Année politique Suisse 1997 : Politique sociale / Groupes sociaux / Ausländerpolitik
Anlässlich der ersten nationalen Integrationskonferenz betonten sowohl Bundespräsident Koller wie auch der Präsident der Eidgenössischen Ausländerkommission, Nationalrat Caccia (cvp, TI), eine möglichst rasche und gute Integration der ausländischen Wohnbevölkerung liege im Interesse beider Seiten. Spannungen und Konflikte im Zusammenleben könnten nur auf diese Weise abgebaut werden. Laut Koller kann und soll von den Ausländerinnen und Ausländern nicht erwartet werden, ihre angestammte kulturelle Eigenart aufzugeben. Aber jede Integration müsse zumindest dort mit gewissen Anpassungen verbunden sein, wo Teile der Herkunftskultur zentralen Werten und Normen des Aufnahmelandes widersprechen. Integration dürfe weder als absolute Toleranz der ansässigen Bevölkerung noch als völlige Unterordnung der Zugewanderten verstanden werden. Ähnlich sah es auch der Präsident der Ausländerkommission. Gefordert seien Aufnahmebereitschaft von den einen sowie Wille und Fähigkeit zur Anpassung von den anderen. Angesichts der hohen Arbeitslosenquote unter den ausländischen Arbeitskräften plädierte er für ein Umdenken in der Zulassungspolitik. In erster Linie müsse für die berufliche Wiedereingliederung der bereits hier Lebenden gesorgt werden; im Gegenzug sei es geboten, mit Bewilligungen für neue Arbeitskräfte aus dem Ausland noch zurückhaltender zu sein.
Sowohl Koller wie Caccia unterstrichen die Bedeutung eines
Integrationsartikels in dem in Revision befindlichen Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (Anag). Mit dieser Teilrevision des Ausländergesetzes möchte der
Bund künftig eine grössere politische und finanzielle Mitverantwortung in diesem Bereich übernehmen. Bisher konnte er die Bemühungen in den Kantonen nur indirekt und punktuell unterstützen, beispielsweise in der Berufsbildung. Dabei wäre gerade in den Bereichen Information, Sprachförderung und Allgemeinbildung ein grösseres Engagement auf gesamtschweizerischer Ebene erforderlich. Koller versicherte, der Bund wolle sich keine zusätzlichen Kompetenzen anmassen. Die Hauptaufgabe bei der Integration müsse weiterhin von Kantonen, Gemeinden und Privaten geleistet werden. Caccia warf die umstrittene Frage nach der Mitverantwortung der Wirtschaft für die ausserberufliche Integration auf. Er erinnerte dabei an das Anfang der achtziger Jahre knapp gescheiterte Ausländergesetz, das die Kantone dazu ermächtigen wollte, die Arbeitgeber zur Mitfinanzierung der Integration und zur Betreuung zu verpflichten
[10].
Der Bericht der Expertenkommission "Migration" (siehe oben) unterstrich ebenfalls die Bedeutung der Integration der Ausländerinnen und Ausländer als einen
wichtigen Stützpfeiler der Migrationspolitik. Sie vertrat die Ansicht, der ausländischen Wohnbevölkerung sollten Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe in Schule und Beruf eröffnet werden. Bei Bedarf sollte die Teilnahme an Sprachkursen und weiteren Ausbildungen, die der Integration in den Arbeitsmarkt dienen, für alle Migranten verbindlich sein. Die Kommission anerkannte auch die besonderen Schwierigkeiten der Migrantinnen, weshalb sie für diese besondere Sprach- und berufliche Ausbildungsprogramme verlangte
[11].
Die Aufnahme eines
Integrationsartikels in die Asyl- und Ausländergesetzgebung
scheiterte im
Nationalrat zunächst an der sogenannten
Ausgabenbremse. Der Rat stimmte zwar mit 85 zu 86 Stimmen dem Antrag des Bundesrates zu. Da damit aber eine neue Bundesaufgabe mit jährlichen Kosten von 15 Mio Fr. geschaffen wurde, scheiterte der Integrationsartikel dennoch an der neu geschaffenen Ausgabenbremse, die für derartige Fälle das absolute Mehr stipuliert. Der Ausgabe stimmten nur 87 Abgeordnete zu, 65 verwarfen sie, womit dieser Artikel aus der Vorlage gestrichen wurde
[12].
Vor der Behandlung in der kleinen Kammer richtete der Präsident der EAK einen dringenden Appell an die Ständerätinnen und Ständeräte, den Integrationsartikel wieder in die Vorlage aufzunehmen, und er rechnete vor, dass mangelnde Integration anderweitige Kosten verursacht, etwa bei der Fürsorge oder im Strafvollzug. Seine Stimme wurde gehört. Oppositionslos
kam die kleine Kammer auf den Entscheid des Nationalrates zurück. Der Berichterstatter der Kommission, die diesen Antrag ebenfalls einstimmig stellte, erklärte, der Integrationsartikel sei ein Kernstück der Asyl- und Ausländergesetzrevision. Man müsse von der Überlegung ausgehen, dass es besser sei, materielle Aufwendungen und Begleitung für die Integration der Ausländer vorzusehen, die ja für eine lange Dauer in die Schweiz kommen, als erst nachher, bei Versagen, die Schäden zu eliminieren. Die Ausgabe nahm der Ständerat ebenfalls einstimmig an
[13].
Im Nachgang an die Beratung der Ausländergesetzgebung überwies der Nationalrat eine Motion seiner staatspolitischen Kommission als Postulat, welche verlangte, dass bei einer Auflösung der Ehe von Schweizerinnen und Schweizern bzw. niedergelassenen Ausländerinnen und Ausländern mit
ausländischen Ehegatten oder -gattinnen, die noch kein eigenständiges Niederlassungsrecht besitzen, diese nicht automatisch ihren aufenthaltsrechtlichen Status verlieren. Eine analoge Motion Bühlmann (gp, LU) war 1995 ebenfalls als Postulat angenommen worden
[14].
Als Schweizer Premiere beschloss die Regierung des Kantons
Basel-Stadt, eine 21 Personen starke
Kommission für Integrations- und Migrationsfragen einzusetzen sowie die Stelle eines Delegierten für diese beiden Fragenkomplexe zu schaffen. In erster Linie sollen die Experten die Diskussion grundsätzlicher Probleme sowie das Erarbeiten von Grundlagen für politische Entscheide angehen
[15].
Seit 1980 ist die Zahl der
ausländischen Kinder und Jugendlichen in der Schweiz kontinuierlich gestiegen. Vermehrt finden sie sich jedoch am Ende ihrer Schulzeit in Schultypen wieder, die ihnen den Zugang zu einer anspruchsvollen Ausbildung erschweren. Gemäss einem Bericht des Bundesamtes für Statistik (BFS) mussten sich 1995/96 52% aller ausländischen Jugendlichen auf der Sekundarstufe I mit einer Schule mit Grundansprüchen begnügen (1980/81: 45%). Schweizer Kinder hingegen besuchten im gleichen Zeitraum anteilmässig immer weniger die Realschule (1980/81: 35%; 1995/96: 27%). Die Daten des BFS zeigten, dass Schülerinnen und Schüler aus neuen Einwanderungsnationen (ex-Jugoslawien, Portugal und Türkei) im Bildungswesen eindeutig schlechter abschneiden, als die Kinder der deutlich früher eingewanderten Italiener und Spanier
[16].
[10]
Lit. Caccia; Presse vom 18.1.97. Vgl. auch
SPJ 1996, S. 270 f. Die EAK gab einen Bericht "Umrisse zu einem Integrationskonzept", in dem sie unter andere die Schaffung eines Bundesamtes für Integration anregte, in die Vernehmlassung. FDP und SVP gingen die Vorschläge zu weit, die SP hielt sie für unzureichend, zufrieden war lediglich die CVP (
Bund, 22.3.97).10
[11]
Lit. Ein neues .. .11
[12]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1279 ff.12
[13] Presse vom 8.8.97 (EAK);
Amtl. Bull. StR, 1997, S. 1365 und 1367. Nach dem klaren Ja des StR schlug die EAK als kostengünstigste und integrationspolitisch wegweisende Lösung die Einsetzung eines Delegierten für Integration auf Departementsstufe vor (
NZZ, 24.12.97).13
[14]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1283 f. Vgl.
SPJ 1995, S. 260.14
[15]
BaZ, 6.3.97. Für analoge Bestrebungen in der Stadt Bern siehe
SPJ 1996, S. 271.15
[16]
Die Volkswirtschaft, 71/1998, Nr. 1, S. 47. Zu Integrationsprojekten für ausländische Kinder und Jugendliche siehe
BüZ, 3.4.97;
NZZ, 10.6.97.16
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