Année politique Suisse 1997 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
Weil die Kosten im Spitex-Bereich seit dem Inkrafttreten des neuen KVG zum Teil unkontrolliert zugenommen haben, drängten die Krankenkassen und deren Vertreter im Parlament auf eine Beschränkung der Höchstlimite für den Bezug dieser Leistungen. Der Bundesrat schloss sich dieser Sichtweise an und nahm eine Verordnungsänderung vor, mit welcher pro Patient und Quartal ein
maximales Zeitbudget von 60 Stunden festgesetzt wird. Ist dieses aufgebraucht, muss in Zusammenarbeit von Arzt, Spitex-Organisation und Krankenversicherung neu abgeklärt werden, ob sich die Pflegemassnahme noch aufdrängt. Mit diesem Entscheid kam der Bundesrat einer vorläufig unterstützten parlamentarischen Initiative des designierten Verwaltungsratspräsidenten der Krankenkasse Visana, Nationalrat Rychen (svp, BE), entgegen, der ebenfalls eine Beschränkung auf 60 Stunden pro Quartal verlangte, eine Weiterführung aber nur in Härtefällen zulassen sowie - analog zu den Pflegeheimen - auch für die Spitex eine Klassifizierung der Pflegebedürftigkeit einführen wollte. Dieser letzten Forderung trug der Bundesrat insofern Rechnung, als er per 1998 den Kantonen
Höchstansätze für Spitex-Leistungen je nach Pflegebedürftigkeit und Umfeld der Patientinnen und Patienten empfahl (30 bis 65 Fr. pro Stunde). Damit soll den zum Teil exorbitanten Rechnungen gewinnorientierter Spitex-Anbieter der Riegel geschoben werden. Nicht folgen mochte der Bundesrat der Forderung des Initianten, auch Chronischkranke und Langzeitpatienten dem Zeitbudget zu unterstellen; ihnen sollen nach Ansicht des Bundesrates aus dieser Massnahme keine Nachteile erwachsen
[20].
Im Sommer protestierten schwerstbehinderte Menschen im Berner Kocherpark, welcher direkt gegenüber dem Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) liegt, drei Tage lang campierend gegen diesen Abbau der Spitex-Leistungen, der ihrer Ansicht nach dazu führt, dass viele
Invalide, die permanent auf fremde Hilfe angewiesen sind, ihr selbständigen Leben verlieren und in Pflegeheime eingewiesen werden. BSV-Direktor Piller versprach den Demonstranten bei einem Gespräch, die vorgesehene Beschränkung nicht auf behinderte Personen anzuwenden
[21].
Der von alt Nationalrätin Eva Segmüller (cvp, SG) präsidierte
Spitex-Verband Schweiz wandte sich in aller Deutlichkeit gegen den Vorwurf, Spitex verursache höhere Gesundheitskosten. Er verwies vielmehr darauf, dass von den im KVG vorgesehenen kostendämpfenden Massnahmen bis jetzt erst der Spitex-Bereich greife, während die Überkapazitäten im stationären Bereich nach wie vor nicht abgebaut seien. Der Spitex-Verband drohte mit dem Referendum, falls das Parlament tatsächlich einer starren Rationierung im Sinn der parlamentarischen Initiative Rychen zustimmen sollte, befürwortete aber Bedarfsabklärungen und Kontrollen im Sinn der neuen bundesrätlichen Verordnung
[22].
[20]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1430 ff. Siehe
Lit. Dreifuss;
TA, 25.2.97;
Bund, 5.3.97;
NZZ, 24.3.97; Presse vom 30.5., 17.6. und 18.9.97. Siehe dazu auch
generell
CHSS, 1997, Nr. 5 (mehrere Artikel zum Thema Langzeitpflege). Wegen mangelnder Transparenz in den Pflegeheimen erliess der BR auch für diesen Bereich Rahmentarife:
CHSS, 1997, S. 247. Siehe auch
SPJ 1996, S. 238.20
[21] Presse vom 16.-19.7.97.21
[22]
Bund, 28.8.97;
NZZ, 29.8., 30.8. und 4.12.97. Eine empirische Untersuchung des Konkordats der schweizerischen Krankenversicherer und des Spitex-Verbands Schweiz relativierte die von einzelnen Krankenversicherern vorgebrachten Zahlen; demnach wurden lediglich 23,2% der Spitex-Dienste zu Lasten der Krankenkassen geleistet. Eine Untersuchung des BSV zeigte, dass die von den Krankenversicherungen zu tragenden Spitex-Kosten im ersten Jahr des neuen KVG (1996) nicht angestiegen waren (
CHSS, 1998, S. 6).22
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