Année politique Suisse 1998 : Politique sociale / Groupes sociaux / Familienpolitik
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Schwangerschaftsabbruch
Ausgehend von einer parlamentarische Initiative Haering Binder (sp, ZH) unterbreitete die Rechtskommission des Nationalrates eine Revision der Strafgesetzbestimmungen über den Schwangerschaftsabbruch. Gemäss der Mehrheit der Kommission sollte der Abbruch während der ersten 14 Wochen der Schwangerschaft auf Verlangen der Frau und unter Mitwirkung eines Arztes oder einer Ärztin möglich sein, nach dieser Frist nur noch nach den strengeren Massstäben der heutigen Regelung. Nach dem geltenden Recht braucht es zwei Ärzte oder Ärztinnen, die einen Abbruch für angezeigt halten, weil die Frau einen schweren körperlichen oder psychischen Schaden erlitte, wenn sie das Kind austrüge. Diese Liberalisierung ging dem Bundesrat zu weit. Er meinte, der Staat müsse darauf hinwirken, dass eine sorgfältige Güterabwägung zwischen den Rechten der Frau und dem Schutz des ungeborenen Lebens stattfindet. In seiner Stellungnahme votierte er für das im Vorjahr von den CVP-Frauen in die Diskussion gebrachte ”Schutzmodell mit Beratungspflicht” [74].
Nach einer Kaskade von Variantenabstimmungen befürwortete der Nationalrat den Vorschlag seiner Kommission für eine Fristenlösung in den ersten 14 Wochen der Schwangerschaft. Die Zürcher SP-Abgeordnete Haering Binder stellte in der vorgängigen Diskussion fest, dass nach den Erfahrungen im In- und Ausland Verbote keine Abbrüche verhindern, eine Liberalisierung sie aber auch nicht fördert. Nach ihrem Verständnis von Rechtssicherheit gehe es auch darum, die in der Schweiz entstandene Kluft zwischen dem landesweit geltenden restriktiven Recht und der in vielen Kantonen gelebten liberalen Rechtswirklichkeit zu schliessen. Der Staat habe nicht die Moral vorzuschreiben; er solle optimale Rahmenbedingungen schaffen, damit die schwangere Frau ohne Zwang in Eigenverantwortung entscheiden kann. Dazu gehöre selbstverständlich auch ein breites Beratungsangebot. Die Beratung müsse aber freiwillig sein, weil eine Verpflichtung nur wieder neue Abhängigkeiten schaffe. Unterstützt wurde sie von Vallender (AI) als Sprecherin der FDP-Fraktion.
Ganz anderer Ansicht waren viele ihrer männlichen Kollegen aus dem rechtsbürgerlichen Lager, welche bei der heutigen Regelung bleiben wollten. Die extreme Gegenposition vertrat die von der SP zu den Grünen übergetretene Baslerin von Felten. Sie beantragte die ersatzlose Streichung aller Artikel zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafrecht. Mit dem Votum ihres Parteipräsidenten Durrer (OW) plädierte die CVP für ihr Modell mit obligatorischer Beratungspflicht, doch wurde dieses schliesslich mit 106 zu 56 Stimmen abgelehnt. Der Kommissionsvorschlag passierte schliesslich mit 98 zu 73 Stimmen [75].
Im Anschluss an diese Beratung hiess der Nationalrat eine Motion Engler (cvp, AR), welche einen Ausbau des Beratungsangebots zur Verringerung der Zahl der Abtreibungen verlangte, auf Antrag des Bundesrates, der auf die grundsätzliche Kantonskompetenz in diesem Bereich verwies, in der Postulatsform gut [76].
Eine von einer stark religiös geprägten Gruppierung (”Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind”) lancierte Volksinitiative ”Für Mutter und Kind – für den Schutz des ungeborenen Lebens und für die Hilfe an seine Mutter” möchte das Rad der Zeit um Jahrzehnte zurückdrehen. In der Verfassung soll festgeschrieben werden, dass eine Abtreibung nur noch dann erlaubt ist, wenn die Mutter sonst in akute Lebensgefahr gerät. Psychische Probleme – also auch etwa die Gefahr eines Suizids – dürften keine Rolle spielen, nur körperliche Erkrankungen. Selbst der Organisation ”Ja zum Leben”, die sich seit mehr als 20 Jahren gegen eine Fristenlösung einsetzt, gingen die Absichten und vor allem die Methoden des Initiativekomitees zu weit, weshalb sie sich davon distanzierte [77].
 
[74] BBl,1998, S.3005 ff. und 5376 ff. (Stellungnahme BR). Vgl. SPJ 1997, S. 298.74
[75] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1989 ff.75
[76] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2019 f.76
[77] BBl, 1998, S. 2959 ff.; Presse vom 3.6.98; NZZ, 2.7. und 9.7.98; WoZ, 2.7.98. Die gleiche Gruppierung kündigte auch an, dass sie gegen den Beschluss des NR für eine Fristenlösung das Referendum ergreifen werde, falls der StR hier auch zustimmen sollte (Presse vom 6.10.98).77