Année politique Suisse 1997 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires
Parlament
Die Staatspolitischen Kommissionen (SPK) beider Parlamentskammern möchten die Totalrevision der Bundesverfassung nutzen, um auch die Beziehungen zwischen Regierung und Parlament teilweise neu zu ordnen. Ihr am 6. März verabschiedeter Zusatzbericht schlägt gewisse Kompetenzverschiebungen zugunsten der Bundesversammlung sowie einige Neuerungen bei der Organisation der parlamentarischen Arbeit vor. Die wohl bedeutendste der beantragten Kompetenzverschiebungen betrifft die Aussenpolitik. Hier soll in Zukunft nicht mehr die Regierung, sondern das Parlament die wichtigen Zielsetzungen beschliessen. Im weiteren soll die bereits bestehende Praxis, dass das Parlament über wichtige Bundesprojekte entscheiden und bei der allgemeinen politischen Planung mitwirken kann, verfassungsmässig abgesichert werden. Mehr Mitwirkungsrechte sieht der Entwurf auch beim Erlass von Verordnungen vor. Das Parlament soll das Recht erhalten, das vom Bundesrat dabei anzuwendende Verfahren gesetzlich vorzugeben. Verordnungen, die sich nicht auf Gesetze, sondern direkt auf den Verfassungsauftrag (Schutz der Landesinteressen sowie der inneren und äusseren Sicherheit) stützen, müssten gemäss Kommissionsentwurf nachträglich vom Parlament genehmigt werden. Als weitere Neuerung schlugen die Kommissionen vor, die in den beiden Räten nicht gleich gehandhabte Anwendung der verbindlichen Aufträge an den Bundesrat in der Form von Motionen zu klären. Bisher hatte der Bundesrat oft Motionen aus formellen Gründen als sogenannt unechte Motionen bekämpft, weil sie seine eigenen oder an ihn delegierte Kompetenzbereiche betrafen. Der Ständerat hatte für diese Fälle 1986 anstelle der Motion das Instrument der Empfehlung eingeführt, sich in der Praxis allerdings nicht immer daran gehalten. Neu soll nun - als Alternative oder als Ergänzung zur Motion - das neue Instrument des Auftrags geschaffen werden. Für den Kompetenzbereich des Parlaments wäre ein derartiger Auftrag wie die bisherigen Motionen verbindlich; für den Kompetenzbereich der Regierung oder an sie delegierte Bereiche käme ihm der Charakter einer Richtlinie zu. Für Leistungsaufträge im Rahmen der Verwaltungsführung nach den Prinzipien des NPM hat das Parlament diese Neuerung im Berichtsjahr bereits eingeführt (siehe dazu oben, Regierung).
Im Bereich der Parlamentsorganisation sieht der Entwurf vor, dass die Ratspräsidien durch die Wahl eines zweiten Vizepräsidenten gestärkt, und die Parlamentsdienste vollständig, das heisst auch administrativ, der Bundesversammlung unterstellt werden. Die parlamentarischen Kommissionen sollen aufgewertet werden, indem ihnen gewisse Entscheidkompetenzen übertragen werden. Gedacht wird dabei an Beschlüsse im Zusammenhang mit der administrativen Parlamentsorganisation, aber auch der parlamentarischen Oberaufsicht (z.B. Genehmigung des Geschäftsberichtes), hingegen nicht an die Gesetzgebung.
Schliesslich nahm der Vorschlag der SPK auch zwei alte Anliegen auf: Erstens sollen die
Wählbarkeitskriterien für die Bundesversammlung flexibler und für beide Räte gleich gestaltet werden. In Zukunft soll nur noch Personen, die an den Entscheidungsprozessen der Regierung beteiligt sind, die Ausübung eines Parlamentsmandats verwehrt sein. Die generelle Inkompatibilität eines Nationalratsmandats mit einer Bundesbeamtenstelle - und auch mit einem geistlichen Amt - würde damit aufgehoben. Zweitens möchte die Reform eine
Ombudsstelle für den Verkehr der Bürger mit der Verwaltung schaffen. Ein entsprechender Vorstoss war 1994 vom Nationalrat als überflüssig abgelehnt worden
[45].
Der
Bundesrat sprach sich dafür aus, diese Vorschläge - soweit sie materielle Änderungen bewirken - nicht im Rahmen der Verfassungsnachführung zu behandeln, sondern in ein
neues Reformpaket "Staatsleitung", das sich auch mit der Organisation der Regierung befassen soll, einzupacken. Dieses möchte er dem Parlament im Sommer 1999 präsentieren. Zu den die Beziehungen zwischen Regierung und Parlament regelnden konkreten Anträgen der Kommissionen äusserte er sich vorwiegend skeptisch, da sie seiner Meinung nach die Gewaltentrennung auflockern und die Kompetenz und Glaubwürdigkeit der Exekutive beeinträchtigen würden
[46].
Die ständerätliche Verfassungskommission hielt sich an diesen Ratschlag des Bundesrates. Die
nationalrätliche Kommission erachtete hingegen dieses Tempo als ungenügend und nahm mit Ausnahme der gesetzlichen Regelung des Verfahrens beim Erlass von Verordnungen alle oben erwähnten Vorschläge der SPK bereits in ihren Beschluss über die Verfassungsnachführung auf
[47].
Die auf eine Anregung von Herczog (sp, ZH) zur Belebung der Nationalratsdebatten vom Ratsbüro versuchsweise für ein Jahr eingeführte förmliche
Zwischenfrage - konkret eine kurze Frage nach einem Votum - erlebte in der Frühjahrssession ihre Premiere. Zwar scheiterte der erste Anlauf, indem der Votant die Frage nicht zuliess; insgesamt wurden aber in dieser Session 18 Zwischenfragen gestellt
[48].
Das Parlament verabschiedete nach langwieriger Differenzbereinigung eine Teilrevision des Geschäftsverkehrsgesetzes, welche die
Rechtsstellung der von PUK-Ermittlungen Betroffenen verbessert. Die Vorlage war 1995 von Bonny (fdp, BE) mit einer parlamentarischen Initiative initiiert worden
[49].
In Zusammenhang mit den Untersuchungen des Parlaments über Organisations- und Führungsprobleme bei der Pensionskasse des Bundes (PKB) hatte der Ständerat im Vorjahr einer parlamentarischen Initiative der PUK PKB zugestimmt, welche eine
uneingeschränkte Wiederwählbarkeit der Mitglieder der Geschäftsprüfungs- und der Finanzkommission des Ständerats forderte. Mit diesem Verzicht auf die vom Ständeratsreglement vorgeschriebene Amtszeitbeschränkung von sechs Jahren könnte gemäss den Antragstellern die gerade im Bereich der Oberaufsicht erforderliche Kontinuität gewährleistet werden. Das Büro des Ständerates empfahl dem Rat nun - analog zu den vom Nationalrat 1991 eingeführten Verhältnissen - die Aufhebung der Amtszeitbeschränkung für alle ständigen Kommissionen. Trotz der Kritik von Cavadini (lp, NE), dass damit einer unerwünschten Spezialisierung der Ratsmitglieder Vorschub geleistet werde, hiess das Ratsplenum diese Neuerung mit 26 zu 7 Stimmen gut
[50].
Für Nationalrat Gross (sp, ZH) wäre die Durchführung
öffentlicher Hearings mit Experten ein Mittel, um das Interesse der Öffentlichkeit an den parlamentarischen Geschäften zu wecken und die Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger bereits vor den Parlamentsentscheiden zu fördern. Seine parlamentarische Initiative, die forderte, dass qualifizierte Ratsminderheiten die Durchführung solcher Veranstaltungen zwischen den Sessionen im Nationalratssaal verlangen können, wurde auf Antrag der Mehrheit der SPK mit 71 zu 58 Stimmen abgelehnt
[51].
[45]
BBl, 1997, III, S. 245 ff. Zum Antrag der SPK-NR für die Einführung eines Misstrauensvotums siehe oben, Regierung. Vgl. auch
SPJ 1986, S. 23 (unechte Motionen) und
1994, S. 37 (Ombudsstelle), sowie oben, Teil I, 1a (Totalrevision der Bundesverfassung).45
[46]
BBl, 1997, III, S. 1484 ff. Siehe auch oben, Regierung sowie Teil I, 1a (Totalrevision der Bundesverfassung).46
[47]
BBl, 1998, S. 417 und 419;
NZZ, 11.7.97.47
[48]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 47;
24 Heures, 15.2.97;
Bund, 22.3.97. Vgl.
SPJ 1995, S. 38.48
[49]
Amtl. Bull. StR, 1997, S. 232 ff., 568 f., 822 und 1023;
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 957 f., 1656 f. und 2325 f.;
BBl, 1997, IV, S. 780 f. Vgl.
SPJ 1995, S. 38 f.49
[50]
BBl, 1997, III, S. 1334 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1997, S. 515 f. und 710. Zur PUK PKB siehe
SPJ 1996, S. 35 f.50
[51]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2629 ff.51
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