Année politique Suisse 1997 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique
Staatsschutz
Bei dem als indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative "SoS. Schweiz ohne Schnüffelpolizei" konzipierten
Bundesgesetz über die Wahrung der inneren Sicherheit konnte die letzte Runde der Differenzbereinigung abgeschlossen werden. In der Frage des Einbezugs des organisierten Verbrechens übernahm der Ständerat einen in der Zwischenzeit von Bundesrat Koller ausgearbeiteten Kompromissvorschlag. Dieser sieht vor, dass die Bundespolizei ihre Erkenntnisse über organisiertes Verbrechen, die sie beispielsweise im Rahmen der Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten gewinnt, den kriminalpolizeilichen Zentralstellen mitteilen darf. Für die Ermittlung selbst bleiben aber ausschliesslich letztere und die kantonalen Polizeikorps zuständig. Der Nationalrat war damit grundsätzlich einverstanden, wollte diese Tätigkeit der Bundespolizei zunächst aber auf ein reines Weiterleiten der von ausländischen Nachrichtendiensten erhaltenen Informationen beschränken. Bundesrat Koller hatte vergeblich damit argumentiert, dass aus Gründen des Quellenschutzes ein direktes Weiterleiten von Geheimdienstinformationen nicht praktikabel sei; die Konsequenz davon wäre der Ausschluss der schweizerischen Stellen vom internationalen Nachrichtenaustausch. In der Einigungskonferenz unterlag dann aber der Nationalrat. In der Schlussabstimmung stimmten die Grünen und die SP gegen das neue Gesetz. Sie kritisierten, dass man aus dem sogenannten Fichenskandal nichts gelernt, sondern bloss "das Überwachungssystem perfektioniert" habe
[15].
Das hinter der SoS-Volksinitiative stehende Komitee "Schluss mit dem Schnüffelstaat" ergriff, wie bereits im Vorjahr angekündigt, gegen das neue Gesetz das
Referendum. Obwohl es von der SP, der GPS, der PdA, dem Gewerkschaftsbund, den Demokratischen Juristen und weiteren Organisationen Unterstützung erhielt, gelang es ihm nicht, die erforderlichen Unterschriften beizubringen. Nach mehreren Nachkontrollen stellte die Bundeskanzlei fest, dass auch bei grosszügiger Auslegung der Bestimmungen über Fristen und Stimmrechtsbescheinigungen höchstens 49 696 gültige Unterschriften zusammengekommen waren
[16].
Der Ständerat stimmte einer Motion Frick (cvp, SZ) zu, welche den Bundesrat mit der Schaffung eines
zentralen strategischen Nachrichtendienstes beauftragt. Dieses Organ soll insbesondere die sicherheitspolitische Lage der Schweiz analysieren (auch im Hinblick auf die Bedrohung durch gesellschaftspolitische Entwicklungen, Terrorismus, organisiertes Verbrechen und Immigrationsbewegungen)
[17].
Die Rechtskommission des Nationalrats verabschiedete in Ausführung einer 1996 gegen den Widerstand der Linken überwiesenen parlamentarischen Initiative Frey (svp, ZH) einen Beschluss für die Erforschung der Beziehungen der Schweiz und ihrer Bewohner zum
Staatssicherheitsdienst (Stasi) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Die Kommission für Rechtsfragen war zum Schluss gekommen, dass einzig eine historische Aufarbeitung durch vom Staat unabhängige Personen oder Institutionen in Frage kommt. Nur damit sei es überhaupt möglich, vor Ablauf der Sperrfristen Zugang zu den deutschen Archiven zu erhalten. Aus demselben Grund sei explizit darauf zu verzichten, die Ergebnisse dieser Forschung später als Beweismittel in allfälligen strafrechtlichen Verfahren zu verwenden. Der von der Kommission dem Parlament vorgeschlagene Bundesbeschluss zur Untersuchung des Verhältnisses der Schweiz zur ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik lehnt sich, insbesondere was das Verbot der Aktenvernichtung, die Verpflichtung zu Auskunftserteilung und die Wahrung des Amtsgeheimnisses betrifft, stark an den Bundesbeschluss vom Dezember 1996 über die Aufarbeitung der Weltkriegsgeschichte (Kommission Bergier) an. Im Gegensatz zu den Intentionen der Initiative sollen dabei nicht nur die politischen und nachrichtendienstlichen, sondern auch die wirtschaftlichen Beziehungen ausgeleuchtet werden
[18].
Mehrfach unter Beschuss geriet Bundesanwältin Carla del Ponte. So löste eine
Telefonüberwachungsaktion gegen verschiedene Journalisten, welche sie veranlasst hatte, um Urhebern von Amtsgeheimnisverletzungen auf die Spur zu kommen, heftige Proteste der Medien aus. Bundesrat Koller verzichtete - mit dem Argument der Gewaltentrennung - zwar auf Massnahmen gegen die eifrige Beamtin, äusserte aber die Meinung, dass er solche Aktionen für unverhältnismässig erachte
[19]. Umstritten war auch die Informationspraxis der Bundesanwaltschaft. Der Nationalrat überwies ein Postulat seiner GPK, welches eine klare Koordination und Abgrenzung zwischen der Informationstätigkeit der Verwaltung einerseits und der Strafverfolgungsbehörden andererseits verlangt
[20].
[15]
Amtl. Bull. StR, 1997, S. 137 ff. und 342;
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 319 ff. und 619;
BBl, 1997, II, S. 586 ff. Siehe
SPJ 1996, S. 23 f. Zum Kompromissvorschlag siehe auch
TA, 11.5.97.15
[16] Presse vom 11.4.97 (Lancierung);
TA, 26.6. (ganzseitiges Inserat der SP) und 8.7.97 (Einreichung);
BBl, 1997, IV, S. 1627 ff. und
NZZ, 18.8.97 (Auszählung). Zur Referendumsdrohung siehe
SPJ 1996, S. 24.16
[17]
Amtl. Bull. StR, 1997, S. 823 ff.17
[18]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 965 ff. (pa. Iv. Frey);
BBl, 1998, S. 2363 ff.;
TA, 19.11.97. Zum Auftrag der Bergier-Kommission siehe
SPJ 1996, S. 121 ff.18
[19]
SonntagsBlick, 23.2.97; Presse vom 24.2. und 25.2.97. Vgl. auch die Interpellation Berberat (sp, NE) in
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2292 f.19
[20]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2230. Vgl. unten, Teil I, 8c (Medienpolitische Grundfragen).20
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