Année politique Suisse 1997 : Enseignement, culture et médias / Médias
 
Presse
Der Verband der Schweizer Verleger kündigte den erst letztes Jahr auf vier Jahre abgeschlossenen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) mit den Journalistenverbänden auf Ende 1998 auf. Der GAV nehme auf die lokal-, regional- und gattungsbedingte Vielfalt der schweizerischen Medienlandschaft keine Rücksicht, wurde von Verlegerseite argumentiert. Die Journalistenverbände reagierten mit Empörung [8].
Auf den 1. Januar 1999 soll die Mediengewerkschaft Comedia gegründet werden, die rund 30 000 Mitglieder zählen würde. Die Gewerkschaft Druck und Papier (GDP), der Schweizerische Litografenbund (SLB), die beiden Journalistenverbände SVJ und SJU, das Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM) und der Angestelltenverband der Buchhändlerinnen und Buchhändler (ASB) entschlossen sich zur Fusion. Insbesondere im SVJ formierte sich jedoch Widerstand [9].
Im Berichtsjahr kam es nicht zuletzt aus Gründen eines sich verändernden Werbe- und Inseratemarktes zu einem noch nie dagewesenen Konzentrationsprozess in der Schweizer Presse. Insgesamt verschwanden 16 Tageszeitungstitel. Nach dem Vollzug der angekündigten Fusionen und Kooperationen im April 1998 wird es in der Schweiz noch 82 Tageszeitungen geben, die sechsmal in der Woche erscheinen. 8 (Ende 1996: 9) von insgesamt 228 (242) Zeitungstiteln werden vier- bis fünfmal pro Woche, 53 (53) zwei- bis dreimal pro Woche und 85 (82) Titel noch einmal wöchentlich erscheinen. Nur noch 40 der 228 Zeitungen werden über eine vollausgebaute Redaktion verfügen. Ab April 98 werden acht Kantone (AR, AI, GL, NW, OW, SZ, UR, ZG) über keine eigenständige Tageszeitung mehr verfügen [10].
Zu Beginn des Jahres erschien im Kanton Graubünden neu "La Quotidiana" aus dem Churer Verlagshaus Gasser Media AG, womit die rätoromanische Sprachgemeinschaft erstmals in ihrer Geschichte über eine Tageszeitung verfügt. Die neue Zeitung, der mehrere Regionalblätter zum Opfer fielen, stiess aber in den einzelnen Sprachregionen nicht nur auf Begeisterung; die Auflage sank im ersten Halbjahr von 10 000 auf rund 8000. Ab August liess Gasser deshalb unter dem Kopftitel "La Quotidiana" die alten Regionalblätter wieder aufleben. Bei einem gemeinsamen Mantelteil mit kantonalen und nationalen Themen berichtet die "Gasetta Romontscha/La Casa Paterna" zu lokalen Themen im Dialekt Sursilvan, "Fögl Ladin" im Idiom Ladin und "La Punt" im Dialekt Sutsilvan. Für Oberhalbstein, die Region bei Savognin, wurde neu der Titel "La Vousch da Surmeir" geschaffen [11].
Nur einen Tag nach der Ersterscheinung der "La Quotidiana" gab das Gasser Verlagshaus den Schulterschluss - später sprach man offen von Übernahme - mit der Glarner Tschudi Druck und Verlag AG bekannt und kündigte an, das neu geschaffene Bündner Dreititelsystem ("Bündner Zeitung" samt Kopfblatt "Oberländer Tagblatt", "Bündner Tagblatt" und "La Quotidiana") ab Juni um die "Glarner Nachrichten" sowie die sankt-gallischen "Gasterländer" und "Seepresse" aus dem Hause Tschudi zu ergänzen. Im April konnte Gasser diesen Titeln noch drei Schwyzer Zeitungen, der "Bote der Urschweiz", das "Höfner Volksblatt" und der "March-Anzeiger" anfügen; diese bleiben jedoch im Besitz ihrer Verleger. Im neuen Zeitungsverbund "Südostschweiz" schlossen sich damit insgesamt zehn Tageszeitungen der Kantone Graubünden, Glarus, St. Gallen und Schwyz zusammen. Ab 2. Juni trat die "Südostschweiz", die rund einen Drittel der Fläche der Deutschschweiz abdeckt, mit einer Gesamtauflage von rund 110 000 Exemplaren neu auf dem nationalen Werbemarkt auf. Während fünf Kerntitel ("Bündner Zeitung", "Glarner Nachrichten", "Der Gasterländer", "Seepresse" und "Oberländer") den neuen Haupttitel übernahmen und die alte Bezeichnung nur noch im Untertitel tragen, fungieren der "March-Anzeiger", das "Höfner Volksblatt" und der "Bote der Urschweiz" nur im Untertitel als "Südostschweiz". Das "Bündner Tagblatt" und "La Quotidiana" treten mit einem eigenen Erscheinungsbild auf. Jedes Blatt produziert einen eigenen Regionalteil, während die übergreifenden Teile von der Zentralredaktion in Chur beigesteuert werden. Die Machtballung des Churer Verlagshauses Gasser, die im letzten Jahr mit der Übernahme des "Bündner Tagblatt" von Christoph Blocher begonnen hatte, stiess auf Kritik. Der Ostschweizer Verein der Journalistinnen und Journalisten rief die Kartellkommission an, da für Medienschaffende insbesondere in Graubünden und Schwyz kaum noch Wege an Gasser vorbeiführten. Die Kartellkommission segnete den Zusammenschluss, der der erste seit Inkrafttreten des neuen Kartellgesetzes ist, jedoch ab. Als elfter Regionaltitel reihte Gasser im Oktober ausserdem noch das "Liechtensteiner Volksblatt" in die "Südostschweiz" ein [12].
In der Region St. Gallen/Appenzell konnten sich bisher noch verschiedene Tageszeitungen eigenständig behaupten. Dem Vormarsch des Konkurrenten Gasser Richtung Norden mochte die grösste Ostschweizer Zeitung, das "St. Galler Tagblatt" - seinerseits im Besitz der NZZ - aber nicht tatenlos zusehen und blies zum Gegenangriff. Im September vereinbarte es mit dem "Volksfreund", der "Wiler Zeitung" und der "Gossauer Zeitung" ab Anfang 1998 eine enge Kooperation [13]. Damit verlor die "Appenzeller Zeitung", die diesen drei Zeitungen die überregionalen Seiten geliefert hatte, wichtige Verbündete. Und die finanziell ohnehin serbelnde St. Galler Zweitzeitung "Ostschweiz", die mit den drei Blättern und der "Appenzeller Zeitung" in einem Inserateverbund liiert war, verlor wichtige Inseratepartner. Damit kam es zum Dominoeffekt, der der bisherigen Pressevielfalt in der Ostschweiz ein jähes Ende setzte: Die bald 125jährige "Ostschweiz" (Auflage 21 000) gab auf und verkaufte ihre Abonnentenkartei auf Ende Jahr dem "St. Galler Tagblatt". Ihr Ende bedeutet zugleich das Ende der katholisch geprägten Presse in der deutschen Schweiz. Gleichzeitig gaben das "St. Galler Tagblatt" und die "Appenzeller Zeitung" (Auflage 15 000) ihre Kooperation bekannt; ersteres wird der im 169. Jahrgang stehenden "Appenzeller Zeitung" ab Frühjahr 1998 den überregionalen Teil liefern. Damit hat Appenzell Ausserrhoden keine unabhängige Zeitung mehr. Das "Appenzeller Tagblatt", seit knapp zwei Jahrzehnten Regionalausgabe des "St. Galler Tagblatt", wird eingestellt. Noch im November vereinbarte das "St. Galler Tagblatt" ausserdem mit dem "Rheintaler" (Auflage 11 000) und dem "Toggenburger" (Auflage 6000) eine enge Zusammenarbeit auf Frühjahr 1998. Beide Regionen hatten bisher eine eigene Ausgabe des "St. Galler Tagblatt" erhalten. Für dieses ging die Rechnung auf: Wie die "Südostschweiz" wird es neu mit einer Auflage von über 100 000 auf dem nationalen Werbemarkt auftreten können. Seine Exemplarzahl wird insgesamt bei rund 120 000 liegen [14].
Im Raum Zürichsee/Sihltal/Linthgebiet kam es ab Oktober zum überkantonalen Presseverbund "Zürichsee-Zeitung" von sechs Zeitungstiteln (Auflage rund 53 000). Eingebunden sind um die bisherige "Zürichsee-Zeitung" der "Sihltaler", die "Grenzpost" und die "Linth Zeitung". Während diese Titel ihre Namen behielten, gingen der "Anzeiger des Bezirkes Horgen" und der "Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee" in der "Zürichsee-Zeitung" auf. Anlass zu Kritik gab, dass all jene, welche die bisherigen, nicht täglich erscheinenden Lokalblätter mit teilweise Amtsblattcharakter nur als Ergänzung genutzt hatten, plötzlich mit zwei Tageszeitungen zu entsprechend höheren Kosten bedient wurden. Der neue Zeitungsverbund ist mehrheitlich im Besitz der Zürichsee Medien AG und minderheitlich der Orell Füssli Werbe AG [15].
In der Westschweiz wird die Fusion zwischen "Le Journal de Genève" und "Le Nouveau Quotidien", die im letzten Jahr scheiterte, ab Frühjahr 1998 doch noch Realität. Die Aktionäre segneten die Fusion zu "Le Temps" im November ab. Mit dem über 170 Jahre alten "Journal de Genève" (Auflage 32 000) geht dem Genferseeraum nicht nur ein liberales Traditionsblatt verloren, sondern auch die letzte überregionale Tageszeitung, die nicht vom Imperium des Lausanner Verlagshauses Edipresse kontrolliert wurde. "Le Nouveau Quotidien" (Auflage 38 000), ein Produkt der Edipresse, war erst 1991 gegründet worden. Auch die angerufene Wettbewerbskommission gab im Dezember grünes Licht für die Fusion, mit der Begründung, dass diese zwar die schon bestehende marktbeherrschende Stellung von Edipresse noch verstärke, dass der Markt in der Westschweiz aber zu klein sei für zwei überregionale Tageszeitungen. Immerhin machte die Wettbewerbskommission die Auflage, dass alle Veränderungen der Kapitalstruktur einer Bewilligung durch sie bedürfen, um eine ausgeglichene Verteilung der Kräfteverhältnisse zwischen den Gruppen der neuen Gesellschaft (je 47% für JdG und Edipresse, 6% für die Redaktion) sicherzustellen. Weiter muss der Verwaltungsrat der neuen Zeitung von einer unabhängigen Person geleitet werden. Das Urteil der Wettbewerbskommission stiess trotz diesen Auflagen auf breite Kritik [16].
Dem Spektrum der Arbeiterpresse gehörten einst 19 Tageszeitungen an. Im Berichtsjahr ging auch den letzten vier Vertretern der linken Tagespresse der Schnauf aus: Die Zürcher "DAZ", welche die Flucht nach vorne ergreifen und neu als einzige Schweizer Abendzeitung erscheinen wollte, machte Konkurs, nachdem ein wichtiger Geldgeber ausgestiegen war. Die in "Stadtblatt" umbenannte "Winterthurer AZ" und die "Schaffhauser AZ" reduzierten ihre wöchentliche Ausgabenzahl auf drei. Am längsten hielt sich die im 105. Jahrgang stehende "Berner Tagwacht" über Wasser. Als letzte linke Tageszeitung wird aber auch sie ab 1998 den Neuanfang als Wochenzeitung unter dem Titel "Die Hauptstadt" wagen. Das 1996 neu zur Linkspresse gestossene, dreimal wöchentlich herausgegebene Alternativblatt "Luzern heute" erschien bereits ab August nur noch als Wochenblatt [17].
Mit einer Motion verlangte die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) des Ständerates, beim Zeitungstransport künftig nur noch den abonnierten Lokal- und Regionalzeitungen Vorzugstarife zu gewähren, gleichzeitig diese Hilfe mit dem Einbezug der Subventionierung der Frühzustellung aber substantieller auszugestalten. Gerade das gegenteilige Ziel hatte im letzten Jahr der Nationalrat verfolgt, der per Postulat einen Vorzugstarif auch für rund 3000 Zeitungen forderte, die eine Auflage von weniger als 1000 Stück haben. Im Sinne des Bundesrats, der sich bereit zeigte, den gesamten Problembereich nochmals zu prüfen, überwies der Ständerat die Motion der KVF als Postulat [18].
Mit 19 zu 4 Stimmen überwies der Ständerat ausserdem ein Postulat seiner Rechtskommission, das die Prüfung einer Ombudsstelle für Printmedien - analog derjenigen für Radio und Fernsehen - fordert. Während Bundesrat und der Verband der Schweizer Presse eine solche Ombudsstelle begrüssten, lehnte sie der Schweizerische Verband der Journalistinnen und Journalisten (SVJ) als staatliche Einmischung ins Pressewesen ab. Dagegen signalisierte er die Bereitschaft zur Öffnung seines Presserates auch für die Verleger [19].
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Agenturen
Die rätoromanische Nachrichtenagentur "Agentura da Novitads Rumantscha" (ANR) nahm Anfang Jahr ihren Betrieb auf. Weil die rätoromanische Tageszeitung "La Quotidiana" ihre Meldungen wegen eines letztjährig vorausgegangenen Streits bei der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) bezog, stand die ANR zuerst aber ohne eigentliche Aufgabe da. Ende Januar kam es zu einer Einigung zwischen "La Quotidiana" und der ANR. "La Quotidiana" wie auch Radio Grischa äusserten danach jedoch Kritik an der qualitativen Leistung der neuen Nachrichtenagentur. Viele Texte sind keine redaktionellen Eigenleistungen, sondern Übersetzungen aus dem Deutschen [20].
 
[8] Presse vom 20.9.97. Vgl. SPJ 1996, S. 318.8
[9] WoZ, 20.6.97; BaZ, 18.10.97; TA, 4.11.97.9
[10] Presse vom 3.1.98. Vgl. auch "Reichhaltige politische Kultur verschwindet", in TW, 27.11.97.10
[11] Presse vom 7.1.97; TA, 30.7.97. Vgl. SPJ 1996, S. 319 f.11
[12] Presse vom 8.1., 3.4., 3.6. und 7.6.97; BüZ, 20.10.97. Vgl. SPJ 1996, S. 319 f.12
[13] Die "Gossauer Zeitung" verschwindet auf Ende Jahr, das neue Kopfblatt zwischen Wil und Flawil heisst "Wiler Zeitung-Volksfreund". Dessen Herausgeberin übernahm das "Neue Wiler Tagblatt", das nach 125 Jahren verschwindet (SGT, 1.12.97).13
[14] SGT, 18.9., 22.11. und 24.11.97; Presse vom 5.11.97.14
[15] Presse vom 10.9.97. Gewerbe-, Parteien- und Vereinskreise, die ihre Anliegen in der neuen regionalen Tageszeitung nicht im gewünschten Masse berücksichtigt fanden, lancierten im Dezember die "Sihltal-Zeitung" (NZZ, 18.12.97).15
[16] Presse vom 25.6., 14.10., 16.10. und 2.12.97. Vgl. SPJ 1996, S. 320.16
[17] DAZ: TA, 10.7.97. Stadtblatt: NZZ, 24.4.97. SAZ: SN, 2.7.97. Die Hauptstadt: TW, 25.9.97; WoZ und Bund, 26.9.97. Luzern heute: NLZ, 19.6.97. Siehe auch "Die linke Presse ist tot", in Ww, 20.11.97.17
[18] Amtl. Bull. StR, 1997, S. 118 ff. Vgl. SPJ 1996, S. 194 (FN). Der BR hatte auf den 1.1.1996 ein neues Tarifmodell für den Zeitungs- und Zeitschriftentransport in Kraft gesetzt, das den Empfängerkreis für Vorzugstarife stark einschränkte (von rund 7000 auf 3500), indem die für die Zulassung massgebende Auflage von 100 auf 1000 Exemplare erhöht wurde.18
[19] Amtl. Bull. StR, 1997, S. 589 f.; NZZ, 17.5.97; Bund, 13.6.97.19
[20] TA, 30.1.97; BüZ, 23.5.97; Klartext, 1998, Nr. 1, S. 28 ff. Vgl. SPJ 1996, S. 320 f.20