Année politique Suisse 1998 : Partis, associations et groupes d'interêt / Associations et autres groupes d'interêt
 
Arbeitnehmer
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) lancierte im Berichtsjahr gleich drei Volksinitiativen. Im Januar gab eine Delegiertenversammlung grünes Licht für eine Initiative für kürzere Arbeitszeiten (Jahresarbeitszeit von durchschnittlich 36 Stunden pro Woche) und eine weitere für eine Kapitalgewinnsteuer für natürliche Personen. Zudem beschloss der SGB, zusammen mit dem Christlichnationalen Gewerkschaftsbund (CNG) eine Volksinitiative für eine hälftig aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen finanzierte obligatorische Krankentaggeldversicherung zu lancieren. Im Juli wurde die Unterschriftensammlung für diese drei Volksbegehren gestartet. In der Werbekampagne präsentierte der SGB die drei Vorstösse zusammen mit zwei weiteren Volksinitiativen (die gemeinsam mit der SP Ende 1997 lancierte Initiative für einkommensabhängige Krankenversicherungsprämien und die von diversen Jugendorganisationen getragene Initiative für eine Lehrstellenförderung) als „Bouquet für eine soziale Schweiz“ [5].
Einen, allerdings auf niedriger Flamme gehaltenen Konflikt erlebte der SGB bei der Beurteilung der Zweitauflage des von ihm 1996 erfolgreich bekämpften Arbeitsgesetzes. Das von der Gewerkschaft Druck und Papier (GDP) zusammen mit Westschweizer Gewerkschaftern (unter anderem der Waadtländer Gewerkschaftsbund) lancierte Referendum unterstützte er nicht, da in den parlamentarischen Verhandlungen mit der Erfüllung der beiden Hauptforderungen (Zeitzuschläge und Sonntagsarbeitverbot) das Maximum herausgeholt worden sei. Zuhanden der Volksabstimmung gab er – wie auch die SP und der CNG – die Ja-Parole aus, während die GDP zusammen mit der PdA für eine Ablehnung warb [6]. Der SGB lancierte wie erwähnt zusammen mit der SP zwar einige Volksinitiativen, marschierte aber bei der Parolenfassung für Volksabstimmung nicht immer im Gleichschritt mit den Sozialdemokraten. Bei der von der SP unterstützten Genschutz-Initiative hatte der grösste Teilverband, die GBI, welche auch die Interessen der Chemieangestellten vertritt, die Nein-Parole beschlossen. Im SGB war zwar in einer Eventualabstimmung eine Mehrheit der Delegierten für eine Unterstützung der Initiative, schliesslich setzte sich aber die Stimmfreigabe durch. Zu der von der SP mitgetragenen S.o.S.-Initiative für eine Abschaffung der präventiven Polizei gab der SGB keine Abstimmungsparole heraus, und zu der von der SP unterstützten „Drogleg“-Initiative gab er die Stimme frei. Einig mit der SP war man sich hingegen bei der Unterstützung der beiden Referenden gegen das revidierte Asylgesetz und die dazu gehörenden dringlichen Massnahmen [7].
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Organisation und Mitgliederbewegung
Nach nur einer Amtsperiode trat die Genfer Ständerätin Christiane Brunner (sp) als Co-Präsidentin des SGB zurück. Als Grund gab sie die Überbelastung durch ihre drei Ämter als Parlamentarierin, SMUV- und SGB-Präsidentin an. Wenig später gab auch SGB-Co-Präsident Vasco Pedrina, der zugleich auch die GBI präsidiert, seinen Verzicht auf eine weitere Amtsperiode bekannt [8]. Als aussichtsreichster Kandidat zeichnete sich rasch Paul Rechsteiner ab. Der dem linken SP-Flügel zugerechnete St. Galler Nationalrat ist zwar langjähriges VPOD-Mitglied und präsidierte auch den kantonalen Gewerkschaftsbund, verfügte aber bisher über keine eigentliche gewerkschaftliche Hausmacht; im Parlament hatte er sich eher zu Themen wie Staatsschutz und Justiz als zu sozialpolitischen Fragen engagiert. Als einziger Kandidat wurde er am 7. November in Davos vom SGB-Kongress zum neuen Präsidenten gewählt. Als einen Wechsel zu einem radikaleren Kurs liess sich diese Wahl aber kaum interpretieren, wählten die Delegierten doch gleichzeitig den Präsidenten der Gewerkschaft Druck und Papier und Sprecher der aktivistischen Westschweizer Gewerkschaften, Christan Tirefort, von seinem Amt als SGB-Vizepräsidenten ab. Tirefort hatte sich zuletzt durch seine kompromisslose Opposition zur Revision des Arbeitsgesetzes gegen die SGB-Führung gestellt (siehe oben) [9].
Die Strukturveränderungen in der Wirtschaft, aber auch die schwindenden Mitgliederzahlen, welche es kleinen Gewerkschaften zusehends schwieriger machen, ihre Dienstleistungen flächendeckend anzubieten, beschleunigen seit einigen Jahren die organisatorischen Konzentrationsprozesse. An einem Kongress in Bern am 26. Oktober wurde die neue Gewerkschaft „Kommunikation“ mit insgesamt rund 45 000 Mitgliedern gegründet. Ihr gehören sechs Verbände an: Gewerkschaft PTT-Union, Verband Schweiz. Postbeamter, Verband Schweiz. Telefon- und Telegrafenbeamter, Schweiz. Posthalterverband, Vereinigung des schweizerischen Flugsicherungspersonals und die Sektion Post des Personalverbands des Bundes [10]. Die dem CNG angehörende Postgewerkschaft startete unter dem Namen „transfair“ ein Fusionsprojekt, dem sich auch andere christliche Verbände des Bundespersonals anschliessen sollen [11].
Der geplante Zusammenschluss der sechs im Medienbereich tätigen Arbeitnehmerverbände zur neuen Gewerkschaft Comedia ging nicht reibungslos vonstatten. Zwei der sechs am Projekt beteiligten Organisationen verzichteten auf ein Mitmachen. In einer Urabstimmung beschlossen die Angehörigen des rund 6000 Mitglieder umfassenden Verbands der Journalistinnen und Journalisten (SVJ) mit relativ knappem Mehr, der neuen Organisation nicht beizutreten. Die vor allem in der Deutschschweiz beheimateten Gegner führten an, dass sich ihr Berufsbild zu sehr von demjenigen der Drucker unterscheide und auch die automatische Zugehörigkeit zum SGB für einige Medienschaffende nicht unproblematisch wäre. Etwas später fiel auch beim Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM) der Beitrittsentscheid negativ aus. Zwar stimmten in einer Urabstimmung 53% der Fusion zu, erforderlich wäre aber ein qualifiziertes Mehr von 60% gewesen. Im Gegensatz zum SVJ kam bei dieser vor allem aus Radio- und Fernsehangestellten gebildeten Organisation die Gegnerschaft vor allem aus der Westschweiz [12]. Die bereits zum SGB gehörenden Organisationen Gewerkschaft Druck und Papier (GDP), Schweizerische Journalistinnen und Journalistinnen-Union (SJU) und Schweizerischer Lithographenbund (SLB) stimmten an Delegiertenversammlungen der Fusion zu; einen Beitrittsbeschluss fassten ebenfalls die Mitglieder des Angestelltenverbands des Schweizer Buchhandels (ASB) [13]. An einem Kongress am 12. Dezember in Bern wurde die neue Gewerkschaft Comedia gegründet und der bisherige Präsident der GDP, Christian Tirefort, zum Präsidenten gewählt [14].
Die Leitungen der beiden dem CNG angehörenden Arbeitnehmerorganisationen Gewerkschaft Industrie, Handel und Gewerbe (CMV) und Christlicher Holz- und Bauarbeiterverband (CHB) beschlossen zu Jahresbeginn eine engere Zusammenarbeit, welche in eine Fusion münden soll. Die beiden Verbände zählen rund 28 000 resp. 35 000 Mitglieder [15]. In einer Urabstimmung sprachen sich zudem die 18 000 Mitglieder des Landesverbands freier Schweizer Arbeitnehmer (LFSA) mit sehr deutlichem Mehr für einen Beitritt zu diesem neuen Verband aus. Die vierte daran beteiligte Organisation ist die dem CNG angehörende und gut 3000 Mitglieder zählende Grafische Gewerkschaft (SGG). An einem ausserordentlichen Kongress am 12. September in Biel stimmten die Delegierten aller vier Verbände der Vereinigung mit klaren Mehrheiten zu und gründeten die neue Gewerkschaft mit dem Namen „SYNA“. Am 1. Oktober nahm sie ihre Tätigkeit auf [16].
Der Zusammenschluss des Bankpersonalverbandes (SBPV) mit dem Kaufmännischen Verband (SKV), den beide Organisationen im Vorjahr grundsätzlich gutgeheissen hatten, geriet ins Stocken. Zwar stimmte der SBPV im März einer Fusion zu, die Delegierten des SKV verschoben hingegen im Juni ihren Entscheid auf später, da noch nicht alle Fragen geklärt seien. Als Reaktion auf dieses Zögern sprachen sich anschliessend die Delegierten des SBPV für einen Verzicht auf weitere Fusionsverhandlungen aus [17].
Der SGB musste eine erneute Schrumpfung seiner Mitgliederzahl auf 387 535 (-2%) in Kauf nehmen. Immerhin konnte die neue, in Konkurrenz zum VHTL stehende Dienstleistungsgewerkschaft Unia gut 2000 neue Mitglieder gewinnen [18].
 
[5] Presse vom 9.1.98; NZZ, 13.1.98; BZ, 20.4.98 (CNG); TA, 28.4.98; Presse vom 9.7.98; WoZ, 10.12.98. Zu den Inhalten der einzelnen Initiativen siehe oben in den Sachkapiteln. Vgl. auch SPJ 1997, S. 386.5
[6] WoZ, 19.3.98; SGT, 27.3.98 (SGB); TA, 8.4. (VD) und 28.4.98 (SGB); NZZ, 7.11.98. Vgl. dazu oben, Teil I, 7a (Arbeitszeit).6
[7] BaZ, 3.4.98 (GBI); NZZ und TA, 28.4.98 (SGB); NZZ, 14.8.98 (Referenden).7
[8] BZ, 23.4.98 (Brunner); LT und TA, 16.5.98 (Pedrina).8
[9] LT, 20.5.98; SGT, 3.6.98; BaZ und Bund, 5.11.98 (Porträts von Rechsteiner); Presse vom 9.11.98 (Kongress); NZZ, 9.11.98; WoZ, 12.11.98 und Lib., 18.11.98 (Tirefort). Tirefort wurde durch den SMUV-Vertreter Jean-Claude Rennwald (NR, sp, JU) ersetzt.9
[10] NZZ, 17.10. und 27.10.98. Die neue Einheitsgewerkschaft gehört dem SGB an.10
[11] AZ, 22.6.98; SN, 5.11.98.11
[12] Presse vom 19.5.98 (SVJ); Bund und NZZ, 26.6.98 (SSM). Im Gegensatz zum SVJ gehört das SSM dem SGB bereits an. Vgl. SPJ 1997, S. 387. Generell zur Fusionswelle in der Gewerkschaftsbewegung siehe auch SoZ, 28.6.98.12
[13] NZZ, 8.6.98 (SLB und SJU); AZ, 22.6. (ASB) und 28.6.98 (GDP).13
[14] NZZ, 11.12. und 13.12.98; Bund, 13.12.98. Zu Tireforts Auseinandersetzung mit der SGB-Spitze siehe oben.14
[15] BZ und NLZ, 19.1.98; SN, 2.7.98.15
[16] NZZ, 25.4. (LFSA), 1.9. (SGG) und 14.9.98 (Kongress).16
[17] NZZ, 22.6. (SKV) und 21.10.98 (SBPV). Vgl. SPJ 1997, S. 387.17
[18] TA, 13.4.99. Siehe auch Lit. Bauer. Zur Unia siehe SPJ 1996, S. 371 f.18