Année politique Suisse 1997 : Politique sociale / Population et travail
 
Löhne
Gemäss einer Studie eines deutschen Wirtschaftsinstituts hat die Schweiz in der verarbeitenden Industrie die zweithöchsten Lohnkosten der Welt hinter Westdeutschland. Der direkte Entgelt, den die Schweizer Industriearbeiter mit durchschnittlichen Fr. 23.65 pro Stunde erhalten, fällt unter den 18 untersuchten Industrieländern ebenfalls am zweithöchsten aus (nach Dänemark mit 25.60 Fr.). Hinter Westdeutschland und der Schweiz folgen in der Rangliste der Länder mit den teuersten Arbeitskosten Norwegen, Belgien, Dänemark und Österreich. Die Studie widerlegte allerdings auch die oft vorgebrachte Behauptung, wonach die Lohnnebenkosten in der Schweiz im europäischen Vergleich besonders hoch seien. Während die Lohnnebenkosten in Westdeutschland etwa 45% der Arbeitskosten ausmachen, sind es in der Schweiz nur 34%. Einen noch höheren Anteil als Deutschland haben die anderen Nachbarländer der Schweiz: In Frankreich betragen die Lohnnebenkosten 48%, während dieser Anteil in Österreich leicht unter und in Italien knapp über 50% liegt [19].
Nach den Berechnungen des Bundesamtes für Statistik (BFS) stieg der Nominallohnindex im Berichtsjahr um 0,5% gegenüber dem Vorjahr und erreichte 104,6 Punkte (1993: 100 Punkte). 1994 war der Nominallohn um 1,5%, 1995 und 1996 um je 1,3% gestiegen. Nach Abzug der Teuerung von 0,5% stagnierten die Reallöhne 1997 verglichen mit dem Vorjahr. Unter dem Strich ergibt sich damit nach einem Rückgang um 0,5% 1995 und einer Zunahme um ebenfalls 0,5% 1996 ein seit drei Jahren unverändertes Reallohnniveau [20].
Die Lohnrunde 1998 ging trotz wirtschaftlichen Lichtblicken ohne grosse Illusionen über die Bühne. Die gesamte Lohnsumme dürfte nach den Erwartungen der Konjunkturexperten um rund 1% gestiegen sein. Verlierer war einmal mehr das Staatspersonal, das in vielen Kantonen Abstriche hinnehmen musste. 15 Kantone beschlossen Lohnkürzungen zwischen 1% und 3%, nur gerade vier Kantone glichen die Teuerung aus. Gemäss Schweizerischem Gewerkschaftsbund (SGB) erhielt eine Mehrzahl der von ihr vertretenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wenigstens die Teuerung ausgeglichen. Offen blieb die Lohnrunde in der Uhren- sowie der Maschinenindustrie. Die chemische Industrie gewährte im Durchschnitt Lohnsteigerungen von 1,3% bis 2%, die Banken und Versicherungen 1,5% bis 2%. Das Bundespersonal ging knapp an einem generellen Lohnabbau vorbei.
Wie eine Untersuchung des BFS zeigte, privilegiert das Entlöhnungssystem seit einigen Jahren eindeutig die individuelle Leistung zum Nachteil kollektiver Lohnanpassungen. Im Berichtsjahr wurden ungefähr zwei Drittel der über die Gesamtarbeitsverträge geregelten durchschnittlichen nominalen Effektivlohneröhungen nur zu einem Teil der Arbeitnehmenden nach dem Leistungsprinzip gewährt. Die Tendenz zu einer stärkeren Individualisierung zeichnete sich auch auf einer anderen Ebene ab. Wie das Beispiel der Banken und der chemischen Industrie in den Vorjahren gezeigt hat, verlagern sich die Lohnverhandlungen immer mehr in die einzelnen Unternehmen hinein [22]. (Siehe auch unten, Gesamtarbeitsverträge).
Das Bundesgericht stützte die Rechte der Ausländer im Lohnbereich. Ausgehend von der Klage einer portugiesischen Hotelangestellten, die 1994 erheblich weniger Lohn erhalten hatte als in der Saisonnierbewilligung vorgesehen, befand es, ausländische Arbeitskräfte hätten durchaus das Recht, sich bei Lohnstreitigkeiten auf die bundesrätliche Verordnung über die Begrenzung der Zahl der Ausländer zu berufen, welche die Bewilligung davon abhängig macht, dass der Arbeitgeber dem Ausländer die gleichen orts- und branchenüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen bietet wie den Schweizern [23].
 
[19] Presse vom 22.7.97.19
[20] Die Volkswirtschaft, 71/1998, Nr. 6, S. 39. Siehe SPJ 1996, S. 227.20
[22] Die Volkswirtschaft, 70/1997, Nr. 11, S. 47. Vor allem in der chemischen Industrie verfestigte sich der Trend, an Stelle von generellen Lohnerhöhungen eine Erfolgsbeteiligung auszurichten oder Mitarbeiteraktien anzubieten (NLZ, 18.10.97; SoZ, 19.10.97; BaZ und Bund, 28.11.97). Siehe auch SPJ 1992, S. 204 (Banken) und 1995, S. 223 f. (chemische Industrie).22
[23] JdG, 16.10.97.23