Année politique Suisse 1998 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Sozialdemokratische Partei (SP)
Nachdem die Zürcher Nationalrätin Barbara Haering ihr Amt als Generalsekretärin nach nur einem Jahr wegen Unstimmigkeiten mit Parteipräsidentin Ursula Koch zur Verfügung gestellt hatte, wählte der SP-Parteivorstand den amtierenden Pressechef Jean-François Steiert mit deutlichem Mehr zu ihrem Nachfolger. Steiert war der einzige von insgesamt 16 Kandidaten, der von der Geschäftsleitung zur Wahl vorgeschlagen worden war. Verschiedene Vorstandsmitglieder kritisierten das Auswahlverfahren und warfen dem fünfköpfigen Wahlausschuss unter Vorsitz von Parteipräsidentin Koch unprofessionelles Vorgehen vor [7].
In der Antwort auf den IDA-FiSo-2-Bericht forderte der SP-Vorstand einen Ausbau des Sozialstaates und nannte die Einführung einer Mutterschaftsversicherung, die Flexibilisierung des Rentenalters, einen eigenständigen Anspruch ausgesteuerter älterer Arbeitsloser auf Ergänzungsleistungen, die Erhöhung des Beitragsplafonds bei der ALV auf 243 000 Fr., die bessere Absicherung der Teilzeitarbeit, ein eidgenössisches Minimum für Kinderzulagen (200 Fr.) und ein Recht auf Existenzsicherung als vordringliche Massnahmen, wobei eine höhere Gewinnausschüttung der Nationalbank an die Kantone für einen Lastenausgleich sorgen soll [8].
Um das Thema “Gen-Schutz-Initiative” frühzeitig zu besetzen, hatte der SP-Vorstand bereits im August 1997 die Ja-Parole gefasst. Die Gesamtpartei war in dieser Frage aber gespalten: in einem offenen Brief an die SP-Geschäftsleitung wandten sich namhafte Parteimitglieder, darunter die Ständeräte Aeby (FR) und Plattner (BS), gegen die Ja-Parole aus Furcht, die Gen-Schutz-Initiative würde die Beteiligung der Schweiz an der Gentechnik behindern und viele positive Entwicklungen in der Medizin unterbinden. Ein weiteres Indiz für die Uneinigkeit innerhalb der Partei war die abweichende Parolenfassung zahlreicher SP-Kantonalsektionen (Nein: VD, NE; Stimmfreigabe: BL, JU,VS) [9].
Der Parteivorstand der SP sowie die JuSo sicherten dem Referendumskomitee „gegen die Aushöhlung des Asylrechts“ ihre Unterstützung zu. Mehrere Dutzend Organisationen unter der Leitung der Asylkoordination Schweiz ergriffen das Referendum sowohl gegen das Asylgesetz wie auch gegen den Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen im Asyl- und Ausländerbereich (BMA) [10].
Die parteiinternen Spannungen und die Kritik an Parteipräsidentin Koch hielten auch im Berichtsjahr weiter an. Koch hatte angekündigt, eine breit angelegte Grundwertdebatte zu lancieren und die politischen Inhalte nach dem autoritären Führungsstil Bodenmanns wieder vermehrt basisdemokratisch zu bestimmen. Die Situation spitzte sich nach dem Abstimmungswochenende vom 7. Juni zu, als die SP beim Haushaltsziel 2001, bei der Gen-Schutz-Initiative und bei der Initiative “S.o.S. – Schweiz ohne Schnüffelstaat” eine dreifache Niederlage erlitt. Teile der SP-Fraktion und der Gewerkschaftsspitze, die Koch`s Vorgänger Bodenmann nahestehen, warfen ihr vor, weder inhaltliche Schwerpunkte gesetzt noch Konturen für eine künftige SP-Politik erkennbar gemacht zu haben. Statt die Partei zu führen, überlasse sie das Feld bei Themen wie der Kapitalgewinnsteuer oder der Europapolitik der politischen Konkurrenz. Vorgehalten wurden ihr auch ungenügende Kenntnisse der Sachdossiers und die fehlenden Kontaktnetze im Bundeshaus. Einer der härtesten Kritiker war Ex-Generalsekretär Daguet; er zeigte sich besorgt über den Zustand seiner Partei gerade im Hinblick auf die Wahlen von 1999. Zusätzliche Angriffsflächen lieferte Koch mit ihrer Abneigung, für die Nationalratswahlen von 1999 zu kandidieren, und ihrem Rundumschlag gegen das “tyrannische Mediensystem”. Der frühere Parteipräsident Helmut Hubacher ärgerte sich, dass zu wenig über Politik und zu viel über die Befindlichkeit der Parteipräsidentin gesprochen werde, und bezeichnete Koch als “ideale Fehlbesetzung” [11].
Am Parteikongress vom 24. Oktober in Montreux wurde Parteipräsidentin Koch auf eindrückliche Weise mit 700 gegen 2 Stimmen im Amt bestätigt. Sie ging mit ihren Kritikern, allen voran Bodenmann, Hubacher und Daguet, hart ins Gericht und rief die Partei auf, in Zukunft Kritik bei ihr persönlich oder bei der Geschäftsleitung vorzubringen. Sie hielt an der Weiterführung der Grundwertdebatte fest, erklärte sich aber bereit, sich häufiger zu tagespolitischen Themen zu äussern. An dieser Stelle liess sie verlauten, auf vielseitigen Wunsch doch noch für den Nationalrat kandidieren zu wollen. Nebst den personalpolitischen Fragen legten die SP-Delegierten die programmatischen Schwerpunkte für das Wahljahr 1999 fest: Arbeit für alle, soziale Sicherheit, europäische Integration und ökologischer Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Als Grundlage dafür sollte das Positionspapier “Aufschwung für alle” dienen, in welchem sich die Partei zu wirtschaftlichem Wachstum und zu einer Wirtschaftspolitik zur Sicherung eines nachhaltigen, ressourceschonenden, umweltverträglichen und dauerhaften Aufschwungs bekannte. Dabei sprach sich die SP für eine Energieabgabe zugunsten erneuerbarer Energien, für eine antizyklische Ausgabenpolitik, für verstärkte Investitionen in die Bildung und für eine Geldpolitik der SNB aus, die auf die konjunkturelle Entwicklung und die Beschäftigungssituation Rücksicht nimmt. Ausserdem wurde ein Thesenpapier zur Globalisierung verabschiedet, in welchem verlangt wurde, dass sich der “schrankenlose und zerstörerische Kapitalismus” in Richtung einer echten sozialen und ökologischen Marktwirtschaft zu verändern habe. Ferner gab die SP-Schweiz auf Antrag der Jungsozialisten die Ja-Parole zur DroLeg-Initiative aus, nachdem sich der SP-Vorstand für Stimmfreigabe ausgesprochen hatte [12].
Mit sofortiger Wirkung trat im August die Basler Nationalrätin Margrith von Felten aus der Sozialdemokratischen Partei aus und kündigte an, bei den Parlamentswahlen von 1999 als Parteilose auf einer links-grün-feministischen Liste zu kandidieren. Als Gründe für ihren Austritt bezeichnete sie zunehmende politische Differenzen mit den SP-Positionen. Sie kritisierte insbesondere den Kurswechsel der Partei in der Wirtschaftspolitik; mit dem Wirtschaftskonzept von 1994 setze die Partei auf Wirtschaftswachstum, was in ihren Augen angesichts der Bedrohung der Lebensgrundlagen ein Irrsinn sei. Bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode wechselte sie in die Bundeshausfraktion der Grünen [13].
Bei den kantonalen Wahlen schwächte sich der letztjährige Aufwärtstrend der SP langsam ab. Insgesamt konnte sie ihre Mandatszahl in den Kantonsparlamenten um deren 4 erweitern. Während sie in der Deutschschweiz 10 Sitze hinzu gewann, büsste sie in der Romandie deren 6 ein. Auf Exekutivebene erzielte sie zwar einen Sitzgewinn im Kanton Graubünden, verlor aber gleichzeitig je einen Sitz in den Kantonen Glarus und Waadt. Zusätzlich musste sie nach einer turbulenten Ersatzwahl im Kanton Aargau ihren einzigen Sitz an den wild antretenden, in der Folge aus der SP ausgeschlossenen Kandidaten Kurt Wernli abtreten und schied nach 66 Jahren aus der Regierung aus.
 
[7] SoZ, 29.3.98; Presse vom 30.3.98 (Wahl von Steiert). Im Vorfeld der Wahl kam es insbesondere innerhalb der SP-Bundeshausfraktion zu Unruhe, als Koch den Zürcher VCS-Präsidenten Beat Schweizgruber in Eigenregie als Alternativkandidaten portierte (vgl. BZ, 18.3.98; TA, 19.3.98; Presse vom 23.3.98).7
[8] NZZ, 2.2.98.8
[9] Presse 26.-28.3.98; Ww 9.4.98.9
[10] TA, 29.6.98; 24 Heures, 29.6. und 5.12.98; NZZ, 16.10. und 7.12.98.10
[11] Presse vom 8.6.98; Sonntags-Blick 14.6., 5.7. und 12.7.98; Ww, 25.6.98; BZ, 8.7.98; Presse vom 23.9.-27.9.98; Bund und Blick, 1.10.98; SoZ, 4.10.98; BaZ 24.10.98 (Hauskrach SP); TA, 19.8.und 20.8.98 (Kandidatur NR); NZZ und TA, 19.9.98; SoZ, 20.9.98 (Kampfansage an Medien). In der WoZ erschien eine dreizehnteilige Serie von Diskussionsbeiträgen zur Frage “Was ist mit der Linken los?” (WoZ, 2.7.-24.9.98). In einer vielbeachteten Beilage der WoZ formulierte Expräsident Bodenmann auf nicht weniger als acht Seiten Themen und Thesen für eine SP-Politik in der Absicht, eine inhaltliche Debatte über die Politik der Linken in Gang zu setzen. Für ihn war klar, dass die SP keine Partei der “neuen Mitte”, sondern eine linke Partei sei. Sie habe sich in den neunziger Jahren klar links der Hauptströmungen in der europäischen Sozialdemokratie positioniert. Dieser Kurs sei nach Bodenmann beizubehalten, was nicht ohne zukunftsgerichtete konzeptionelle Grundlagenarbeit möglich sei (WoZ, 19.11.98).11
[12] SoZ und Sonntags-Blick, 25.10.98; Presse vom 26.10.98. Vgl. auch die SP-Positionspapiere Aufschwung für alle und Globalisierung politisch gestalten, Bern 1998.12
[13] Presse vom 27.8.98.13