Année politique Suisse 1998 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
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Allgemeine Fragen
Die Schweiz ist zwar Gründungsmitglied der Weltgesundheitsorganisation WHO, gewährt deren Hauptsitz in Genf Gastrecht und ist mit einem Jahresbeitrag von 11 Mio Fr. die Nummer 14 bei den Geldgebern. Doch in den Chefetagen und im Exekutivrat suchte man bisher vergebens nach Schweizern. Als die Region im Herbst zwei neue Mitglieder des 32köpfigen Exekutivrates stellen durfte, wurde allgemein vermutet, dass es der international isolierten Schweiz schwer fallen werde, eines der beiden Mandate zugesprochen zu erhalten. Die Überzeugungsarbeit von BAG-Direktor Zeltner, zusammen mit seinem Ruf als kompetenter und engagierter Gesundheitspolitiker, trug jedoch Früchte; ab Frühjahr 1999 wird der BAG-Direktor die Schweiz im WHO-Exekutivrat vertreten [1].
Eine von der EU finanzierte Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und Gesundheit in elf westeuropäischen Ländern. Die geringsten Unterschiede zeigten sich dabei in der Schweiz, in Deutschland (West) und in Spanien, die grössten in Schweden, Norwegen und Dänemark. Im Mittelfeld lagen Grossbritannien, Frankreich, die Niederlande, Finnland und Italien. Mit Ausnahme der Krebserkrankungen steht der soziale Status in der Schweiz im europäischen Vergleich eher gering mit der Sterblichkeit in Zusammenhang, insbesondere bei den Herz-Kreislauf-Problemen, die in der Schweiz zu 10%, in den nordeuropäischen Ländern und in Grossbritannien hingegen zu 50% an die (untere) soziale Schicht gekoppelt sind. Welche Gründe für die schichtspezifisch unterschiedlichen Krankheitsbilder in den westeuropäischen Staaten verantwortlich sind, soll in weiteren Studien abgeklärt werden [2].
Die Fettleibigkeit beeinträchtigt die Schweizer Volkswirtschaft erheblich. Eine neue Studie schätzte die direkten und indirekten Kosten auf jährlich 3,87 Mia Fr. Das Gesundheitswesen wird dabei mit 2,27 Mia Fr. belastet, was 8% der Gesamtkosten ausmacht. Rund 30% der Bevölkerung leiden an einer Form von Übergewicht, 5% sind schwere bis schwerste Fälle. Die Zahl ist gemäss der Untersuchung auch deshalb bedenklich, weil Fettleibigkeit häufig gemeinsam mit Stoffwechsel- und Herz-Kreislauferkrankungen auftritt. Durch diese Zweiterkrankungen steigt das Risiko für weitere gesundheitliche Probleme, was zu einer eigentlichen “Erkrankungskaskade” führen kann [3].
Auf die Problematik der Übergewichtigkeit wies auch der 4. Ernährungsbericht des BAG hin. Er konstatierte eine scherenartige Entwicklung mit Überkonsum und zunehmender Häufigkeit von Fettleibigkeit im Bevölkerungsdurchschnitt einerseits, qualitativer und quantitativer Unterernährung in bestimmten Gruppen andererseits. Während die Schweizerinnen und Schweizer in den letzten 15 Jahren tendenziell gesünder assen (mehr Gemüse und Rohkost), blieb der Fettkonsum mit 38% der Gesamtkalorien nach wie vor zu hoch. Am stärksten nahm in den vergangenen zehn Jahren das Übergewicht bei Männern im mittleren Alter zu. Zu den Bevölkerungsschichten mit teilweiser Mangelernährung gehören in erster Linie Jugendliche und Betagte. Bei acht Prozent der Frauen und zwei Prozent der Männer wurde ein hochgradig abnormes Essverhalten erhoben; eine eigentliche Magersucht wurde bei Frauen in einem Prozent und eine Ess-Brechsucht in drei Prozent der Fälle festgestellt [4].
Mit einer Motion wollte der Berner Nationalrat und Arzt Günter (sp) den Bundesrat verpflichten, eine Kommission zur Untersuchung medizinischer Zwischenfälle einzusetzen. Günter argumentierte, Flugunfälle würden heute systematisch analysiert, um daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen; dies sei im medizinischen Bereich noch allzu häufig nicht der Fall. Auf Antrag des Bundesrates wurde der Vorstoss, nachdem er von Hess (cvp, ZG) bekämpft worden war, in Postulatsform überwiesen [5].
 
[1] BZ, 9.5.98; NLZ, 13.5.98; BaZ, 31.10.98.
[2] NZZ, 20.6.98.
[3] NZZ, 16.4.98.
[4] Presse vom 27.5.98.
[5] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1504 f. und 2170.