Année politique Suisse 1997 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
print
Kostenentwicklung
Eines der Ziele des neuen Krankenversicherungsgesetzes ist, mehr Transparenz in die Kostenstrukturen des Schweizer Gesundheitswesens zu bringen, weshalb die Erarbeitung statistischer Daten in Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten (Konkordat der Krankenkassen, Kantone, Bund) intensiviert werden soll. Eine Westschweizer Studie schloss aufgrund der vorliegenden Daten, dass das bereits seit langem beobachtete Gefälle zwischen der "billigen" Ostschweiz und der "teuren" Romandie auch von einem markanten Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Regionen überlagert wird. Im stationären Bereich liegt Basel-Stadt mit Abstand an der Spitze, gefolgt von Neuenburg und Genf. Besonders eklatant sind die Unterschiede aber im ambulanten Bereich. Hier liegen in Genf die Kosten pro Versicherten 60% und in Basel-Stadt 40% über dem nationalen Durchschnitt, während sie im Kanton Luzern 25% darunter liegen; Bern und Zürich entsprechen ungefähr dem Mittel. Das hat nicht nur mit der grösseren Ärztedichte in den Stadtkantonen zu tun, sondern auch mit den unterschiedlichen Arzthonoraren, welche in Luzern um 30% unter und in Genf um 100% über dem nationalen Durchschnitt liegen [5].
Eine aus Vertretern von Konsumenten, Versicherern und Privatspitälern bestehende "Arbeitsgruppe Schweizer Gesundheitswesen" stellte zu Beginn des Jahres einen Bericht mit Empfehlungen zur Kosteneindämmung vor. Nach ihren Vorstellungen könnten innerhalb von zwei Jahren 10 Mia Fr. eingespart und damit die Krankenkassenprämien um rund 30% gesenkt werden. Als einschneidendste Massnahme schlugen sie die Aufhebung der Subventionen an die öffentlichen Spitäler vor, damit diese, analog zu den privaten Kliniken gezwungen würden, ihren Betrieb nach marktwirtschaftlichen Kriterien zu führen. Weiter verlangten sie eine Zwangspensionierung aller Ärzte, die älter als 65 Jahre sind [6].
Die CVP stellte einen Massnahmenkatalog ähnlichen Inhalts vor. Demnach soll das Spitalwesen weitgehend von den Kantonen abgekoppelt und die Spitalsubventionen in Fallsubventionen umgewandelt werden, um die Spitäler zu mehr unternehmerischem Denken zu motivieren. Weiter verlangte sie eine Plafonierung der Ärztedichte und der Arzthonorare. Zum Medizinstudium sollen nur noch Personen zugelassen werden, welche vorgängig mit Erfolg ein Jahr lang in einer pflegerischen Tätigkeit gearbeitet haben [7]. Die SVP plädierte für einen Verzicht auf den weiteren Ausbau des Grundleistungskatalogs der Krankenkassen und für ein Moratorium bei der Zulassung neuer Leistungserbringer. Auch wollte sie vermehrt an die Eigenverantwortung der Versicherten appellieren und dafür die jährliche Franchise auf mindestens 600 Fr. erhöhen [8].
Als wichtigste Sofortmassnahme zur Eindämmung der Kostensteigerung schlug eine Arbeitsgruppe der SP die Einführung von befristeten Globalbudgets vor, solange die jährliche Zunahme der Gesundheitskosten über dem Wachstum der allgemeinen Lohn- und Preisentwicklung liegt. Dabei würden die Leistungserbringer, für die der Bund ein bestimmtes Vergütungsvolumen festlegt, gemeinsam die Aufteilung des Gesamtbetrages regeln und die Auszahlung einer geeigneten Institution übertragen. In diesem Sinn reichte Nationalrat Cavalli (TI) eine Motion ein, welche als Postulat überwiesen wurde. Gemäss der SP sollte inskünftig die Zulassung von Ärzten von einem Bedarfsnachweis abhängig gemacht werden. Bei den Medikamenten müssten die Leistungserbringer verpflichtet werden, anstelle der teuren Originalpräparate die kostengünstigeren Generika abzugeben [9].
Mittelfristig möchte die SP die Gesundheitskosten durch einen ganzen Strauss von Massnahmen senken, welche sie im zweiten Teil der im November lancierten Volksinitiative "Gesundheit muss bezahlbar bleiben (Gesundheitsinitiative)" ausführte. Gegenüber dem heutigen Krankenversicherungsgesetz (KVG) soll der Bundesrat mit weitgehenden Kompetenzen ausgestattet werden. Er soll insbesondere die Spitzenmedizin regeln und die Gesundheitsplanungen der Kantone koordinieren, die Maximalpreise der in der obligatorischen Krankenversicherung erbrachten Leistungen unter Einschluss der Medikamente festlegen, Zulassungsbestimmungen für die Leistungserbringer erlassen und für eine wirksame Qualitätskontrolle sorgen. Werden übermässige Leistungsmengen erbracht, soll er nach Sparten und Regionen differenziert weitere Kostendämpfungsmassnahmen ergreifen [10].
Mit einer Motion forderte Nationalrat Gysin (sp, BS) den Bundesrat auf, darauf hinzuwirken, dass Eingriffe, die in Spitälern ambulant oder teilstationär erfolgen, den Leistungen im stationären Bereich gleichgestellt werden. Der Bundesrat hielt dem entgegen, dass eine kantonale Subventionierung des ambulanten Bereichs eine Ungleichbehandlung zu Lasten jener Eingriffe erzeugen würde, welche ambulant in Arztpraxen und nicht in Spitälern erfolgen. Ziel müsste in erster Linie eine bessere Koordination zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor im Rahmen eines subventionierten Spitals sein. Auf seinen Antrag hin wurde der Vorstoss als Postulat überwiesen [11].
Für weitere Vorstösse der Parteien und deren Repräsentanten im Bereich der Krankenversicherung siehe unten (Spitex und Medizinalpersonen) sowie Teil I, 7c (Krankenversicherung) und IIIa.
 
[5] JdG, 29.8.97. Zu allfälligen Massnahmen des Bundes zur Senkung der Gesundheitskosten siehe die Antwort des BR auf eine Interpellation Gross (sp, TG) in Amtl. Bull. NR, 1997, 2283 ff.5
[6] ASG, Aufruf zur Reform, Zürich 1997. Zu den Ergebnissen einer Umfrage unter Ärztinnen und Ärzten, zu welchen Einsparungsmassnahmen sie allenfalls bereit wären, siehe Presse vom 17.4.97.6
[7] Presse vom 27.5.97.7
[8] Presse vom 4.7.97. Siehe dazu unten (Medizinalpersonen) sowie unten, Teil I, 7c (Krankenversicherung).8
[9] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2206; Presse vom 28.5.97.
[10] BBl, 1997, IV, S. 1424 ff. Für den 1. Teil der Initiative siehe unten, Teil I, 7c, Krankenversicherung. Der CNG kündigte seinerseits an, eine Volksinitiative für eine obligatorische Taggeldversicherung lancieren zu wollen (Presse vom 10.11.97).10
[11] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 514 f. Siehe auch die Ausführungen des BR zu einer ähnlichen Interpellation Rochat (lp, VD) in Amtl. Bull. StR, 1997, S. 653 ff.11