Année politique Suisse 1999 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Sozialdemokratische Partei (SP)
Der Kosovo-Konflikt und die Intervention der NATO führten innerhalb der SP zu einer Kontroverse. Parteipräsidentin Koch sprach sich für den NATO-Einsatz im Kosovo aus. Innerhalb der Partei stiess Koch mit ihren Äusserungen auf harsche Kritik und verschiedene Parteiexponenten wollten ihre Erklärung nicht als SP-Meinung stehen lassen. Nationalrat Cavalli (TI) forderte den sofortigen Stopp des NATO-Einsatzes. Nationalrat Ziegler (GE) sprach sich dagegen für den sofortigen Beitritt der Schweiz zum Verteidigungsbündnis der NATO aus. Weil Parteipräsidentin Koch zudem in der Sonntagspresse den Einsatz von Bodentruppen gefordert hatte – sie dementierte später ihre Aussagen wieder – wurde sie von Generalsekretär Steiert in den Medien angegriffen. Das Zerwürfnis innerhalb der Partei wurde Tage später noch deutlicher, als die SP-Frauen in einer Resolution den sofortigen Stopp des NATO-Angriffes forderten. An ihrer 1.-Mai-Rede in Basel wurde Koch wegen ihrer Haltung im Kosovo-Konflikt mit Pfiffen empfangen [3].
Obwohl am Parteitag Ende Mai in Neuenburg das Thema der NATO-Einsätze im Kosovo nicht traktandiert war, äusserten sich die Bundesräte Leuenberger und Dreifuss ausgiebig dazu. Leuenberger liess verlauten, Milosevic und seine Aggression gehörten verurteilt, "nicht nur moralisch", und Dreifuss forderte die Partei auf, "Flagge zu zeigen", indem sie Fremdenfeindlichkeit und Abschottung eine Absage erteile. Parteipräsidentin Koch nahm ihre früheren Aussagen etwas zurück und forderte nun eine schnelle Beendigung des Krieges, so dass die Rückkehr der Flüchtlinge möglich werde. Die Delegierten verabschiedeten eine Resolution, die forderte, den Krieg zu Luft und zu Land unverzüglich zu beenden. Innenpolitisch forderte die Resolution die unbürokratische Aufnahme von Flüchtlingen und ein uneingeschränktes Bleiberecht, bis eine dauerhafte Rückkehr sichergestellt werden könne. Die Schweiz solle sich zudem mit Blau- und Gelbmützen an einer internationalen Friedenstruppe beteiligen.
Das gleichzeitig beschlossene Förderungsprogramm zur Halbierung der Arbeitslosigkeit wurde während zweier Stunden ausgiebig diskutiert. Im Zentrum des Programms standen Innovationen in die Bildung, die Förderung der KMU, die Sicherung der öffentlichen Infrastruktur, Arbeitszeitverkürzungen und Beschäftigungsprogramme. Einem Antrag der Sektion Lausanne 3, die Strommarktliberalisierung grundsätzlich nicht gutzuheissen, wurde stattgegeben. Ebendiese Absage an die Strommarktliberalisierung brachte SP-Frauenpräsidentin Jacqueline Fehr (ZH) auf den Plan. In einem Brief an die Parteileitung kritisierte sie das planlose und beliebige Vorgehen der SP im Wahljahr. Der „naive“ Strommarkt-Beschluss der Partei sei ein deutliches Zeichen dafür, dass die Partei die Diskussion um Liberalisierung und Modernisierung scheue, ausser einem pauschalen Nein jedoch keine Lösungsvorschläge zustande bringe [4].
Im Juni reichte die SP – nach Befürchtungen, die notwendigen Unterschriften nicht termingerecht zusammenzubringen – ihre Volksinitiative "Gesundheit soll bezahlbar bleiben" ein. Diese will die Kopfprämien durch einkommens- und vermögensabhängige Beiträge und Mehrwertsteuerprozente ersetzen [5].
Am Rande des Auslandschweizerkongresses in Lausanne gründete die SP als letzte Bundesratspartei eine internationale Parteisektion, die allen Auslandschweizern offen stehen soll. Obwohl die Einsetzung eines Diplomaten als Sektionspräsident in den Medien kritisiert worden war, wurde François Nordmann, Schweizer Botschafter in London, zum Präsidenten der SP Schweiz International gewählt [6].
Am Wahlparteitag von Anfang September in Basel forderte Parteipräsidentin Koch die Parteimitglieder dazu auf, energisch gegen die SVP Wahlkampf zu betreiben. Die SP sei gegenwärtig die einzige Alternative zur SVP, solange das Zentrum aus FDP und CVP sich nicht zwischen rechtsnationaler und linksliberaler Politik entscheiden könne. Keiner der Delegierten stellte am Wahlparteitag den Verbleib der SP in der Landesregierung in Frage [7].
Mit einer sogenannten Kulturplattform rief die SP zwei Wochen vor den Wahlen die Bevölkerung zur Wahlbeteiligung auf. Siebzig Kulturschaffende, darunter Adolf Muschg, Peter Bichsel, Franz Hohler, Hugo Lötscher und Dimitri, warnten mit ihrer Unterschrift vor den "verheerenden" Folgen eines von der "blocherschen SVP" blockierten Parlaments. Ein Rechtsrutsch gefährde die kulturelle und geistige Vielfalt, die Toleranz, die humanitäre Tradition und die Weltoffenheit der Schweiz [8].
Ende Oktober traf sich die Parteileitung zu einer ersten Nachanalyse der eidgenössischen Wahlen. Grundsätzlich zufrieden zeigte man sich über das eigene Resultat, das bei einem leicht verbesserten Wähleranteil den Verlust von drei Nationalratssitzen gebracht hatte. In Zürich war Parteipräsidentin Koch mit einem Spitzenresultat neu in den Nationalrat gewählt worden. In verschiedenen Medien wurde der SP der Vorwurf gemacht, sie hätte einen wenig attraktiven Wahlkampf geführt. Kritische Stimmen ertönten auch aus den eigenen Reihen. Nationalrat Hämmerle (GR) sprach vom Scheitern der Wahlkampf-Leitung und Pressechef Peyer, der seinen Abgang bereits angekündigt hatte, griff die Parteiführung direkt an: Diese habe vor lauter Grundsatzdiskussionen keine Themen mehr in der Hand. Es herrsche ein Klima des Misstrauens innerhalb der Parteileitung und Kritik sei unerwünscht. Peyer wurde tags darauf von der Geschäftsleitung suspendiert. Ursula Koch bekräftigte an einer Pressekonferenz, sie habe keinerlei Zweifel, dass die Basis der Partei hinter der Parteipräsidentin stehe. Sie fühle sich nach der Aussprache mit der Geschäftsleitung bestärkt. Gerüchte um einen inszenierten Sturzversuch der Präsidentin wurden von Peyer zurückgewiesen und Tage später auch von Hämmerle bestritten [9].
Bereits Ende August hatte Ursula Hafner (SH) ihr Amt als Fraktionspräsidentin auf die neue Legislatur hin zur Verfügung gestellt. Als Nachfolger wurde Ende November der Tessiner Nationalrat Franco Cavalli gewählt, der als entschiedener EU-Befürworter aus der lateinischen Schweiz grosse Unterstützung erhielt. Bei der parteiinternen Ausmarchung konnte er sich gegen den von Parteipräsidentin Koch unterstützten Nationalrat Strahm (BE) durchsetzen [10].
 
[3] SoZ, 13.4.99; NZZ, 12.4. und 19.4.99; TA, 14.4.99; BaZ, 3.5.99.3
[4] Presse vom 31.5.99; Bund, 2.6.99.4
[5] Presse vom 8.6.99; TA, 21.6., 10.7. und 24.8.99. Zur Gesundheitsinitiative vgl. oben, Teil I, 7c (Krankenversicherung).5
[6] TA, 9.8.99.6
[7] Presse vom 6.9.99.7
[8] TA, 7.10.99; Presse vom 11.10.99.8
[9] NZZ, 30.10. und 10.11.99; So-Blick, 7.11.99; TA, 9.11.99; Presse vom 13.11. und 15.11.99.9
[10] TA, 4.11.99; BaZ, 1.12.99. 10