Année politique Suisse 1998 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche / Berufsbildung
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Lehrstellen
Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt blieb weiterhin angespannt: Am Stichtag 15. Februar waren laut BIGA-Lehrstellenbarometer 1998 40 000 der 60 000 angebotenen Lehrstellen besetzt. Gleichzeitig suchten aber noch über 27 000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz. Obwohl die vom Bund im Rahmen eines Lehrstellenbeschlusses bereitgestellten 60 Mio Fr. Soforthilfe in den Kantonen viele Bildungsprojekte ausgelöst hatten, blieben vor allem schulschwache Ausländerkinder und das Lehrstellenangebot in High-Tech-Berufen ein Problem. Das BBT startete eine Motivationskampagne unter dem Titel “Lehrstellen schaffen Nachwuchs für die Wirtschaft” zur Unterstützung der Ziele des Lehrstellenbeschlusses über die Zeit von drei Jahren. Ehemalige Sportgrössen sollen im Rahmen dieser Kampagne die Unternehmen via TV-Spot oder Plakat dazu animieren, Lehrlinge auszubilden [28].
Im April lancierte der Verein Lehrstellen-Initiative (Lipa) eine Volksinitiative, mit der das Recht auf Berufsausbildung in der Bundesverfassung verankert und der Bund zur Schaffung eines Berufsbildungsfonds mit mindestens 400 Mio Fr. Jahreseinlage verpflichtet werden soll. Alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssten bei Annahme der Initiative den Fonds mit einer Berufsbildungsabgabe unterstützen. Dem Lipa gehören die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft Jugendverbände sowie die Jugendorganisationen von Gewerkschaften und Parteien (SP, LdU) an. SP, GP und LdU unterstützten die Initiative; hingegen bezeichnete sie der Schweizerische Gewerbeverband als weitgehend überflüssig und nahm klar Stellung gegen planwirtschaftliche Eingriffe in den Lehrstellenmarkt [29]. Die Freisinnige Partei Basel-Stadt und Zürich lancierten je eine Lehrstelleninitiative auf kantonaler Ebene, mit welchen diejenigen Unternehmen honoriert werden sollen, die Lehrlinge ausbilden; diese Vorstösse waren als Gegenpol zur eidgenössischen Initiative gedacht, welche alle nicht ausbildenden Betriebe zur Kasse bitten will [30].
Die SP stellte im April einen umfangreichen Forderungskatalog für eine national koordinierte Berufsbildung vor. Der Berner Nationalrat Rudolf Strahm (sp) plädierte dabei für die zügige Umsetzung eines zweiten Lehrstellenbeschlusses. Es sei ein Anreizsystem für Firmen zu installieren, die sich zur Ausbildung von Lehrlingen zur Verfügung stellen. Konkret forderte Strahm, dass der Bund an öffentlichen Berufsschulen und Berufsbildungszentren 40 einjährige Erstlehrjahreskurse für Informatikberufe finanziere, um die Nachwuchssicherung im zukunftsträchtigen Berufsfeld von Telematik, Kommunikation und Informatik zu garantieren. Bezogen auf die Zukunft der Berufs- und Weiterbildung forderte die Aargauer Nationalrätin Weber im Namen der SP unter anderem das Recht auf einen nachobligatorischen Ausbildungsgang für alle Jugendlichen bis 20, eine Straffung der Berufe von 350 auf 50 und insbesondere eine bessere berufliche Integration ausländischer Jugendlicher sowie Motivationskampagnen, mit denen vermehrt junge Frauen in zukunftsträchtige Berufslehren geführt werden [31].
Im Herbst vermeldete das BBT, dass 1997 rund 5000 neue Lehrstellen geschaffen worden seien. Die Zahl berücksichtigte jedoch nicht, wie viele Stellen abgebaut worden waren. Trotzdem ging das BBT von einem Lehrstellenanstieg im Vorjahresvergleich aus und schrieb den Erfolg dem ersten Lehrstellenbeschluss zu. Die Lehrstellenkrise scheine überwunden zu sein, da für 1998 vier Prozent mehr Lehrverträge zu erwarten seien. Nationalrat Strahm liess diese Bilanz nicht gelten und pochte erneut auf einen zweiten Lehrstellenbeschluss mit einem Massnahmenpaket in der Grössenordnung von mindestens 100 Mio Fr. [32].
An einer nationalen Berufsbildungskonferenz Ende Jahr wurde klar, dass die duale Berufsbildung auch in den neuen Gesetzesgrundlagen Kernelement helvetischer Nachwuchsbildung bleiben wird. Die nötigen Reformen müssten laut Bundesrat Couchepin daher nicht radikal sein, aber bei der Förderung der Frauen sowie der Schwachen und der Elite in High-Tech-Berufen ansetzen. Wege dazu seien modulare Bildungsgänge und Durchlässigkeit zwischen beruflicher und schulischer Bildung [33].
 
[28] Presse vom 25.3.98. Das Parlament hatte 1997 einem Bundesbeschluss über die Förderung von Lehrstellen und damit einem bis Ende 1999 geltenden 60-Millionen-Investitionsprogramm zugestimmt (SPJ 1997, S. 309 f.).28
[29] BBl, 1998, S. 2336 ff.; Presse vom 29.4.98; NZZ, 29.5.98.29
[30] BaZ, 5.11.98; NZZ, 20.8.98.30
[31] Presse vom 1.4.98; TA, 2.4.98, LT, 3.4.98; NZZ, 14.4.98; SGT, 17.4.98. Der NR hatte 1997 einer parl. Initiative Strahm Folge gegeben, die dem BR die Kompetenz einräumen will, ein Anreizsystem oder einen Lastenausgleich zugungsten von Lehrbetrieben zu schaffen. Für den Initianten stand ein Bonus-Malus-System zwischen Betrieben ohne Ausbildungsaufwendungen und Betrieben, die sich in der Berufsbildung engagieren, im Vordergrund, da diese Lösung budgetneutral wäre (vgl. SPJ 1997, S. 310). Siehe auch Stellungnahme des BR zum Vorstoss Strahm betreffend das Lehrstellenangebot in der Bundesverwaltung (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 427). Zur Motion Weber (sp, AG) betreffend Einführung eines durch die Arbeitslosenkasse finanzierten Weiterbildungsurlaubs siehe oben, Teil I, 7a (Arbeitsmarkt).31
[32] Presse vom 24.10.98.32
[33] NZZ, 24.11.98; Presse vom 25.11.98.33