Année politique Suisse 1998 : Politique sociale / Groupes sociaux / Familienpolitik
In der Märzsession behandelte der Ständerat die rund 40 Differenzen, die der Nationalrat geschaffen hatte. In zwei wesentlichen Punkten bestätigte er dabei seinen ursprünglichen Entscheid. Mit ausdrücklicher Zustimmung von Bundesrat Koller hielt er daran fest, dass ein Ehegatte erst dann auf Scheidung klagen kann, wenn das Paar mindestens fünf Jahre getrennt gelebt hat. Der Nationalrat hatte diese Wartefrist auf drei Jahre verkürzt. Kommissionssprecher Küchler (cvp, OW) erinnerte daran, dass fünf Jahre schon einen grossen Fortschritt gegenüber der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis von 15 Jahren darstellen. Koller fügte hinzu, dass die Schweiz bei einer Verkürzung der Wartefrist auf drei Jahre das scheidungsfreundlichste Recht in ganz Europa hätte und im Gegenzug automatisch eine Härteklausel notwendig würde.
Die kleine Kammer beharrte gegen den Willen von Bundesrat und Nationalrat bei den Bestimmungen über die Eheschliessung darauf, das bis anhin geltende
Verbot der kirchlichen Trauung vor der zivilrechtlichen aus dem geltenden Recht zu kippen. Mit 20 zu 16 Stimmen setzte sich das von Rhinow (fdp, BL) und Schmid (cvp, AI) ins Feld geführte Argument durch, dass diese Bestimmung ein Relikt aus dem Kulturkampf sei und zudem Anwendungsprobleme in der Praxis stelle. Danioth (cvp, UR) und Koller plädierten vergeblich dafür, aus Gründen des Sozial- und Rechtsschutzes und angesichts der starken Unterstützung in der Vernehmlassung am Primat der Ziviltrauung festzuhalten
[68].
In zweiter Lesung
hielt der
Nationalrat in diesen beiden zentralen Punkten ebenso hartnäckig
fest wie vor ihm der Ständerat. Dem Verbot der kirchlichen vor der zivilen Trauung wurde diskussionslos zugestimmt. Bei der Dauer der Trennung, wenn eine einvernehmliche Scheidung nicht möglich ist, standen sich ein Mehrheitsantrag auf Festhalten und ein Minderheitsantrag Thanei (sp, ZH) auf Zustimmung zum Ständerat entgegen. Die Sprecherin der Kommission wies darauf hin, dass ein Drittel aller Ehescheidungsklagen nach einer sehr kurzen Ehedauer (zwischen null und fünf Jahren) eingereicht werde, weshalb bei einer strittigen Scheidung eine fünfjährige Trennungszeit als Voraussetzung unverhältnismässig lang erscheine; zudem sei anzunehmen, dass dort, wo kein Ehewille mehr bestehe, dieser sich auch nach längerer Trennungszeit nicht mehr einstelle. Dem hielt Thanei entgegen, dass sich in der Vernehmlassung sämtliche Frauenorganisationen für die fünfjährige Trennung ausgesprochen hätten. Als mögliche Gründe für die Verweigerung einer Scheidung und den nötigen Schutz dieser Haltung zumindest während einer gewissen Zeit erwähnte sie wirtschaftliche oder persönlich bedingte Zukunftsängste, religiöse oder fremdenpolizeiliche Bedenken. Die grosse Kammer beschloss mit 69 zu 62 Stimmen Festhalten an ihrem ersten Entscheid
[69].
Angesichts der Entschlossenheit des Nationalrates beantragte die Kommission des Ständerates dem Plenum in beiden Punkten
Zustimmung zur Volkskammer. Im Fall des Verbots der kirchlichen vor der zivilrechtlichen Trauung erfolgte dies diskussionslos. Bei der
Trennungszeit setzte eine Minderheit mit 18 zu14 Stimmen durch, dass im Sinn eines Kompromisses eine
vierjährige Frist festgeschrieben wurde. Unter Hinweis auf den knappen Entscheid in der grossen Kammer plädierte auch Bundesrat Koller für diesen, wie er meinte, vernünftigen Mittelweg. Der Nationalrat schloss sich mit 101 zu 32 Stimmen der vierjährigen Trennungszeit an
[70].
Zum beinahen Stolperstein der Vorlage wurde schliesslich eine letzte Differenz bei einer Bestimmung, die in den Debatten an und für sich wenig zu reden gegeben hatte, die aber dennoch unbereinigt von einem Rat zum anderen geschoben worden war. Es ging um die Frage, ob die Konventionalscheidung ausgesprochen werden kann, wenn die
Nebenfolgen noch nicht abschliessend geklärt sind. Der Ständerat wollte mit der möglichen zeitlichen Staffelung unsäglich langen Scheidungsverhandlungen den Wind aus den Segeln nehmen. Der Nationalrat beharrte darauf, dass zwischen Scheidung und Regelung der Nebenfolgen ein Junktim besteht. In dieser Frage kam die Einigungskonferenz zum Zuge, welche Zustimmung zum Nationalrat beantragte. Beide Kammern akzeptierten diesen Entscheid, worauf die Vorlage definitiv verabschiedet werden konnte
[71].
Gegen das revidierte Scheidungsrecht wurde das
Referendum ergriffen. Das Komitee ”Pro Ehe und Familie”, dem vor allem Mitglieder der Katholischen Volkspartei Schweiz angehören, begründete seinen Schritt damit, dass das neue Gesetz einen Angriff auf den Kern von Familie und Ehe darstelle. Ihm schloss sich, wenn auch aus ganz anderen Gründen, eine ”Trägerschaft Scheidungsrecht nein” an, die sich vornehmlich aus der ”Interessengemeinschaft geschiedener und getrennter Männer” rekrutierte: diese Gruppierung hatte sich vehement dafür eingesetzt, dass das gemeinsame Sorgerecht für die Kinder zur Regel werde und sah sich nun in ihren Erwartungen entäuscht. Trotz ihrer recht unterschiedlichen Standpunkte schlossen sich die beiden Trägerschaften Ende August zusammen; Rückhalt fanden sie bei der EDU und dem Neuen Rütlibund. Anfangs Oktober gab das Komitee die Unterschriftensammlung
mangels Unterstützung auf [72]. Da die Situation nun geklärt war, beschloss der Bundesrat, das neue Gesetz auf den 1.1.2000 in Kraft zu setzen
[73].
[68]
Amtl. Bull. StR, 1998, S. 319 ff
. Siehe
SPJ 1997, S. 297.68
[69]
Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1184 ff.69
[70]
Amtl. Bull. StR, 1998, S. 708 ff.;
Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1316 f.70
[71]
Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1433 und 1635 f.;
Amtl. Bull. StR, 1998, S. 760 und 839. Die Gesamtvorlage wurde im NR mit 149:1 Stimme angenommen, im StR einstimmig. Für eine Zusammenfassung der Änderungen, die das neue Scheidungsrecht bringt, siehe
Lit. Freiburghaus.71
[72] Presse vom 15.7., 27.7., 28.7. und 17.10.98;
NZZ, 28.8.98;
TA, 10.10. 98.72
[73] Presse vom 15.12.98.73
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