Année politique Suisse 1996 : Enseignement, culture et médias / Médias
 
Presse
Zwischen den Deutschschweizer und Tessiner Verlegern und Journalisten kam, rückwirkend auf Anfang 1996, nach vierjährigen Verhandlungen doch noch ein Gesamtarbeitsvertrag zustande. Danach wurde der automatische Teuerungsausgleich durch jährliche Verhandlungen ersetzt, die Festsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit ist Sache der Unternehmungen [6].
Das Inseratevolumen sank im Berichtsjahr gesamtschweizerisch um 10,1%, wobei der Rückgang in der Deutschschweiz bedeutender war als in der Westschweiz und im Tessin. Um sich auf dem Werbemarkt besser zu behaupten, gründeten 50 Verleger von lokalen oder regionalen Deutschschweizer Zeitungen den Verein "Regiopress" [7].
Eine von der Vereinigung europäischer Zeitungsverleger publizierte Studie zeigte auf, dass das Zeitungssterben in keinem anderen Land Westeuropas in den letzten Jahren so gross war wie in der Schweiz. Zwischen 1988 und Anfang 1996 verringerte sich die Zahl der mindestens viermal wöchentlich erscheinenden Blätter in der Schweiz von 127 auf 103 [8]. Dieser Trend setzte sich im Berichtsjahr fort: Die Zahl der Schweizer Tageszeitungen sank unter 100 auf 99. Damit muss die Schweiz den Titel, zeitungsreichstes Land Europas zu sein, an Norwegen abgeben. Nur noch rund ein Drittel der Schweizer Tageszeitungen verfügt über eine Vollredaktion [9].
Zu Beginn des Jahres erschien in der Zentralschweiz erstmals das Fusionsprodukt von "Luzerner Neuste Nachrichten" (LNN) und "Luzerner Zeitung" (LZ), die "Neue Luzerner Zeitung" (NLZ) mit fünf Regionalausgaben für die Kantone Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Zug. Noch im Januar kam ausserdem die als Alternative zur NLZ konzipierte Tageszeitung "Luzern heute", auf den Markt, die vor allem die Agglomeration Luzern abdecken will und dreimal wöchentlich erscheint. Auch im Kanton Zug wurde ein Konkurrenzblatt zur NLZ aus der Taufe gehoben: im August debutierte die "Zuger Presse", die sich auf das Geschehen in der Region Zug beschränkt und ebenfalls dreimal wöchentlich erscheint [10].
Im Aargau kam es ebenfalls zu einer Konzentration in der Presselandschaft. Die beiden grössten aargauischen Tageszeitungen "Aargauer Tagblatt" und "Badener Tagblatt" fusionierten zur "Aargauer Zeitung", die mit einer Startauflage von 120 000 Exemplaren im November als sechstgrösste Schweizer Tageszeitung erstmals erschien. Am neuen Unternehmen sind die Aargauer Tagblatt AG und die Badener Tagblatt Holding AG zu je 50% beteiligt. Anders als letztes Jahr in der Innerschweiz fielen die Reaktionen zur Zeitungsfusion im Aargau moderat aus, da beide Tageszeitungen eine ähnliche, bürgerlich-konservative Linie verfolgten. Opposition gegen die Fusion regte sich jedoch anfänglich von Teilen der Aktionäre des "Aargauer Tagblatts" um die beiden SVP-Parlamentarier Maximilian Reimann und Christian Speck, die eine Vormachtstellung der Badener Tagblatt Holding und insbesondere von deren Besitzer Peter Wanner befürchteten.
Die Aargauer Zeitungsfusion hatte auch Konsequenzen für die seit Anfang 1994 bestehende "Mittelland-Zeitung", der das "Aargauer Tagblatt", das "Oltner Tagblatt" und das "Zofinger Tagblatt" angehörten. Der Verleger der neuen "Aargauer Zeitung" kündigte die Kooperation des "Aargauer Tagblatt", das bis dahin den gemeinsamen Mantelteil der "Mittelland-Zeitung" geliefert hatte. Nachdem die beiden verbliebenen Partner mit rechtlichen Schritten wegen Vertragbruchs drohten, zog die Aargauer Zeitung AG die Kündigung zwar zurück. Die in Zugzwang geratenen "Oltner Tagblatt" und "Zofinger Tagblatt" fanden aber mit der "Solothurner Zeitung" eine neue Partnerin und schlossen sich zu dritt zur "Neue Mittelland-Zeitung" zusammen. Damit entstand im Kanton Aargau wieder eine zweite grössere Tageszeitung, dem Kanton Solothurn ging jedoch seine zweite Pressestimme verloren. Neu liefert die "Solothurner Zeitung" den überregionalen Mantelteil. Die vorerst auf fünf Jahre befristete, am 4. November begonnene Kooperation soll den drei Zeitungen - Gesamtauflage 85 000 Exemplare - den Zugang zum nationalen Inseratemarkt sichern. Die drei Verlage sind bereits gemeinsam am Solothurner Lokalsender "Radio 32" beteiligt.
Zu einem Zweititelsystem unter einem Verlagsdach ab 1. November entschieden sich das "Bündner Tagblatt" und die "Bündner Zeitung". Die Gasser Media AG, Herausgeberin der "Bündner Zeitung", übernahm die operative Führung beider Tageszeitungen, die neu einen gemeinsamen Inserateteil, aber weiterhin getrennte Redaktionen haben werden. Ab 1997 werden sich die beiden Blätter inhaltlich stärker unterscheiden: Während die "BZ" einen liberalen Kurs fährt und sich der vertieften Information verschreibt, wird das "Bündner Tagblatt" einen pointiert konservativen Kurs fahren und sich auf die kurze, schnelle Information konzentrieren. Das im 144. Jahrgang erscheinende "Bündner Tagblatt" war vor zehn Jahren vom Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Blocher übernommen und von ihm seither jährlich mit Millionenbeträgen über Wasser gehalten worden. Nun leitete Blocher seinen Rückzug aus dem Graubündner Zeitungsmarkt ein. Kritische Stimmen gaben dem Bündnerischen "wirtschaftlichen Zeitungsmonopol mit Pressevielfalt" keine längerfristigen Überlebenschancen [13].
Dem jahrelangen Feilschen um eine romanische Tageszeitung in Graubünden setzte die Gasser Media AG Anfang November überraschend ein Ende und kündigte die Lancierung von "La Quotidiana", der ersten romanischen Tageszeitung, auf Januar 1997 an. Im Gegensatz zu früheren Projekten wird die Tageszeitung nicht in Zusammenarbeit mit den romanischen Sprachorganisationen, sondern im Alleingang herausgegeben. Das Zweititelsystem von "BZ" und "BT" mutiert damit zum Dreititelsystem. Der Lia Rumantscha und der Pro Svizra Rumantscha warf der Gasser-Verlag vor, dass sie eine "rätoromanische Staatszeitung" produzieren und diese zu einem Mittel der Sprachenpolitik ausbauen wollten. Die Sprachorganisationen begrüssten die neue Tageszeitung grundsätzlich. Mit der Realisierung von "La Quotidiana" verbunden ist ein Kahlschlag in der romanischen Presselandschaft: Die "Gasetta Romontscha" aus Disentis, bereits seit längerer Zeit in der Hand der Gasser AG, wird ebenso in der neuen Tageszeitung aufgehen wie die kleineren romanischen Blätter "Casa Paterna/La Punt" und "Fegl ufficial da Surselva". Auch das bisher zweimal wöchentlich erscheinende Engadiner Lokalblatt "Fögl Ladin" wird in die "Quotidiana" integriert werden. Die Engadin Press AG verkaufte der Gasser AG ihre Verlagsrechte, da sie neben der neuen Konkurrenz keine Überlebenschancen mehr sah. "La Quotidiana", deren Auflage 10 000 Exemplare beträgt, soll unabhängig und politisch neutral sein und will grundsätzlich jedem Idiom Platz einräumen [14].
Auch bei den beiden Neuenburger Tageszeitungen "L'Express" und "L'Impartial" kam es ab November zu einer Konzentration der Kräfte. Die beiden Zeitungen beschlossen eine enge Zusammenarbeit in Redaktion und Druck, neu werden lediglich noch die Regional- und Lokalredaktionen selbständig bleiben. Den beiden Blättern wurde seit Jahren die baldige Fusion prognostiziert. Die Option einer Fusion der beiden defizitären welschen Blätter "Le Nouveau Quotidien" und "Journal de Genève" prüften auch die beiden Verlagshäuser Edipresse und Journal de Genève. Das vom Journal de Genève initierte Projekt scheiterte jedoch nicht zuletzt am Streit um die Meinungsführerschaft [15].
Die katholische Kirche entzog dem links-katholischen Genfer "Le Courrier" ihre finanzielle Unterstützung von bisher jährlich 250 000 Fr., weil dieser sich weigerte, seinen gemäss der Kirche zu wenig linientreuen Chefredaktor zu entlassen. Unterstützung erhielt die kleinste Genfer Tageszeitung daraufhin von neuen Abonnenten aus linken Kreisen sowie von Edipresse, die ihr 150 000 Fr. schenkte [16].
Die einzige noch verbliebene linksgrüne Tageszeitung in der Ostschweiz, die im 92. Jahrgang stehende "Ostschweizer Arbeiterzeitung", musste ihren Betrieb einstellen. Damit verschwand das fünftletzte Organ der einst 19 Titel zählenden sozialdemokratischen Presse in der Schweiz. Dem AZ-Ring gehören nun noch die Berner "Tagwacht", die Zürcher "DAZ", die "Winterthurer AZ" und die "Schaffhauser AZ" an; neu dazu kam "Luzern heute" [17].
Das älteste Presseerzeugnis der italienischen Schweiz, die "Gazzetta Ticinese", musste sein Erscheinen ebenfalls einstellen [18].
Im Kanton Genf lehnten die Stimmberechtigten eine Volksinitiative für die Pressevielfalt, die nach dem Untergang der "La Suisse" eingereicht worden war, deutlich ab. Der Initiativtext hatte verlangt, dass der Staat Massnahmen zur Förderung von Medien und zur Verhinderung von Medienmonopolen ergreife [19].
Zu einer Motion Chiffelle (sp, VD), die das Überleben von 3000 kleinen Zeitschriften sichern will, siehe oben, Teil I, 6b (PTT). Zur Umstrukturierung der Abteilung Presse und Funkspruch der Armee siehe oben, Teil I, 3 (Organisation militaire).
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Agenturen
Im Mai genehmigte der Bündner Grosse Rat oppositionslos jährliche Kantonsbeiträge von 350 000 Fr. an die geplante romanische Nachrichtenagentur "Agentura da novitads rumantscha" (ANR). Der Bund hatte zuvor im Rahmen des neuen Finanzhilfegesetzes für die Erhaltung und Förderung der romanischen und der italienischen Sprache und Kultur jährlich weitere 700 000 Fr. in Aussicht gestellt. Damit schien der Weg für die erste romanische Nachrichtenagentur frei, und bereits im November hätte die ANR probeweise Texte produzieren und verbreiten sollen. Im Oktober kam es im ANR-Stiftungsrat jedoch zu einem Zerwürfnis. Der Gasser AG, die ein fertiges Konzept für die Organisation der Agentur vorlegte, die neuen ANR-Korrespondentenstellen in ihre eigenen Zeitungsredaktionen integrieren und auch gleich die elektronische Ausrüstung liefern wollte, wurde vorgeworfen, die ANR kontrollieren zu wollen. Der Stiftungsrat entschied, das technische Konzept der ANR öffentlich auszuschreiben, weil es sich um ein subventioniertes Projekt handle. Aus Protest traten daraufhin zwei Stiftungsratsmitglieder der Gasser-Gruppe zurück. Im Dezember entschied sich der Stiftungsrat für ein Konzept, das unabhängig vom Gasser Verlag funktioniert. Ab Februar 1997 soll die ANR nun romanische Nachrichten liefern [20].
 
[6] TA, 20.4.96; CdT, 2.12.96. Vgl. auch SPJ 1995, S. 302.6
[7] Presse vom 20.1.97 (Inserate); TA, 29.11.96.7
[8] BZ, 30.4.96; Bund, 20.5.96.8
[9] BZ, 4.1.97.9
[10] Presse vom 3.1., 4.1. (NLZ), 27.1. (Luzern heute) und 23.8.96 (Zuger Presse). Vgl. auch SPJ 1995, S. 303 f.10
[13] BüZ, 17.9., 18.9. und 31.12.96; NZZ, 17.9.96; WoZ, 20.9.96.13
[14] BüZ und NZZ, 6.11.96. Vgl. SPJ 1995, S. 304 f. "Fögl Ladin": BüZ, 21.11. und 17.12.96. Zu einer romanischen Nachrichtenagentur siehe weiter unten, Agenturen.14
[15] Zu Express/Impartial: Presse vom 8.6. und 6.11.96. Zu NQ/JdG: NQ, 6.12.96; TA, 7.12.96.15
[16] Lib, 14.6., 17.6. und 12.12.96; Klartext, 1996, Nr. 3, S. 28 f.16
[17] Presse vom 1.6.96. Die "Winterthurer AZ" wird sich ab 1997 neu "Stadtblatt" nennen (NZZ, 30.11.96).17
[18] CdT, 30.10.96.18
[19] NZZ und JdG, 2.12.96. Siehe unten, Teil II, 6f.19
[20] NZZ, 24.5.96; BüZ, 18.10. und 7.11.96; WoZ, 8.11. und 20.12.96. Vgl. SPJ 1995, S. 304 f.20