Année politique Suisse 1999 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
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Medikamente
Anfangs März leitete der Bundesrat dem Parlament seine Botschaft zum neuen Heilmittelgesetz zu. Die Kontrolle von Arzneimitteln und Medizinprodukten soll künftig umfassend durch den Bund geregelt werden. Die Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel (IKS), bisher für die Zulassung und Überwachung der meisten Arzneien zuständig, wird in ein bundeseigenes Heilmittelinstitut überführt. Bundespräsidentin Dreifuss betonte bei der Präsentation, der Gesetzesentwurf sei eurokompatibel ausgestaltet worden, weshalb der Standort Schweiz in diesem wirtschaftlich bedeutenden Bereich inskünftig über gleich lange Spiesse wie die ausländische Konkurrenz verfügen werde.
Ein Hauptanliegen des Bundesrates ist die Verbesserung des Wettbewerbs. So genannte Parallelimporte sollen erlaubt werden; selbst schweizerische Produkte, welche im Ausland meistens billiger verkauft werden als in der Schweiz, könnten so reimportiert und unter dem offiziellen Preis angeboten werden. Bis anhin untersagte die IKS diese Praxis, welche auch in den meisten anderen Staaten (mit Ausnahme der EU-internen Verkaufsströme) verboten ist. Der Bundesrat will Parallelimporte aber nur dann erlauben, wenn das Medikament sowohl in der Schweiz als auch im betreffenden Ausland zugelassen ist. Darin unterscheidet sich sein Gesetzesvorschlag von der Denner-Initiative (siehe unten), welche verlangt, dass alle Produkte, welche in einem Nachbarland anerkannt sind, automatisch auch in der Schweiz verkauft werden dürfen.
Keine grossen Änderungen sieht der Entwurf beim Versandhandel vor. Grundsätzlich soll er nach wie vor verboten bleiben, insbesondere um den unkontrollierten Vertrieb von Medikamenten per Internet zu verhindern. Der Bundesrat ist aber bereit, Ausnahmen zu bewilligen, wenn strenge Sicherheitsvorschriften eingehalten werden und die ärztliche Überwachung gewährleistet ist. Der Medikamentenversand durch Krankenkassen dürfte deshalb auch in Zukunft gestattet sein.
Der Gesetzesvorschlag enthält Bestimmungen, welche die missbräuchliche Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln generell einschränken soll. Darunter fallen auch Medikamente, die als Doping eingesetzt werden können. Spezifische Normen zur Dopingbekämpfung im Sport werden allerdings nicht in diesem Gesetz, sondern im Bundesgesetz über die Förderung von Turnen und Sport verankert (siehe unten, Sport) [32].
Im Gegenzug beantragte der Bundesrat dem Parlament, die vom Detailhandelgrossisten Denner lancierte Volksinitiative „für tiefere Arzneimittelpreise“ Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen, da sie zu radikal sei und zu einer Gefährdung der Volksgesundheit führen könnte. Die vorberatende Kommission des Nationalrates befand aber, ohne eine wirklich griffige Alternative könnte die Initiative durchaus Chancen in einer Volksabstimmung haben. Deshalb beschloss sie äusserst knapp (mit 9 zu 8 Stimmen bei einer Enthaltung) einen direkten Gegenvorschlag, der die Frage der Parallelimporte im Sinn des Bundesrates, aber auf Verfassungsstufe regelt. Damit soll der Druck aufrecht erhalten bleiben, bis das Heilmittelgesetz vom Parlament verabschiedet ist [33].
Einen vorläufigen Rückschlag mussten die Verfechter von Parallelimporten kurz vor Jahresende vom Bundesgericht hinnehmen. Dieses entschied, der 15 Jahre dauernde Patentschutz erlaube es, für diese Produkte Parallelimporte zu verbieten. Die Lausanner Richter liessen aber ein Fenster offen. Sie hielten nämlich fest, sie hätten nur eine Gesetzeslücke im bestehenden Patentrecht geschlossen. Wenn das Parlament die Sache anders regeln wolle, so sei ihm dies unbenommen. Preisüberwacher und Nationalrat Marty (sp, GL) sowie die beiden Abgeordneten David (cvp, SG) und Strahm (sp, BE) erklärten deshalb, sie würden zum neuen Heilmittelgesetz einen Anhang beantragen, welcher das Patentgesetz in den entsprechenden Dispositionen ändert, bzw. andere Möglichkeiten finden, um die Parallelimporte dennoch zu ermöglichen [34].
Mit der ersten Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) soll den kostengünstigeren Generika zum Durchbruch verholfen werden. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, den Apothekern die Möglichkeit zu geben, ein Originalprodukt durch ein billigeres, aber gleichwertiges Produkt zu ersetzen, wenn der Arzt nicht ausdrücklich mit seinem Rezept die Abgabe des Originals verlangt. Weil dieser Vorschlag ihrer Ansicht nach nur bedingt zum Umsteigen auf Generika führen würde, beschloss die vorberatende Kommission des Ständerates, analog zum Arzttarif eine Leistungsentschädigung für die Apotheker einzuführen, denn nur wenn ihr Einkommen nicht mehr von der Höhe der Medikamentenpreise abhänge, hätten die Apotheker ein Interesse am Generikaverkauf. Zudem sollen sie den Arzt erst nach der Abgabe des Medikaments über die Substitution informieren müssen [35].
Die Volksinitiative der Apotheker „für eine sichere und gesundheitsfördernde Arzneimittelversorgung“, welche im Vorjahr in Rekordgeschwindigkeit zustande gekommen war, wurde im April mit 265 804 gültigen Unterschriften eingereicht. Das Volksbegehren, welches verlangt, dass Medikamente nur unter Mitwirkung von Gesundheitsfachleuten abgegeben werden dürfen, richtet sich vordergründig gegen die neuen Vertriebsformen in Warenhäusern sowie im Versand- und Internethandel. Dahinter stehen aber die Ängste eines ganzen Berufsstandes, der durch die Liberalisierung der Medikamentenabgabe um seine Pfründen bangt. Den Apothekern ist vor allem die Selbstdispensation der Ärzteschaft ein Dorn im Auge, welche mit dem lukrativen Medikamentenverkauf – für den sie nicht selten von den Pharmafirmen bis zu 50% Rabatt erhalten – ihre Umsätze in den letzten Jahren stark steigern konnten [36].
Die Eidg. Arzneimittelkommission empfahl, das Potenzmittel Viagra und die Antifett-Pille Xenical für kassenpflichtig zu erklären. Dagegen protestierten umgehend mehrere Patienten-, Konsumenten- und Arbeitnehmerorganisationen, die im Einklang mit dem Konkordat der Krankenkassen diese beiden Medikamente als unnötige Lifestylemittel einstuften. Diese Meinung vertrat auch das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) zumindest teilweise und folgte damit erstmals nicht den Empfehlungen der Arzneimittelkommission: Viagra wurde wegen der enormen Missbrauchsgefahr nicht in die Liste der kassenpflichtigen Medikamente aufgenommen, Xenical nur für extrem Übergewichtige [37].
Arzneimittelverpackungen müssen ab dem 1.1.2000 auf gentechnisch veränderte Organismen (GVO) hinweisen. Diese neue Richtlinie wurde von der IKS verabschiedet. Gemäss dieser Kontrollstelle ist momentan kein Medikament mit GVO auf dem Markt, weshalb die Massnahme rein vorsorglich ist. Hingegen gibt es bereits rund 40 gentechnisch produzierte Medikamente, darunter Insulin und Interferon [38].
 
[32] BBl, 1999, S. 3453 ff. Die Helsana erreichte einen für ihren Medikamentenversandhandel bedeutenden Sieg vor Bundesgericht, welches den Kanton Waadt anwies, diese Form des Verkaufs zuzulassen (Presse vom 2.10.99. Vgl. SPJ 1998, S. 239).32
[33] BBl, 1999, S. 7541 ff.; CHSS, 1999, S. 154 f.; Presse vom 14.5.99. Kommission: NZZ, 30.11.99. Siehe SPJ 1998, S. 238. Die Pharmaindustrie und die Medikamentenimporteure setzten sich vehement gegen die Parallelimporte zur Wehr (NZZ, 20.2. und 3.3.99; LT, 24.2.99; BZ, 7.8.99), nicht aber die Apotheker (NZZ, 6.4.99). Zur Haltung von Wettbewerbskommission und Preisüberwacher zu den Parallelimporten siehe SHZ, 20.1. und 2.6.99.33
[34] TA, 2.3. und 9.12.99. In seiner Antwort zu einem überwiesenen Postulat Grendelmeier (ldu, ZH) erklärte der BR, eine Verkürzung der Patentdauer für Medikamente könne nicht in Frage kommen, da die Schweiz beim Patentrecht an internationale Abkommen gebunden sei (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 121 f.).34
[35] Presse vom 3.2.99; BaZ, 26.4.99; SHZ, 28.4.99. Gerade noch rechtzeitig auf Ende Jahr einigten sich die Apotheker und Krankenkassen auf einen neuen Vertrag, der die Apotheker verpflichtet, auf einen Teil ihrer Margen zu verzichten. Im Gegenzug wurde ein neues Abgeltungsmodell beschlossen, welches fachliche Beratungsleistungen der Apotheker in Rechnung stellt, damit diese nicht mehr den Anreiz haben, möglichst teure Medikamente abzugeben. (LT, 30.11.99; Presse vom 22.12.99). Siehe SPJ 1998, S. 238 f.35
[36] BBl, 1999, S. 4355 ff.; SHZ, 10.3.99. Das KVG bestimmt, dass Ärzte und Ärztinnen nur dort selbst dispensieren dürfen, wo für die Patientinnen und Patienten der Zugang zu einer Apotheke erschwert ist, beispielsweise also in sehr ländlichen Gebieten. Dies zu definieren, ist aber Sache der Kantone; im Kanton Zürich wurde – gegen den Geist des KVG – in den Städten Zürich und Winterthur die Selbstdispensation wieder zugelassen (NZZ, 18.1.99).36
[37] Presse vom 19.3. und 23.6.99; Bund, 24.3.99; NZZ, 21.5.99; TA, 30.6.99. Der Beschluss des BSV bezüglich der teilweisen Kassenzulassung von Xenical konnte nicht, wie gewünscht auf den 1.10.99 in Kraft treten. Einem Rekurs des Krankenkassenkonkordats wurde aufschiebende Wirkung zuerkannt (NZZ, 2.7. und 9.10.99).37
[38] NZZ, 30.11.99.38