Année politique Suisse 1997 : Politique sociale / Groupes sociaux / Ausländerpolitik
print
Zulassungspolitik
Der Bundesrat beantragte dem Parlament, die 1995 von rechtsbürgerlichen Kreisen eingereichte Volksinitiative "für eine Regelung der Zuwanderung", welche den Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung auf 18% beschränken will, ohne Gegenvorschlag Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen. Bundespräsident Koller begründete die Haltung der Regierung vor allem mit aussenpolitischen Argumenten. Eine Annahme der Initiative würde möglicherweise das Abkommen mit der EU über den freien Personenverkehr in Frage stellen, was durchaus auch zu einer Schlechterstellung der Schweizer im Ausland führen könnte. Im weiteren gefährde die Initiative die Weiterführung der humanitären Flüchtlingspolitik. Er führte aber auch innenpolitische Motive an. Erstens habe sich aus den oben angeführten Gründen der Ausländeranteil in den letzten Jahren ohnehin bei rund 19% der Wohnbevölkerung eingependelt, womit das Ziel der Initiative mit einer geringfügigen Abweichung eigentlich erreicht sei. Eine rigorose Beschränkung auf einen gewissen Prozentsatz könnte auch dazu führen, dass der Wirtschaftsstandort Schweiz nicht mehr genügend Fachkräfte aus dem Ausland rekrutieren könnte, was der zunehmenden Globalisierung widerspreche. Internationale Konventionen wie das Dienstleistungsabkommen Gats müssten allenfalls aufgekündigt werden [4].
Die Volksinitiative der SD mit dem Titel "Masshalten bei der Einwanderung" kam knapp nicht zustande. Diese Initiative verlangte ein Migrationsgesetz mit dem Grundsatz, dass die jährliche Einwanderung das Ausmass der Auswanderung des Vorjahres nicht übersteigen darf. Durch Einbürgerungen hätte sich so der Ausländerbestand allmählich reduziert [5].
Zum zweiten Mal seit 1994 beschäftigte sich die Univox-Umfrage mit ausgewählten Aspekten des Verhältnisses zwischen schweizerischer und ausländischer Bevölkerung. Die Präsenz von ausländischen Personen aus den traditionellen Rekrutierungsländern für Fremdarbeiter (Italien, Spanien, Portugal) war 1997 ebenso unbestritten wie die Anwesenheit von Personen aus den Nachbarländern Frankreich, Deutschland und Österreich. Hingegen wurde die Präsenz von Menschen aus der Türkei und aus Ex-Jugoslawien mehrheitlich negativ wahrgenommen: Ausländerinnen und Ausländer aus der Türkei wurden von 28% der Befragten als "in der Schweiz eigentlich fehl am Platz" wahrgenommen, solche aus Serbien und Bosnien sogar von 40%. Der EU-Raum wird somit kulturell homogen positiv wahrgenommen und zugleich stark gegen den Rest der Welt abgegrenzt, besonders stark gegen die Arbeits- und Asyl-Immigration aus dem Balkan [6].
Das Bundesgericht stützte in einem weiteren Grundsatzurteil das Drei-Kreise-Modell. Es wies die Beschwerde eines jugoslawischen Saisonniers ab, der die Umwandlung in eine Jahresbewilligung zu spät beantragt hatte. Der seit zwei Jahren geltende Ausschluss fast aller Ex-Jugoslawen ohne Niederlassungs- oder Jahresbewilligung vom Schweizer Arbeitsmarkt verletze weder das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot noch das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der UNO-Menschenrechtspakte und des Rassendiskriminierungsübereinkommens. Die Vereinbarkeit der Bundesratsregelung mit den internationalen Verträgen überprüfte das Bundesgericht hier erstmals; einen Verstoss gegen das Gebot der Rechtsgleichheit hatte es bereits 1996 verneint [7].
Der Bundesrat zeigte sich aber selber bereit, vom 1991 eingeführten Drei-Kreise-Modell wegzukommen und den Vorschlag der Expertenkommission "Migration" aufzunehmen, wonach inskünftig nur noch zwischen Angehörigen von EU-/Efta-Staaten und allen anderen Staaten unterschieden werden soll. Der Bundesrat begründete seine Haltungsänderung damit, dass der "zweite Kreis" - vor allem Kanada und die USA - praktisch nie zum Tragen gekommen sei und ein gewisses Legitimationsdefizit für das umstrittene Modell bestanden habe. Die Einführung des neuen Zulassungsmodells wird de facto aber keine wesentliche Änderung der geltenden Rekrutierungspraxis bedeuten. Insbesondere hat der Bundesrat nicht im Sinn, Arbeitnehmer aus Ex-Jugoslawien wieder als Saisonniers zuzulassen. Nach welchen Kriterien die Qualifikation von ausländischen Arbeitskräften aus Nicht-EU- oder Efta-Staaten erfolgen wird, wollte der Bundesrat vorderhand noch offen lassen [8].
In der Asyl- und Ausländergesetzdebatte (siehe unten, Flüchtlingspolitik) beantragte Nationalrat Ledergerber (sp, ZH), das Saisonnierstatut sei in seiner rechtlichen Form zwar nicht umgehend abzuschaffen, doch sollten keine neuen Kontingente mehr bewilligt werden. Gast- und Baugewerbe beschäftigten am meisten Saisonniers, gleichzeitig stellten sie einen Viertel der Arbeitslosen. Der Rat mochte diesem Antrag mit 104 zu 25 Stimmen nicht folgen, nicht so sehr aus grundsätzlicher Ablehnung, sondern weil ihm das Tempo zu forsch war [9].
 
[4] BBl, 1997, IV, S. 521 ff.; Presse vom 21.8.97. Siehe SPJ 1995, S. 258 f.4
[5] BBl, 1997, II, S. 452; NZZ, 13.3.97. Vgl. SPJ 1995, S. 259.5
[6] R. Nef, "Die Ausländer im Bild der schweizerischen Bevölkerung", Univox, Oktober 1997. In einer Analyse der Abstimmung vom 1. Dezember 1996 über die SVP-Initiative "gegen die illegale Einwanderung" sprach das Bundesamt für Statistik von einer breiter werdenden Kluft zwischen den Sprachregionen in der Asyl- und Ausländerfrage. Die Gemeinden der französischen Schweiz waren deutlich gegen die Initiative, jene der Deutschschweiz nur hauchdünn. Vor zehn Jahren waren bei ähnlichen Vorlagen noch kaum sprachregionale Unterschiede zu verzeichnen gewesen. Aber auch innerhalb der Deutschschweiz war ein Gefälle zwischen Stadt (ablehnend) und Land (eher zustimmend) auszumachen (Presse vom 10.2.97).6
[7] Presse vom 1.10.97. Siehe SPJ 1996, S. 270.7
[8] Presse vom 31.10.97. Zu den Expertenvorschlägen siehe oben, Grundsatzfragen.8
[9] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1277 ff. Siehe auch SPJ 1995, S. 259. Angesichts des aktuellen Standes der bilateralen Verhandlungen mit der EU beschränkte sich der BR in der Ausländerregelung 1997/98 darauf, die Höchstzahlen neu festzusetzen. Diese wurden für die Jahresaufenthalter (17 000) und bei den Kurzaufenthaltern (18 000) unverändert gelassen. Bei den Saisonniers nahm der BR eine lineare Kürzung von 113 000 auf 99 000 vor (Die Volkswirtschaft, 70/1997, Nr. 12, S. 41).9