Année politique Suisse 1997 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Grüne Partei (GP)
Hanspeter Thür (AG) gab nach nur zwei Jahren im Amt seinen Rücktritt als Parteipräsident bekannt. Danach brach ein Disput um die politische Ausrichtung der Partei aus. Exponenten der Zürcher Kantonalpartei warfen der "Realo-Fraktion" um die nationalen Parlamentsmitglieder, zu denen auch Thür gehört, vor, die nur noch "etwas neoliberalere und konservativere Variante der Sozialdemokratie" zu sein. Die Grünen müssten wieder "zur apokalyptischen Kritik der Moderne zurückfinden". Ein ideologischer Bruch zwischen einer Mehrheit der Zürcher und der gesamtschweizerischen Partei hatte sich bereits 1992 abgezeichnet, als die nationale Parteileitung und die Mehrheit der Nationalratsfraktion den EU-Beitritt zu befürworten begann. Auch das Bemühen der nationalen Partei um eine realisierbare Neat schien den Zürchern nach der früheren Neat-Ablehnung unglaubwürdig. Im Juli sistierte die Zürcher Regierungsrätin und frühere GPS-Präsidentin Verena Diener ihre Parteimitgliedschaft bei der Kantonalpartei, um die Frage über Zustand und Stil der Zürcher Sektion aufzuwerfen [30].
Mit hauchdünner Mehrheit nominierte der Parteivorstand überraschend die auf nationaler Ebene unbekannte Baselbieter Landrätin Esther Maag zur Nachfolgerin Thürs. Der ebenfalls kandidierende Berner Nationalrat und Biobauer Ruedi Baumann, dem insbesondere von der Zürcher Sektion die Etikette des "Berner Establishments" angehängt wurde, und der Tessiner Werner Nussbaumer hatten das Nachsehen. Bei der Delegiertenversammlung Ende Oktober setzten die Grünen dann aber doch auf eine pragmatische Politik und wählten Ruedi Baumann mit 64 von 108 Stimmen klar zum neuen Präsidenten. Baumann sprach sich für eine bauern- und umweltverträgliche Landwirtschaftspolitik und auch für einen prononciert proeuropäischen Kurs aus. Der härteste Opponent Baumanns, Felix Müller, trat von seinem Amt als Präsident der Zürcher Grünen zurück, um den Konflikt um die Parteiausrichtung zu entkrampfen [31].
An einer Delegiertenversammlung zur Zukunft des Sozialstaats wurde der Parteivorstand beauftragt, eine Volksinitiative für ein existenzsicherndes Grundeinkommen auszuarbeiten. Damit reagierte die GPS einerseits auf eine im Berichtsjahr erschienene Armutsstudie, andererseits auf die zunehmende Überforderung der Städte mit ihren Fürsorgeleistungen. Die Existenzsicherung müsse von der Erwerbsarbeit abgekoppelt und als Bundesaufgabe etabliert werden. Als zusätzliche Finanzierungsquelle wurde eine eidgenössische Schenkungs- und Erbschaftssteuer vorgeschlagen. Die Delegierten beschlossen ferner, die Volksinitiative zur "gerechten Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit" der Gesellschaft für gerechte Arbeitsverteilung aktiv zu unterstützen [32].
Bezüglich der bilateralen Verhandlungen der Schweiz mit der EU pochten die Grünen auf eine harte Haltung der Schweiz und die konsequente Umsetzung der Alpeninitiative. Andernfalls drohten sie mit dem Referendum. In einer Petition "gegen die Zulassung von 44-Tönnern in der Schweiz" kritisierten sie den Bundesrat, der auf dem Verordnungsweg die Radialzonen um die Huckepack-Bahnhöfe, in denen die 28-Tonnen-Limite nicht gilt, von 10 auf 30 Kilometer ausgedehnt hatte [33].
Weiter forderte die Partei in Hinblick auf die Öffnung des Strommarktes in Europa eine Neuordnung der Elektrizitätswirtschaft und schlug die Einrichtung einer staatlich kontrollierten Strombörse vor, deren Hauptaufgabe die Bündelung der Gesamtnachfrage der Stromverbraucher wäre. Vorrang hätte die umweltfreundliche Stromerzeugung [34].
Auf Antrag der Freien Grünen Baselbiet verabschiedeten die Grünen eine Resolution gegen Gentech-Lebensmittel und riefen zum Kaufboykott von Nestlé-Produkten auf, solange diese nicht explizit auf die Lancierung von genmanipulierten Lebensmitteln verzichtet [35].
Mit Thomas Merkli (BE) wurde erstmals ein Vertreter der Grünen ans Bundesgericht gewählt [36].
Bei den kantonalen Wahlen verloren die Grünen in Solothurn zwei Sitze und im Aargau einen Sitz, konnten in Genf aber zwei dazugewinnen. Überraschend konnten sie in Genf mit Robert Cramer ausserdem erstmals in die Regierung einziehen. Damit ist die GP gesamtschweizerisch in drei Exekutiven (GE, VD und ZH) vertreten.
 
[30] Rücktritt: Presse vom 26.5.97. Zum Parteidisput: TA, 7.6.97; SoZ, 6.7.97; NZZ, 7.7.97; TW, 4.9. und 5.9.97.30
[31] Presse vom 15.9. (Nomination) und 27.10.97 (Wahl); NZZ, 28.10.97 (Müller).31
[32] Presse vom 3.2.97.32
[33] Presse vom 1.9.97.33
[34] Presse vom 22.10.97. Vgl. das GPS-Positionspapier, Die Öffnung des Strommarktes in der Schweiz, Bern 1997.34
[35] Presse vom 3.2.97.35
[36] SGT, 19.6.97.36