Année politique Suisse 1998 : Chronique générale / Finances publiques / Direkte Steuern
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Steuergerechtigkeit
Im Vorjahr hatte das Zusammenfallen von Rekordgewinnen an den Börsen einerseits und von Entlassungen begleiteten Unternehmensfusionen und -umstrukturierungen andererseits der Forderung nach der Einführung einer Kapitalgewinnsteuer Auftrieb gegeben. In einer auf Verlangen der SP im Januar einberufenen Sondersession befasste sich das Parlament mit den Konsequenzen aus der Fusion zwischen Bankverein und Bankgesellschaft zur United Bank of Switzerland (UBS). Weder im National- noch im Ständerat kam es zu konkreten Entscheidungen, da nur unverbindliche Vorstösse zugelassen waren. Die Sozialdemokraten präsentierten ein umfangreiches Massnahmenbündel, in deren Zentrum eine materielle Steuerharmonisierung in der Schweiz sowie die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer stand. Die Debatte geriet zum erwarteten Schlagabtausch zwischen Linken und Bürgerlichen. Während sich die Linke daran stiess, dass die Steuerbefreiung der Kapitalgewinne von Privaten gegen das Prinzip der Gleichbehandlung aller Einkommensarten und gegen die Steuergerechtigkeit verstösst, sprachen sich insbesondere Exponenten der SVP gegen neue Abgaben oder Lohnprozente und für verbesserte wirtschaftliche Rahmenbedingungen aus. Finanzminister Villiger zeigte sich besorgt über die ausgebrochene Hektik und warnte vor steuerpolitischen Schnellschüssen. Er erinnerte an die noch dieses Jahr in Angriff genommenen Vorarbeiten für das künftige Steuersystem des Bundes, das auf den Hauptpfeilern Mehrwertsteuer, direkte Bundessteuer und wirtschaftsverträgliche Energiebesteuerung beruhe. Der Einführung einer Kapitalgewinnsteuer stand er skeptisch gegenüber; allenfalls solle sie zur Kompensation von Stempelausfällen dienen [1].
Der Ständerat lehnte ein Postulat Schüle (fdp, SH) ab, der vorschlug, als Alternative zu einer Kapitalgewinnsteuer eine neue Steuer auf den Vermögenszuwachs zu prüfen. Der Vermögenszuwachs aus dem Lohn, der bereits der Einkommenssteuer unterliegt, wäre dabei befreit worden. Gegen den Vorstoss wurde eingewandt, dass Vermögenszuwachs auch durch Buchgewinne entsteht und die Besteuerung nicht realisierter Gewinne im Widerspruch zum heutigen Steuersystem stünde. Hingegen überwies der Ständerat eine Motion Delalay (cvp, VS) zur Aufhebung von Steuerlücken in Postulatsform, die auf die Einführung einer Depotsteuer, einer Steuer für kurzfristige Kapitalgewinne für natürliche Personen und eine Besteuerung der Erträge aus den Kapitalversicherungen mit Einmalprämien zielt. Eine WAK-Minderheit des Nationalrates um Jans (sp, ZG) strebte mit einer Motion die volle Besteuerung der Kapitalversicherungen mit Einmalprämien an. Der Vorstoss wurde unter anderem mit dem Argument bekämpft, dass die WAK ohnehin über den Behnisch-Bericht zur Schliessung von Steuerlücken diskutieren würde und im Moment keine Entscheide präjudiziert werden sollten. Der Nationalrat lehnte die Überweisung der Motion auch in der schwächeren Form des Postulats mit 58:68 Stimmen ab [2].
Eine vom EFD eingesetzte Expertenkommission unter der Leitung des Berner Steuer- und Wirtschaftsjuristen Urs Behnisch kam in ihrem Bericht zum Schluss, dass die Steuerfreiheit für realisierte private Kapitalgewinne ein erheblicher Mangel im System darstelle. Es verstosse gegen die Rechtsgleichheit, dass Dividenden und Zinsen der Einkommenssteuer unterliegen, nicht aber Kursgewinne. Sie empfahl daher mehrheitlich, Kapitalgewinne von Privaten ebenfalls als Einkommen zu besteuern. Eine Minderheit sprach sich hauptsächlich wegen der administrativen und finanzpolitischen Schwierigkeiten gegen die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer aus. Zum umgekehrten Schluss kam ein zweites in Auftrag gegebenes Gutachten des Basler Ökonomen Peter Kugler, der von einer Kapitalgewinnsteuer abrät, weil es Bund und Kantone jährlich zwar 700 Mio Fr. einbringe, aber zu einem dreiprozentigen Rückgang des realen Volkseinkommens führen könne [3].
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund lancierte die Volksinitiative „für eine Kapitalgewinnsteuer“, wonach in Zukunft auch realisierte Gewinne natürlicher Personen, die mit Aktien und Obligationen etc. erzielt werden, versteuert werden müssen. Nach geltender Regelung sind nur juristische Personen dieser Steuer unterworfen. Der Steuersatz soll mindestens 20% betragen, ein Freibetrag von 5000 Franken wird gewährt und Verluste sollen abgezogen werden können. Unterstützung fand die Volksinitiative bei der SP, mit der Unterschriftensammlung wurde im Mai begonnen [4].
Eine parlamentarische Initiative Spielmann (pda, GE) verlangte, das Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern so zu ändern, dass es den Kantonen und Gemeinden ermöglicht, das Einkommen natürlicher und juristischer Personen am Ort, wo es erzielt wird, zu besteuern. Unterstützung erhielt der Vorstoss bei einer Minderheit der WAK des Nationalrates, die die Steuerkonkurrenz zwischen den Kantonen als ungesund empfand. Eine Kommissionsmehrheit empfahl die Ablehnung der Initiative, weil der Wohnort Lebensmittelpunkt sei und bei der Besteuerung Vorrang geniessen solle. Zudem habe der Steuerwettbewerb positive Auswirkungen auf das Steuerniveau. Der Nationalrat verwarf die Initiative mit 78 zu 25 Stimmen [5].
Eine Parlamentarische Initiative Hegetschweiler (fdp, ZH) verlangte, dass mittels Änderung von Art. 69 StHG und Art. 218 DBG neu auch in die Bemessungslücke fallende ausserordentliche Aufwendungen in der ersten Steuerperiode nach dem Wechsel der zeitlichen Bemessung abzugsfähig sein sollen. Damit wollte der Initiant auf die Tatsache hinweisen, dass beim Übergang von der Vergangenheits- zur Gegenwartsbesteuerung mit dem System der Direkten Bundessteuer ausserordentliche Aufwendungen wie insbesondere Unterhaltskosten von Liegenschaften nicht mehr vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden könnten. Dies empfand er insofern als stossend, als die in die Bemessungslücke fallenden ausserordentlichen Erträge ebenfalls versteuert werden müssten, worin er eine Verletzung der Steuergerechtigkeit erkannte. Unterstützt wurde er von einer WAK-Mehrheit um David (cvp, SG), die seiner Argumentation folgte und negative konjunkturpolitische Auswirkungen befürchtete, da grössere Renovationen an Liegenschaften verschoben werden müssten. Eine Kommissionsminderheit um Fässler (sp, SG) lehnte die parlamentarische Initiative ab. Sie war der Meinung, dass die von der Initiative anvisierten Steuerpflichtigen in der Lage seien, den für Renovationsarbeiten richtigen Zeitpunkt zu wählen und sich dabei dem jeweiligen kantonalen Steuerrecht anzupassen. Ausserdem komme der Vorstoss zu spät, weil der Übergang zur Gegenwartsbesteuerung wie im Kanton Basel-Stadt bereits erfolgt sei. Der Nationalrat überwies die Vorlage mit 109:57 Stimmen [6].
In Ausführung dieser parlamentarischen Initiative Hegetschweiler unterbreitete die WAK des NR dem Parlament Vorschläge, wie während der Bemessungsperiode beim Übergang zur Gegenwartsbesteuerung neben den ausserordentlichen Erträgen neu auch die ausserordentlichen Aufwendungen berücksichtigt werden können. Der Grundsatz war in beiden Räten weitgehend unbestritten. Die Neuregelung betraf namentlich ausserordentliche Kosten für den Liegenschaftsunterhalt, Einkaufszahlungen in die Pensionskasse, Krankheits-, Unfall-, Invaliditäts-, Weiterbildungs- und Umschulungskosten. Der Nationalrat als Erstrat entsprach in zwei von drei Punkten den Vorschlägen des Bundesrates; nur in der Frage, ob die neue Abzugsmöglichkeit nachträglich auch den Steuerpflichtigen im Kanton Basel-Stadt, der schon 1995 zur Gegenwartsbesteuerung übergegangen war, gewährt werden sollten, blieb er bei der Fassung seiner Kommission. Diese wollte den Basler Steuerpflichtigen aus Gründen der Gleichberechtigung eine Revision der alten Veranlagung ermöglichen, falls sie damit schlechter gestellt wären als mit dem neuen Jahressteuerverfahren. Der Ständerat folgte hingegen der Argumentation des Bundesrates, wonach solche Rückforderungen kompliziert und problematisch seien, und voraussichtlich nur von einem kleinen Teil der Steuerzahler in Anspruch genommen würden. Schliesslich verzichtete auch die grosse Kammer darauf, nachdem der Basler Standesvertreter Plattner (sp) erklärt hatte, dass sein Kanton eine nachträgliche Revisionsmöglichkeit nicht wünsche. Das Parlament verabschiedete eine entsprechende Änderung des DBG mit 147:2 bzw. 43:0 Stimmen sowie die gleiche Änderung im StHG mit 142:1 bzw. 43:0 Stimmen [7].
 
[1] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 82 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 154 ff.; Presse vom 3.1. und 5.1.98. Interview mit Finanzminister Villiger in SHZ, 25.2.98. Siehe SPJ 1997, S. 149 f.1
[2] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 485 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1709 ff.2
[3] Presse vom 9.7.98. Zur Umsetzung der Empfehlungen des Behnisch-Berichts durch das EFD vgl. weiter unten (Stabilisierungsprogramm 98).3
[4] BBl, 1998, S. 2397 ff.; TA, 13.1.98; BZ, 22.1.98. Der NR lehnte eine Motion Rechsteiner (sp, SG) zur Einführung einer Kapitalgewinnsteuer in der Wintersession ab (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2435 ff.).4
[5] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2716 ff. Die Diskussion zu einer Motion Gysin (sp, BS), die bundesrechtliche Vorschriften gegen Abkommen mit Steuerpflichtigen über die Einräumung ungerechtfertigter steuerlicher Vergünstigungen forderte, wurde verschoben (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2829 ff.).5
[6] BBl, 1998, S. 4929 ff. und 4951 ff. (BR); Amtl. Bull. NR, 1998, S. 703 ff.6
[7] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1702 ff., 1853 f. und 2294 f.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 923 ff., 1016 und 1143; BBl, 1998, S. 4808 f. und 4810 f. Zur formellen Steuerharmonisierung vgl. NLZ, 23.12.98.7