention ist sie
unmittelbar anwendbar ("self-executing") und bedarf somit keiner innerstaatlichen Gesetzgebung. Im Sinne eines abgestimmten Vorgehens möchte der Bundesrat den gesamten Themenbereich gleichzeitig regeln. Zur Beruhigung der Gemüter vorab in Kunsthändlerkreisen legte er einen weiteren Zwischenschritt ein. Einerseits wurde mit einem Gutachten die heutige verfassungsrechtliche Situation abgeklärt und geprüft, ob die Bundesbehörden aufgrund der bestehenden Verfassung bereits eine Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich haben. Andererseits führte das EDI ein Vernehmlassungsverfahren zur Ratifikation der Unidroit-Konvention durch. Wie beim entsprechenden Unesco-Abkommen sprachen sich FDP, SVP, Gewerbeverband und Kunsthändler gegen einen Beitritt aus, während die SP und (neu) die CVP, die in der Entwicklungszusammenarbeit engagierten Kreise sowie die meisten Kantonsregierungen und Museen dafür plädierten
[5].
Aufgrund der mehrheitlich zustimmenden Antworten beschloss der Bundesrat, die
Unidroit-Konvention zu unterzeichnen und dem Parlament zur Ratifikation zuzuleiten. Gleichzeitig setzte er eine vom EDI geleitetet interdepartementale Arbeitsgruppe ein, welche sich noch vertieft mit den rechtlichen Fragen zur Unesco-Konvention und zum Unidroit-Abkommen auseinandersetzen sowie die Folgearbeiten zu einem Gesamtpaket koordinieren soll. Einer der Gründe für den Entscheid des Bundesrates, welcher dem Vernehmen nach nur mit knapper Mehrheit zustande kam, ist die Befürchtung, dass die Schweiz wegen ihrer liberalen Rechtsordnung Gefahr läuft, als attraktives Transitgebiet für den illegalen Kulturgütertransfer missbraucht zu werden
[6].
[4]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1202.4
[5]
TA, 12.1.96; Presse vom 18.1., 9.3. und 18.5.96;
SHZ, 22.2.96;
NZZ, 10.4., 19.4. (Leserbriefe), 14.5. und 15.6.96;
BaZ, 19.4. und 24.4.96;
JdG, 7.6.96;
TA, 10.7. und 17.7.96;
TW, 13.12.96. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 613 ff. Vgl.
SPJ 1994, S. 262 und
1995, S. 290 f.5
[6]
NZZ, 10.4., 19.4., 15.6. und 14.11.96; Presse vom 19.6.96;
TW, 13.12.96. Im Spätsommer wurde von einzelnen britischen Medien der Vorwurf erhoben, private Kunstsammler und Museen in der Schweiz hätten sich aufgrund einer unklaren Gesetzesgrundlage während des 2. Weltkriegs durch den Kauf von Bildern aus jüdischen Sammlerkreisen oder von "entarteter Kunst" unrechtmässig bereichert (
NZZ, 23.9. und 30.10.96;
NQ, 25.9.96,
Ww, 3.10.96;
TA, 16.10.96;
SoZ, 20.10. und 27.10.96;
BüZ, 24.10.96). Für die gesamte Kontroverse über die Haltung der Schweiz während und nach dem 2. Weltkrieg vgl. oben, Teil I, 1a (Aufarbeitung der Kriegsjahre) und 4b (Banken). Zum Stand des Schutzes einheimischer Kulturgüter in der Schweiz siehe A. Valda, "Der Lehrer als fleissiger Kulturschützer. Kulturgüterschutz in der Schweiz: Zwischen Dilettantismus und Verantwortung", in
TA, 6.9.96.6
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