Année politique Suisse 1999 : Politique sociale / Groupes sociaux / Ausländerpolitik
print
Allgemeine Fragen
Das Bundesamt für Ausländerfragen legte Mitte Januar erstmals einen Ausländerbericht vor, der auf Angaben der kantonalen Fremdenpolizeibehörden beruhte. Ziel des Berichtes war, Transparenz zu schaffen sowie die vernetzten Abhängigkeiten und die Grenzen der staatlichen Politik aufzuzeigen. Der Direktor des BFA erklärte dazu, Steuerungsmöglichkeiten und Einschränkungen der Zuwanderung seien zwar rasch formuliert, aufgrund nationaler und internationaler Verpflichtungen, aus humanitären Gründen und wegen vitaler Interessen der schweizerischen Wirtschaft aber nicht oder nur schwer realisierbar. Fragen des Ausländerbereichs gehörten zu den brisantesten Themen schweizerischer Innen- und Aussenpolitik. Vollzugsschwierigkeiten und Missbräuche lösten in weiten Kreisen der Bevölkerung zunehmend Unmut aus und liessen die Emotionen hochgehen. Deshalb seien klare Informationen und rationale Erklärungen gefragt. Vorrangig müsse das Bemühen sein, Fremdenfeindlichkeit gar nicht erst aufkommen zu lassen. Missbräuche des Gastrechts müssten konsequent bekämpft werden, denn kleine (kriminelle) Minderheiten könnten negative Einstellungen gegenüber den überwiegend unbescholtenen und rechtschaffenen Ausländerinnen und Ausländern schlechthin auslösen. Der Bericht listete zunehmende Missbräuche namentlich beim Familiennachzug, bei Schein- und Gefälligkeitsehen (siehe unten), den Identifizierungsverfahren, dem Beschwerdewesen und den Härtefallregelungen auf. Dabei wurde festgestellt, dass die Kantone in der fremdenpolizeilichen Praxis in besonderem Mass Probleme mit Personen aus dem früheren Jugoslawien haben [1].
Mitten in der angespannten Lage im Frühsommer, als der Bundesrat Notrecht im Asylbereich nicht mehr ausschloss (siehe unten), behandelte der Ständerat eine ausschliesslich von FDP-Abgeordneten mitunterzeichnete Motion Merz (fdp, AR), welche die Landesregierung aufforderte, dem Parlament die Ziele, Inhalte und Mittel einer kohärenten, departementsübergreifenden Ausländer- und Asylpolitik zu unterbreiten, die den jüngsten Entwicklungen im In- und Ausland Rechnung trägt. Der Bundesrat wollte den Vorstoss nur in Postulatsform entgegen nehmen, da die Probleme erkannt und teilweise bereits Gegenstand von Berichten und Untersuchungen gewesen seien. Die Ausarbeitung eines weiteren migrationspolitischen Gesamtkonzepts würden nur zu Verzögerungen in dringenderen Fragen führen. Die Ausführungen des Motionärs, dass im Bereich der Zweitasylgesuche, der Kriminalität, der Schlepperorganisationen und der sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge“ gravierende Missbräuche aufgetreten seien, die auch im Interesse der anständigen ausländischen Wohnbevölkerung hart bekämpft werden müssten, vermochte aber seine Kolleginnen und Kollegen mehrheitlich davon zu überzeugen, dass hier ein verbindlicher Auftrag an die Regierung angezeigt sei. Die Motion wurde mit 18 zu 11 Stimmen überwiesen [2]. Der Nationalrat befand, die Vorarbeiten zur Totalrevision des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (Anag) seien bereits weit fortgeschritten, weshalb es nicht mehr angebracht sei, dem Bundesrat zwingende Vorgaben zu machen, und nahm die Motion nur als Postulat an [3].
Eine parlamentarische Initiative Hasler (svp, AG) verlangte eine Anpassung des Anag in dem Sinn, dass der Bund die umfassende Verantwortung für illegal eingereiste Personen übernimmt und dabei strafbares Verhalten im weiteren Sinn als Haftgrund heranziehen kann. Zudem sollten vorläufig aufgenommene Personen einer Rayonpflicht unterstellt werden können, damit bei einer Missachtung der Aufenthalts- bzw. Unterkunftszuweisung die Möglichkeit einer Ahndung besteht. Der Initiant machte in seiner Begründung geltend, das Bundesgesetz über die Zwangsmassnahmen im Ausländerbereich stelle nur ein ungenügendes Instrumentarium für den Vollzug zur Verfügung. Die vorberatende Kommission wollte die angesprochenen Probleme nicht leugnen, verwies aber auf die laufende Überarbeitung des Anag und beantragte deshalb Ablehnung des Vorstosses. Das Plenum folgte ihr mit 98 zu 43 Stimmen [4].
Konkrete Forderungen stellte auch der Berner FP-Nationalrat Scherrer. Nach seinen Vorstellungen sollte eine Ehe für nichtig erklärt werden, wenn ein Ehepartner nicht eine Lebensgemeinschaft begründen, sondern die Vorschriften über den ausländerrechtlichen Aufenthalt umgehen will. Der Bundesrat verwies auf bereits bestehende Regelungen im Ausländer- und Bürgerrecht, gestand aber ein, dass es dennoch zu Missbräuchen kommen könne, weshalb er bereit war, die Motion als Postulat entgegen zu nehmen. Der Vorstoss wurde aber von den SP-Nationalrätinnen Maury Pasquier (GE), von Felten (BS) und Thanei (ZH) bekämpft und damit vorderhand der Diskussion entzogen [5]. Gegen ein Postulat Heim (cvp, SO), welches die Einsetzung einer Arbeitsgruppe verlangte, die Vorschläge ausarbeiten sollte, wie der Rechtsmissbrauch bei der Eheschliessung zwecks Erlangen und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung wirkungsvoll bekämpft werden kann, wurde von Thanei (sp, ZH) und Vermot (sp, BE) opponiert und dessen Behandlung so ebenfalls auf einen späteren Zeitpunkt verschoben [6].
1997, als das Doppeljubiläum „150 Jahre Bundesstaat“ und „50 Jahre UNO-Menschenrechte“ bevorstand, hatte sich der Nationalrat grosszügig gezeigt. 111 Parlamentarierinnen und Parlamentarier unterzeichneten damals eine Motion Fankhauser (sp, BL), die analog zur Praxis in den Nachbarländern Frankreich und Italien eine Amnestie für „Papierlose“ verlangte, deren effektive Zahl im Dunkeln liegt. Fankhauser dachte dabei vor allem an Saisonniers, die nach Ablauf ihrer neunmonatigen Bewilligung nicht in die Heimat zurückkehren, an die „versteckten“ Familienangehörigen von Saisonniers sowie an eine weitere Anzahl von Personen, die aus verschiedenen Gründen ihre Aufenthaltserlaubnis verloren haben. Dieser Vorstoss verstand sich auch als Beitrag zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Der Bundesrat beantragte, die Motion in ein Postulat umzuwandeln, da zwei unterschiedliche Anliegen (Straferlass und aufenthaltsrechtliche Regelung) vermengt würden; letztere könnte nur durch eine Revision des Anag oder durch einen befristeten Bundesbeschluss umgesetzt werden. Der Zürcher SVP-Abgeordnete Fehr wollte auch das Postulat ablehnen, da damit Unrecht zu Recht erklärt würde, unterlag aber mit 66 zu 40 Stimmen; zustimmen mochten dem Postulat neben dem links-grünen Lager nur noch ein Dutzend Mitglieder der CVP, einige welsche Liberale und Freisinnige, sowie – als einziger Deutschschweizer seiner Partei – FDP-Präsident Steinegger (UR) [7].
Zur Ausländerpolitik als Thema der eidgenössischen Wahlen siehe oben, Teil I, 1e, für die Fragen der Einbürgerung und der politischen Rechte Teil I, 1b (Bürgerrecht und Stimmrecht).
 
[1] Presse vom 13.1.99.1
[2] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 422 ff.2
[3] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2116 ff.3
[4] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 451 ff.4
[5] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1309 f.5
[6] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2672. Die Arbeitsgruppe, welche die Totalrevision des Anag vorbereitet, schlug vor, das Eingehen oder die Förderung einer Scheinehe als neuen Tatbestand für den Entzug einer Aufenthaltsbewilligung zu definieren (BaZ, 18.11.99).6
[7] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 680 ff. Diese Personenkategorie, welche nicht zu verwechseln ist mit den „Papierlosen“ im neuen Asylrecht (siehe unten), war auch Gegenstand eines überwiesenen Postulats Brunner (sp, GE) zum Krankenversicherungsobligatorium (Amtl. Bull. StR, 1999, S. 801 f.).7