Année politique Suisse 1997 : Politique sociale / Population et travail
 
Arbeitswelt
Der auf der Volkszählung von 1990 beruhende Strukturatlas der Schweiz zeigte unter anderem sehr deutlich die ständig zunehmende Mobilität der Arbeitnehmer in der Schweiz. 1970 arbeiteten zwei Drittel der Erwerbstätigen an ihrem Wohnort, 1990 nur noch die Hälfte. In manchen Regionen (Zürich, Tessin, Aargau) pendelten gar 75% der Arbeitnehmer. Die Grossagglomerationen überwuchern Kantonsgrenzen und streben im Fall Basel, Tessin und Genf sogar ins Ausland, womit sie bereits heute zu den grösseren europäischen Regionen gehören. Gemäss den Autoren bestehen in der Schweiz eigentlich nur mehr zwei Zentren, das Genferseebecken und Zürich. Einen Hinweis darauf geben Volkseinkommen oder Arbeitsplatzentwicklung. Die Regionen, die zu weit weg von Zürich liegen - so etwa Bern und Solothurn -, erfuhren in den letzten zehn Jahren ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten, während die Zürich zugewandten Orte der Ost- und Zentralschweiz aufholten bezw. in der ersten Reihe blieben [3].
Gemäss den neuesten Ergebnissen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) des Bundesamtes für Statistik (BFS) nahm die Anzahl der Selbständigerwerbenden seit 1991 kontinuierlich zu. Zwischen 1991 und 1997 erhöhte sich ihr Anteil von 15,2% auf 18,4%. Der Zuwachs war sehr unterschiedlich auf die Branchen und die Berufsgruppen verteilt. Im Vergleich zu 1991 vergrösserte er sich insbesondere bei "sonstige Dienstleistungen" und bei "Immobilien, Vermietung, Informatik". Mehr Selbständigerwerbende verzeichneten auch die höherqualifizierten Berufsgruppen der Führungskräfte und der Akademiker [4].
Mit der SAKE wurden zum ersten Mal auch die unbezahlte Arbeit im eigenen Haushalt und die Freiwilligenarbeit in Institutionen oder Organisationen vertieft erfasst. Erste Analysen zur unbezahlten Arbeit zeigten, dass in 91,4% der Paarhaushalte mit Kindern unter 15 Jahren die Verantwortung für die Haushaltsarbeit bei der Frau lag. In 7,0% waren mehrere Personen des Haushalts dafür zuständig und in 1,1% bzw. 0,6% war es der Mann oder eine externe Person. In Paarhaushalten ohne Kinder unter 15 Jahren war die Verteilung etwas ausgeglichener: Hier lag die Hauptverantwortung in 77,5% der Fälle bei der Frau, in 18,4% teilten sich Mann und Frau die Verantwortung, und in 3,3% lag sie beim Mann. Gut jede vierte Person war ehrenamtlich oder freiwillig in einer Institution oder Organisation tätig, wobei das Engagement der Männer (32,1%) bei dieser Art der unbezahlten Arbeit deutlich über jenem der Frauen (21,2%) lag. Beinahe die Hälfte dieser Freiwilligenarbeit wurde für sportliche oder kulturelle Vereine geleistet. Auf kirchliche Institutionen, sozial-karitative Organisationen, Interessenverbände und politische Ämter oder öffentliche Dienste entfielen jeweils zwischen 10% und 17% [5].
Alle sollen Arbeit haben, um ihren Lebensunterhalt verdienen zu können; alle sollen sich aber auch an jener Arbeit beteiligen, die nicht mit Geld entschädigt wird. Dies will die Gesellschaft für gerechte Arbeitsverteilung (GeGAV) mit einer Volksinitiative "Arbeitsverteilung" erreichen, welche sie Anfang September lancierte. Im Zentrum des Begehrens stehen zwei Forderungen: Alle Frauen und Männer im erwerbsfähigen Alter sollen ihren Lebensunterhalt durch eine bezahlte Arbeit zu angemessenen Bedingungen bestreiten können. Damit die Arbeit auch wirklich auf alle Hände verteilt werden kann, sollen die Arbeitszeiten verkürzt und neue Formen der Arbeitsverteilung gefördert werden. Gesellschaftlich notwendige Nichterwerbsarbeit wie etwa die Kinderbetreuung oder die im Dienste der Allgemeinheit geleistete Arbeit sollen gleichmässig zwischen den Geschlechtern verteilt werden, wobei die Initiative betont offen formuliert ist, da sie nicht mit Zwang, sondern mit Motivierung arbeiten will. Als weiteren Punkt verlangt das Begehren angemessene berufliche Weiterbildung und Umschulungsmöglichkeiten für alle Personen im erwerbsfähigen Alter. Neben dem klar gleichstellungspolitischen Aspekt ist das Hauptziel die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Initiative wurde in einer ersten Phase unter anderem von der SP und den Grünen sowie dem Christlichnationalen Gewerkschaftsbund unterstützt [6].
Viele Schweizerinnen und Schweizer finden ihre Arbeit zwar interessant, wollen es aber nicht so weit kommen lassen, dass sie ihr übriges Leben stört. Das ergab eine Univox-Umfrage zum Thema Berufsarbeit. Rund die Hälfte der Befragten sprach sich für ein pluralistisches Lebensmodell aus, in dem neben der Arbeit auch andere Werte eine vergleichbare oder sogar noch höhere Bedeutung haben. Die Forscher wollten auch wissen, welche Arbeitswerte die Erwerbstätigen für besonders wichtig halten und welchen sie eine eher untergeordnete Bedeutung zumessen. Die Ergebnisse der Untersuchung machten deutlich, dass den Arbeitnehmern sehr an einer freundlichen Betriebsatmosphäre und an guten zwischenmenschlichen Beziehungen gelegen ist. So sind ihnen gute Arbeitskollegen, verständige Vorgesetzte und Anerkennung wichtiger als beispielsweise ein guter Verdienst oder gute Aufstiegsmöglichkeiten. Grossen Wert legen sie auch auf eine interessante Arbeit und auf die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Wenig gefragt sind hingegen Gruppenarbeit und eine straffe Führung [7].
 
[3] Lit. Schuler et al.3
[4] Die Volkswirtschaft, 71/1998, Nr. 1, S. 46.4
[5] Die Volkswirtschaft, 71/1998, Nr. 2, S. 61.5
[6] BBl, 1997, IV, S. 365 ff.; TA, 12.9.97. Siehe auch unten, Teil I, 7d (Frauen).6
[7] TA, 27.6.97.7