Année politique Suisse 1996 : Enseignement, culture et médias / Médias
 
Medienpolitische Grundfragen
Um der veränderten Medienwelt Rechnung zu tragen, leitete der Bundesrat dem Parlament eine Revision des Medienstraf- und Verfahrensrechts im Strafgesetzbuch und im Militärstrafgesetz zu. Die geltenden strafrechtlichen Vorschriften über die Medien wurden seit 1942 nicht mehr grundlegend revidiert und sollen auf Radio, Fernsehen und die weiteren elektronischen Medien ausgeweitet werden. Neu sollen Medienschaffende ein beschränktes Zeugnisverweigerungsrecht erhalten. Der vorgeschlagene Artikel 27bis StGB sieht vor, dass gegen Medienschaffende keine Strafen oder prozessuale Zwangsmassnahmen verhängt werden dürfen, wenn diese beispielsweise über die Identität eines Autors oder über Quellen und Inhalt ihrer Informationen keine Auskunft geben wollen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn das Interesse am Quellenschutz das Interesse der Strafverfolgung überwiegt. Dies abzuschätzen soll Sache des Richters sein, wobei der Revisionsentwurf Leitplanken festlegt. Vorrang hätte der Quellenschutz, wenn eine Übertretung auch mit anderen Mitteln als der Zeugenaussage eines Journalisten aufgedeckt werden kann. Dasselbe gilt, wenn das geforderte Zeugnis anderem dienen soll als der unmittelbaren Aufklärung eines Delikts. Dagegen überwiegt das Strafverfolgungsinteresse, wenn das Zeugnis zur Rettung eines Menschenlebens erforderlich ist, oder wenn ohne die Aussage eines Medienschaffenden ein Tötungsdelikt oder ein anderes schweres Verbrechen nicht aufgeklärt oder der mutmassliche Täter nicht gefasst werden kann. Gleichzeitig will der Bundesrat weitere Bestimmungen im Medienstrafrecht anpassen. So soll der verantwortliche Redaktor nur noch für eigenes Verschulden haften; eine Übernahme der Schuld des nicht belangbaren Autors findet dagegen nicht mehr statt. Weiter soll die umstrittene Strafvorschrift über die Veröffentlichung amtlich geheimer Handlungen (Art. 293 StGB) ersatzlos aufgehoben werden. Wichtige staatliche und militärische Geheimnisse bleiben jedoch weiterhin vor einer Weiterverbreitung in den Medien geschützt. In seiner Begründung bezeichnete es der Bundesrat als unbillig, dass der Journalist, der vertrauliche Informationen veröffentlicht, bestraft wird, während der Beamte oder Behördenvertreter, der ihm die Publikation ermöglicht hat, regelmässig straflos ausgeht, da seine Identität nicht ermittelt werden kann. Anstelle der bisherigen Gleichstellung von Landesverrat und der unerlaubten Veröffentlichung bestimmter Geheimnisse durch ein Medium schlägt der Revisionsentwurf eine differenzierte Beurteilung der Geheimnisverletzungen vor [1].
Die Bundesanwaltschaft überwachte im September während mehrerer Wochen Journalistentelefone der "Sonntags-Blick"-Bundeshausredaktion, um der Indiskretion eines Beamten auf die Spur zu kommen. Das Vorgehen der Bundesanwaltschaft stiess in weiten Kreisen auf Kritik [2].
Eine Motion Zbinden (sp, AG), die eine verfassungsmässige Verankerung der Medien als vierte Gewalt forderte, um die Tendenz zur gegenseitigen Vereinnahmung von Politik und Medien zu bremsen, wurde vom Nationalrat mit 63 zu 44 Stimmen nur als Postulat überwiesen. Bundesrat Koller machte geltend, dass die Medien keinesfalls mit den drei klassischen Gewalten gleichgesetzt werden können, wies aber darauf hin, dass der Entwurf zur Totalrevision der Bundesverfassung explizit Regelungen enthalte, die unabhängige und aufklärend-kritische Medien garantieren [3].
Anders als der Nationalrat trat der Ständerat nicht auf eine parlamentarische Initiative der nationalrätlichen Rechtskommission ein, die vorschlug, dass vorsorglich verfügte Publikationsverbote künftig beim Bundesgericht angefochten werden können. Aus Sicht der ständerätlichen Rechtskommission ist die Berufung ans Bundesgericht schon wegen der Dauer des Verfahrens nicht das geeignete Rechtsmittel, um eine vorsorgliche Massnahme im Medienbereich zu überprüfen. Dem überlasteten Bundesgericht solle zudem nicht noch mehr Arbeit aufgebürdet werden.
Gemäss dem Presserat des Schweizer Verbandes der Journalistinnen und Journalisten ist die journalistische und politische Tätigkeit nicht zu vereinbaren. Schon die Mitgliedschaft bei einer Partei tangiere die Unabhängigkeit der Journalisten. Der Presserat setzte sich auch mit der Grauzone zwischen journalistischer und bezahlter Information auseinander und forderte von der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) und von Teletext, bezahlte und gesponserte Dienste optisch klarer abzugrenzen [5].
 
[1] BBl, 1996, IV, S. 525 ff.; Presse vom 18.6.96. Im Berichtsjahr fällte der Europäische Gerichtshof einen grundlegenden Entscheid, wonach sich das Zeugnisverweigerungsrecht für Medienschaffende aus Artikel 10 der Menschenrechtskonvention ergibt (Presse vom 28.3.96). Das Bezirksgericht Zürich stützte sich direkt auf diesen Entscheid und anerkannte einem Medienschaffenden erstmals das Zeugnisverweigerungsrecht zu (TA, 22.11.96).1
[2] Sonntags-Blick, 29.12.96; Presse vom 30.12.96. Im Februar 1997 wurde bekannt, dass die Bundesanwaltschaft im Zeitraum 1995/96 noch zwei weitere Abhöraktionen von Zeitungen veranlasst hatte (Presse vom 24.2.97).2
[3] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1328 ff. Vgl. auch SPJ 1995, S. 301. Siehe dazu auch R. Rhinow, "Medien und Demokratie - ein spannungsvolles Verhältnis", in NZZ, 16.3.96.3
[5] NZZ, 14.2.96; TA, 6.12.96.5